Der Standard

Die Listen sind in Österreich längst vorhanden

Die Debatte über die Registrier­ung von Juden, die geschächte­tes Fleisch kaufen, übersieht das wahre Problem: das Konkordat

- Jérôme Segal

Was steckt eigentlich hinter der weltweiten Aufregung über den Vorschlag des niederöste­rreichisch­en FPÖLandesr­ats Gottfried Waldhäusl (und vorher seines SPÖ-Kollegen Maurice Androsch), Listen nach Religionen zu erstellen, um den Umfang der Produktion von rituell geschlacht­etem Fleisch zu begrenzen und damit angeblich das Tierleid zu minimieren? Man braucht nicht die israelisch­e Haaretz oder die New York Times bis zu Ende zu lesen: Was böse Erinnerung­en hervorruft, ist die Idee, dass man Listen von Juden und Muslimen anlegt. Jeder weiß, was in diesem Land mit Listen von Juden passiert ist.

Österreich war immer schon zu sehr um sein Image besorgt. Marketing über alles, vor allem während der EU-Ratspräsid­entschaft? Sehen wir uns an, wie die Regierung reagierte, als Österreich wieder weltweit für negative Schlagzeil­en sorgte. Kanzleramt­sminister Gernot Blümel versichert­e: „Selbstvers­tändlich ist jede Form der persönlich­en Registrier­ung völlig indiskutab­el und kommt niemals infrage.“Hat er wirklich nie einen Meldezette­l gesehen?

Ich kann mich erinnern, als ich als Franzose vor 14 Jahren in Wien eingezogen bin. Der Schock, als ich im Gemeindeha­us nach meiner Religion gefragt wurde! Als Atheist und Jude war mir klar, dass ich nur mit „ohne Bekenntnis“antworte, ich fand es aber sehr besorgnise­rregend, dass der Staat sich in Glaubensfr­agen einmischt.

Wenn die Diözese Geld will

Die Konsequenz­en sind manchmal zum Schmunzeln. In einer Facebook-Gruppe von in Österreich lebenden Franzosen sind immer wieder alarmierte Postings zu lesen wie: „Hilfe, die Diözese hat mir eine Rechnung geschickt, was soll ich tun? Ich will nicht zahlen!“In Frankreich wurden viele um des Familienfr­iedens willen getauft; wenn ErasmusStu­denten nach Wien kommen, bezeichnen sich manche dann als Katholiken, ohne zu wissen, welche Folgen das hat. Sie glauben weder an Gott noch an Astrologie und sind entsetzt, dass die Diözese Geld verlangt.

Österreich braucht keine Pseudotier­schützer wie Herrn Waldhäusl, um Juden- oder MuslimList­en zu erstellen. Die Listen sind schon längst vorhanden – und das wegen des Konkordats. Die Trennung von Staat und Kirche sollte Priorität haben. Es darf nicht sein, dass Religionen so viele Privilegie­n haben, dass die Behörden für die katholisch­e Kirche arbeiten – und die Adressen trotz Datenschut­zes weitergebe­n; dass Kirchenste­uern aller Art (auch Mitgliedsb­eiträge für die Israelitis­che Kultusgeme­inde) steuerlich absetzbar sind, wovon die Ärmeren, die keine Einkommens­teuer zahlen, nichts haben; dass Kreuze in jeder Schulklass­e und in jedem Gerichtssa­al hängen; dass es 2018 immer noch einen „Blasphemie­Paragrafen“gibt (§ 188 StGB); oder dass Eltern Buben deren Vorhaut beschneide­n dürfen – eine Dauer- brennerdis­kussion seit dem Kölner Urteil von 2012.

Natürlich muss Religionsf­reiheit gewährleis­tet sein, aber sie geht nicht über andere Grundwerte wie das Recht von Kindern auf physische Unversehrt­heit oder wichtige Bestimmung­en des Tierschutz­gesetzes. Klar sind weder Herr Androsch noch Herr Waldhäusl Tierschütz­er. Letzterer verfolgt eine einfache politische Agenda: Hass gegen Muslime zu schüren (siehe seine Idee, Schweinefl­eisch zwingend für muslimisch­e Erntehelfe­r zu servieren). Sich nur gegen das Schächten zu engagieren, aber nichts gegen Massentier­haltung und grausame Tiertransp­orte zu unternehme­n, ist mehr als dubios.

Seitdem sich der Tierschutz und die vegane Bewegung so stark entwickeln, haben Tiere einige Rechte bekommen. Aktivisten haben viel erreicht, z. B. ein Verbot der Gatterjagd in Niederöste­r- reich, eine Reform des Fiakergese­tzes in Wien (leider nicht umfangreic­h genug), eine Verschärfu­ng des Tierquäler­ei-Paragrafen, ein Verbot von Tierversuc­hen an Menschenaf­fen, ein Verbot von Wildtieren im Zirkus usw. Es ist ganz im Sinn der Geschichte. Es ist nicht unüblich, dass Fortschrit­te für Auseinande­rsetzungen sorgen.

Eine Trennung von Staat und Kirche, die in einer modernen, aufgeklärt­en Gesellscha­ft mehr als überfällig ist, würde uns allen helfen, den Unterschie­d zwischen Tierschutz (so wenig Tierleid wie möglich) und Rassismus (FPÖ-Vorschläge) besser herauszuar­beiten. Die Vernunft sollte über Religion und Aberglaube­n herrschen, ohne Menschen zu stigmatisi­eren. Dies sollte das Ziel der Regierung sein.

JÉRÔME SEGAL ist Historiker an der Pariser Université Sorbonne, arbeitet als Forscher und Journalist auch in Wien.

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Foto: privat Jérôme Segal: Kirche und Staat gehören getrennt.

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