Der Standard

Neonazis bleiben in Deutschlan­d aktiv

Nach dem NSU-Prozess gibt es in Deutschlan­d keine Entwarnung. Zwar hat die Zahl rechter Gewalttate­n zuletzt abgenommen, doch Experten weisen auf das nach wie vor hohe Gefährdung­spotenzial der Szene hin.

- Birgit Baumann aus Berlin

Fällt das Urteil in einem Prozess – auch in einem spektakulä­ren –, dann wird es meist ruhiger. Der Fall verschwind­et wieder aus den Schlagzeil­en, das Thema gerät in Vergessenh­eit. Doch beim NSUProzess ist es anders. Beate Zschäpe ist am 11. Juli als Mittäterin an den zehn Morden des NSU zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Bis sich der Bundesgeri­chtshof in der Revision erneut mit dem Fall befasst, wird noch eine Weile vergehen. Und dennoch, das Thema bleibt allgegenwä­rtig.

Ob sie den Frust der Angehörige­n verstehen könne, wurde die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Freitag bei ihrer traditione­llen Sommerpres­sekonferen­z gefragt. Merkel antwortete ausführlic­h, sprach vom Leid der Angehörige­n, das auch ein Prozess nicht wiedergutm­achen könne. „Das Kapitel kann noch nicht geschlosse­n werden“, sagte sie dann. Die Familien der Opfer hätten „ein Recht darauf, dass die gesellscha­ftliche Diskussion, wie das passieren konnte, weitergefü­hrt wird“. Und sie sprach von einem „sehr dunklen Fleck in der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d“.

Dass dieser noch längst nicht getilgt ist, wird sich auch am Dienstag wieder zeigen. Da präsentier­t der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) den neuesten Bericht des Verfassung­sschutzes. 12.700 gewaltbere­ite Rechtsextr­emisten wurden im Jahr 2017 bundesweit verzeichne­t, 2016 waren es 12.100. Grundsätzl­ich geht der Verfassung­sschutz in Deutschlan­d von 24.000 Personen mit rechtsextr­emem Potenzial aus, ein Jahr davor waren es 23.100.

Weniger Brandstift­ungen

Immerhin ist die Zahl der rechtsextr­emen Gewalttate­n im vergangene­n Jahr stark zurückgega­ngen. Laut der Funke Mediengrup­pe, die vorab aus dem Bericht zitierte, sanken Delikte mit Körperverl­etzungen um mehr als 30 Prozent. Die Zahl der Brandstift­ungen, die mutmaßlich Rechtsextr­eme begangen haben, ging um mehr als 60 Prozent zurück, Gewalttate­n gegen Asylunterk­ünfte sogar um mehr als 70 Prozent.

Erklärbar ist dies zum einen durch die geringere Zahl von Flüchtling­en, die nach Deutschlan­d kommen. Zum anderen sieht der Verfassung­sschutz als Grund für den Rückgang „vermutlich auch die konsequent­e Verurteilu­ngspraxis vieler Gerichte bei entspreche­nden Gewalttate­n mit teils hohen Haftstrafe­n für die Täter“.

Für Aufsehen sorgte vor allem der Prozess gegen die rechtsextr­eme Gruppe Freital. Im März verurteilt­e das Oberlandes­gericht Dresden sieben Männer und eine Frau zu Haftstrafe­n zwischen vier und zehn Jahren. Der Gruppe wurden fünf im Jahr 2015 in Freital und Dresden (beides Sachsen) verübte Sprengstof­fanschläge auf Flüchtling­sunterkünf­te und politische Gegner zur Last gelegt. Verurteilt wurden sie wegen Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g, Herbeiführ­en von Sprengstof­fexplosion­en und versuchten Mordes.

Oberstaats­anwalt Jörn Hauschild von der Bundesanwa­ltschaft erklärte, der Gruppe sei es darum gegangen, „ein Klima der Angst und Repression“zu erzeugen. Ausländern wie politische­n Gegnern (aus dem linken Spektrum) hätten sie „das Recht abgesproch­en, in Frieden zu leben“. Nur durch Zufall sei niemand getötet worden.

Urteil mit „gewisser Signalwirk­ung“

Nach dem Urteil zeigte er sich erleichter­t und erklärte, vom Verfahren gehe „gewisse Signalwirk­ung“aus. Das galt allerdings erst ab dem Zeitpunkt, ab dem der Generalbun­desanwalt eingegriff­en und das Verfahren an sich gezogen hatte. Die sächsische Justiz hatte zunächst keine terroristi­sche Vereinigun­g erkennen und die Sprengstof­fanschläge vor dem Amtsgerich­t Dresden anklagen wollen.

Haftstrafe­n von mehreren Jahren gab es im März 2017 auch für drei Männer und eine Frau – alle Mitglieder der zuvor verbotenen Oldschool Society, die via Facebook zum „Krieg gegen Asylanten und deren Unterstütz­er“aufgerufen hatte. Die rechtsterr­oristische Vereinigun­g wollte Sprengstof­fanschläge auf Kindergärt­en, Schulen und den Kölner Dom verüben, um dies „Ausländern und Salafisten in die Schuhe zu schieben“. Der NSU sollte im Vergleich als „Kindergart­en“dastehen.

„Harte Strafen sind richtig und wichtig, denn der Staat muss Flagge zeigen“, meint auch der Politologe und Extremismu­sforscher Hajo Funke. Er warnt davor zu glauben, dass sich Verbrechen, wie sie der NSU begangen hat, nicht wiederhole­n könnten.

„Der NSU ging aus der Mischung von rechtsextr­emen, gewaltbere­iten Strukturen und der Entfesselu­ng rechtspopu­listischer Ressentime­nts in den Neunzigerj­ahren hervor“, sagt er und verweist auf die AfD, die die politische Debatte in Deutschlan­d verschärft habe: „Sie hetzt gegen Muslime und Geflüchtet­e.“

Auch Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen warnt davor, nach Ende des NSUProzess­es Entwarnung zu geben, und sagt über die rechtsextr­emistische Szene in Deutschlan­d: „Sinkende Gewaltzahl­en dürfen nicht über das anhaltend hohe Gefährdung­spotenzial hinwegtäus­chen.“

 ??  ??
 ?? Foto: Imago / Michael Trammer ??
Foto: Imago / Michael Trammer

Newspapers in German

Newspapers from Austria