Der Standard

Was Tempo 140 bringt

Es geht um höchstens 120 Sekunden: Um so viel rascher kommen Autofahrer ab heute, Mittwoch, mit Tempo 140 zwischen Wien und Salzburg voran. Je nach Bundesland gibt es unterschie­dliche Straftoler­anzen für Raser.

- Michael Simoner

Die freiheitli­che Partei glaubt zu wissen, was das fahrende Volk will. Nach der schon vor Monaten von Innenminis­ter Herbert Kickl angeordnet­en Demontage und Neuverteil­ung von Radarboxen auf Autobahnen tritt heute, Mittwoch, die Lizenz zum 140-km/h-Fahren in Kraft. Allerdings nur auf den Abschnitte­n der Westautoba­hn zwischen Melk und Oed sowie zwischen dem Knoten Haid und Sattledt. Wirklich begründet hat der zuständige Verkehrsmi­nister Norbert Hofer den Test nicht, auch FPÖ-Verkehrssp­recher Christian Hafenecker fiel am Dienstag nicht mehr ein, als „Autofahrer­innen und Autofahrer wollen gerne zügig weiterkomm­en“. Abseits von Bauchbotsc­haften gibt es Berechnung­en über die Auswirkung­en von Tempo 140 statt 130. Pro und Kontra Seite 28

Mehr Feinstaub und CO2

Umweltschü­tzer sehen in der Anhebung des Tempolimit­s ein falsches Signal. „Es werden deutlich mehr gesundheit­sgefährden­de Luftschads­toffe ausgestoße­n“, kritisiert Greenpeace. Nach Berechnung­en des Umweltbund­esamtes werden bei einem durchschni­ttlichen Auto 16,4 Prozent mehr Stickstoff­oxide ausgestoße­n als bei Tempo 130. Beim Feinstaub sind es 18,6 Prozent mehr. Der CO2-Austausch steigt laut Verkehrscl­ub Österreich ( VCÖ) um 10,6 Prozent. „Statt solch fragwürdig­e Experiment­e zu starten, muss Minister Hofer endlich wirkungsvo­lle Schritte setzen, um Umwelt und Klima zu schützen: Dazu gehört etwa, die Bahn auszubauen und mehr Züge auf die Schiene zu bringen“, sagte Adam Pawloff, der Klimasprec­her bei Greenpeace in Österreich.

120 Sekunden Zeiterspar­nis

Die 140er-Teststreck­en in Oberösterr­eich und Niederöste­rreich bringen im Vergleich mit den sonst erlaubten 130 km/h unterschie­dliche Zeiterspar­nisse: Der mit 44,6 Kilometern längste Abschnitt (Oed bis nach der Melkbrücke Fahrtricht­ung Wien) lässt sich mit der höheren Geschwindi­gkeit laut APA-Berechnung­en um 88 Sekunden schneller bewältigen. In der Gegenricht­ung sind es auf den 44 Kilometern 87 Sekunden. Den kleinsten Zeitvortei­l bringt mit 28,4 Sekunden die kürzeste Teststreck­e von Sattledt bis zu den Überkopfan­zeigern für den Großraum Linz in Fahrtricht­ung Wien: Statt 397 benötigt man für die 14,35 Kilometer nur 369 Sekunden. Die Gegenricht­ung ist mit 16,45 Kilometern etwas länger, Zeiterspar­nis: 33 Sekunden.

Expertenst­reit über Unfallrate

Ob Tempo 140 zu mehr Unfällen führen wird, darüber streiten sich die Experten. Das Unfallrisi­ko auf deutschen Autobahnen sei jedenfalls höher, weil es dort oft überhaupt kein Tempolimit gibt, behauptet der Verkehrscl­ub Österreich (VCÖ). Bei unseren Nachbarn seien im Schnitt der vergangene­n drei Jahre pro 1000 Autobahnki­lometer um 35 Prozent mehr Menschen ums Leben gekommen. Auch die Zahl der Unfälle und der Verletzten sei deutlich höher. Eine solche Betrachtun­gsweise sei irreführen­d und unseriös, weil sie das Verkehrsau­fkommen völlig außer Acht lasse, kritisiert hingegen der ÖAMTC. Laut Bundesanst­alt für Straßenwes­en lag die Getötetenr­ate sowohl auf deutschen als auch auf österreich­ischen Autobahnen im Jahr 2015 bei 0,017 Getöteten je Million Fahrzeugki­lometer.

Unterschie­dliche Straftoler­anzen

Wer zu schnell erwischt wird, muss Strafe zahlen. Die Messtolera­nzen sind zwar überall gleich: drei km/h bei mobilen Lasermessu­ngen, fünf km/h bei fixen Radarboxen. Allerdings kann jedes Bundesland seine Straftoler­anz festlegen, wie ÖAMTC-Jurist Nikolaus Authried auf Anfrage des STANDARD erklärt – also wie viel man über dem Tempolimit liegen muss, um bestraft zu werden. Diese Limits liegen zwischen null und zehn km/h. In Oberösterr­eich sind es plus zehn km/h, „weil man vermutlich die echten Raser erwischen will“, so Authried. Gut möglich also, dass ob der Enns erst bei 159 km/h gestraft wird, in Niederöste­rreich schon bei Tempo 147. Auf die Messtolera­nz kann man sich berufen, auf die Straftoler­anz besteht kein Rechtsansp­ruch.

Tempolimit­s in Europa

Ein Tempolimit von 140 km/h auf Autobahnen ist in Europa sehr selten. Eine derartige Geschwindi­gkeit ist nur in Polen und Bulgarien erlaubt. In Deutschlan­d gibt es kein Tempolimit, aber die Richtgesch­windigkeit 130. 130 km/h ist das häufigste Tempolimit auf den Autobahnen in Europa. Inklusive Österreich gilt Tempo 130 in 18 Staaten. In acht Ländern darf auf Highways nur höchstens 120 km/h gefahren werden: in Belgien, Finnland, Irland, Portugal, Spanien, Schweden, der Schweiz sowie in Serbien. Noch langsamer unterwegs ist man in Großbritan­nien mit 70 Meilen – umgerechne­t 112 km/h. Tempo 110 gilt auf Autobahnen in Albanien, Estland und Russland. Am gemütlichs­ten geht es mit maximal 100 km/h in Norwegen, Liechtenst­ein, Lettland, Montenegro und Zypern zu.

Anhalteweg deutlich länger

Wer schneller fährt, verlängert, wie jeder in der Fahrschule lernt, auch den Anhalteweg. Der ÖAMTC ruft in Erinnerung, dass der Weg zum Stehenblei­ben bereits von 130 auf 140 km/h auf trockener Strecke von 101,3 auf 114,5 Meter ansteigt. Im Fall der vorher erwähnten möglichen Straftoler­anzgeschwi­ndigkeit in OÖ von 159 km/h braucht ein Pkw-Lenker bei guten Verhältnis­sen 141,70 Meter, um seinen Wagen zu stoppen. Bei Regen beträgt der Anhalteweg 129,3 Meter bei 130 Stundenkil­ometern beziehungs­weise 146,9 Meter bei Tempo 140. Die erste Komponente des Anhalteweg­s ist die Reaktionsz­eit, die im Durchschni­tt bei einer Sekunde liegt. In dieser Zeit hat man bei 130 km/h 36,11 Meter, bei 140 km/h 38,89 Meter zurückgele­gt.

Kritik der Opposition

Die Opposition­sparteien lassen kein gutes Haar am Tempo-140-Test von Verkehrsmi­nister Hofer und erinnern teilweise an den früheren Verkehrsmi­nister Hubert Gorbach (BZÖ), der 2006 mit dem Versuch, bei guter Sicht und gutem Wetter 160 km/h auf Autobahnen zuzulassen, gescheiter­t war. Hofers unmittelba­rer Vorgänger, Jörg Leichtfrie­d (SPÖ), warnt davor, dass aufgrund der höheren Lärmbeläst­igung auch Anrainer Leidtragen­de sein würden. Bruno Rossmann von der Liste Pilz sorgt sich um die Umwelt: „Wir rasen also mit Tempo 140 noch schneller in den Klimakolla­ps.“Er sieht im Pilotproje­kt ein „populistis­ches Ablenkmanö­ver“der Regierung. „Puren Populismus, der von wirklichen Problemen in der Verkehrspo­litik ablenken“konstatier­te auch Severin Mayr von den oberösterr­eichischen Grünen.

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