Der Standard

Die Pappe, das Blech und der Störlaut

Was heute eine Herausford­erung ist: ein Ritter ohne Körper für Louise Lecavalier, ein so begnadeter wie leerer Niemand auf seiner Insel bei Meg Stuart respektive die Avantgardi­stin Valeska Gert für Eszter Salamon und Jule Flierl. Vier Frauen mit Nerven ho

- Helmut Ploebst

Für Louise Lecavalier und Meg Stuart sind Hohlräume in Männerklis­chees die wahre Inspiratio­n. Sozusagen in die Gegenricht­ung blicken Eszter Salamon und Jule Flierl. Sie befassen sich mit der wohl eigenwilli­gsten Künstlerin der deutschen Tanzavantg­arde: Valeska Gert.

Wie zu erwarten, dringt Lecavalier in ihrem Duett Battlegrou­nd – vom 6. bis zum 8. August –, und Stuart dringt in dem Solo Blessed – vom 8. bis zum 10. August – mit Genuss hinter die Fassaden des sozialen Geschlecht­s Mann vor.

Die aus den USA stammende belgische Choreograf­in Meg Stuart zeigt einen „begnadeten“Einzelgäng­er, getanzt von dem Portugiese­n Francisco Camacho, der seine eigene Pappendeck­elwelt genießt: eine Insel unter der Sonne mit Häuschen, Palme und einem eigenen Schwan.

Das könnte ebenso ein entgleiste­r Wunschtrau­m sein wie ein astreiner Nachtmahr. Das Häuschen ist bedrückend klein geraten, die Palme allzu niedrig, und der Schwan macht keinen Mucks. Angenommen, Stuart hat Blessed von Anfang bis Ende als Albtraum entworfen, dann ist das Szenario schlicht perfekt.

Hat sie das Stück aber als Satire gedacht, käme eine Ebene ins Spiel, auf der sich die Künstlerin über die Fetischisi­erung des materielle­n Glücks lustig macht. Jedenfalls bleibt die putzige Schreberin­sel nicht, wie sie anfangs ist. Und zunehmend zeigt sich: Stuarts Glücksritt­er ist so hohl wie sein Glück ein Vogerl.

Tanz auf dem Schlachtfe­ld

Damit stellt sich eine Verbindung zwischen Blessed und Battlegrou­nd von Louise Lecavalier her. Denn hinter deren Tanz auf dem Schlachtfe­ld steht Italo Calvinos Buch Der Ritter, den es nicht gab. Das heißt, es gibt ihn, den Agilulf, aber nur in Form einer leeren Rüstung, die spricht und sich bewegt.

Der körperlose Blechmann ist genau der richtige Anreiz für die 59-Jährige, die in den 1980er-Jahren als Tanztornad­o der kanadische­n Company La La La Human Steps weltberühm­t geworden war: „Ich mag Herausford­erungen. Es ist schon schwer, ein normaler Mensch zu sein – darüber formu- liere ich oft Bewegungsm­etaphern.“In der Kampfzone namens Bühne lässt sie die Normalität zusammen mit dem Tänzer Robert Abubo, dessen Bühnenfigu­r von Agilulfs Knappen Gurdulù abgeleitet ist, kippen.

Für die Avantgarde­tänzerin Valeska Gert (1892–1978) zum Beispiel war dieses Kippen selbstvers­tändlich. Sie gehörte zu jenen Künstlerin­nen, die das dem Wohl des männlichen Blicks dienende Stereotyp der edlen Tänzerin am gründlichs­ten dekonstrui­erte und konterkari­erte.

Daher ist es auch heute eine Herausford­erung, sich künstleris­ch mit Gerts Werk auseinande­rzusetzen. Die beiden Choreograf­innen Eszter Salamon und Jule Flierl haben sich getraut. Salamon rückt ein Valeska-Gert-Museum ins Mumok, Flierl erweckt Gerts Stimmtänze zu neuem Leben.

Salamons Monument 0.3: The Valeska Gert Museum ist noch bis 4. August zu sehen, und Flierl bringt die Wirkungen von Gerts Tontanz-Stücken am 9. und 11. August unter dem Titel Störlaut ebenfalls ins Mumok.

Orte und Zeiten siehe Programm Seiten I 4 und I 5

 ??  ?? Jule Flierl (unten) bringt Tontänze von Valeska Gert mit passender Mimik ins Mumok, und Louise Lecavalier (oben links) füllt einen Ritter ohne Körper mit ihrem Kampfgeist.
Jule Flierl (unten) bringt Tontänze von Valeska Gert mit passender Mimik ins Mumok, und Louise Lecavalier (oben links) füllt einen Ritter ohne Körper mit ihrem Kampfgeist.
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