Der Standard

Louises Tanz auf einem Schlachtfe­ld

Was heute radikal ist: das Licht und die Einfachhei­t für Salva Sanchis, der Narzissmus und die schwierigs­te Frage der Welt bei Ivo Dimchev respektive der unaufhalts­am immer näher rückende Tod bei Mark Tompkins. Drei Männer ohne Nerven fühlen dem Leben auf

- Andrea Heinz

Mit dem Radikalen ist es immer so eine Sache. Wirkt es denn wirklich noch so arg schockiere­nd, sich auf der Bühne auszuziehe­n, mit Fäkalien und Geschlecht­errollen zu spielen?

Oder ist das, in Zeiten, die so entsetzlic­h komplex geworden sind, dass manche Menschen unter diesem Druck völlig unverschul­det zu besorgten Bürgern mutieren, nicht eigentlich schon komplett marktkonfo­rm und höchstens noch „radikal“neoliberal?

Salva Sanchis ist da schon viel weiter. Radical Light, das am 5. August im Volkstheat­er läuft und bereits letztes Jahr zu sehen war, ist radikal – einfach. Fünf Tänzerinne­n und Tänzer, inklusive des Choreograf­en selbst, bewegen sich zu Minimal Techno, 120 Beats pro Minute.

Radikal ist, dass Sanchis sich schlicht auf die Grundkonst­anten des Tanzes verlässt: Rhythmen, Körper und die Bewegungen, die diese vollziehen können. In dieser Einfachhei­t ist Radical Light ein Fest. Gefeiert wird das Wunderwerk des menschlich­en Körpers.

Eher sich selbst feiert Impulstanz-Haudegen Ivo Dimchev, den man durchaus als radikal im herkömmlic­hen Sinne bezeichnen kann. Mit Einfachhei­t hat er es nur bedingt. Dafür steht er sich selbst sehr nahe. In einem Porträt der Hamburger Wochenzeit­ung Die Zeit wurde er einmal als „hemmungslo­ser Narzisst“bezeichnet.

Da passt es gut, dass er sich in seiner neuesten Arbeit des bevorzugte­n Darstellun­gsmittels eines jeden ordentlich­en Narzissten bedient: des Selfies.

Mach ein Bild von dir mit Ivo

Das Konzertfor­mat Ivo Dimchev, A Selfie Concert am 6. und 9. August im Mumok sieht so aus: Dimchev singt, das Publikum kann indes fortwähren­d Selfies mit ihm machen. Man darf getrost davon ausgehen, dass hier ein neuer Trend geschaffen wird, der bald die großen Bühnen der Welt erreicht haben wird. Seien Sie dabei!

Die Bedingunge­n des eigenen Performanc­eschaffens erkundet Dimchev gemeinsam mit einer Forschungs­gruppe am 10. August im Research-Project-Showing Voilà – the most important thing in the universe. Und mit dem Titel geht es auch schon los: Was ist denn nun das Wichtigste im Universum? Geht es um Ästhetik oder Geld, um Didaktik, Informatio­n oder Unterhaltu­ng? Dimchev und seine Gruppe untersuche­n hier Fragen, die sich wahrlich alle Kunstschaf­fenden stellen sollten – und deren Vernachläs­sigung oft genug zu schweren künstleris­chen Fehltritte­n führt.

Ob Mark Tompkins wohl auch auf solche zurückblic­kt? Davon ist nicht auszugehen, in jedem Fall aber wirft der amerikanis­chfranzösi­sche Sänger, Tänzer und Choreograf in Stayin Alive am 4. August einen Blick auf die Relikte seiner langen Karriere. Und er schaut vor allem nach vorn, wo ein immer näher rückender Tod wartet.

Eine lange Karriere kann natürlich nur haben, wer auch ein entspreche­ndes Alter erreicht, inklusive Verfalls, Gebrechen, Trauer und Verlusts. Da können sich die Performer und Performeri­nnen dieser Welt noch so abmühen: Am Ende ist halt nichts radikaler als das Leben selbst. Orte und Zeiten siehe Programm Seiten I 4 und I 5

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Diese Tänzer in Salva Sanchis’ „Radical Light“haben den Beat, die Scheinwerf­er, den Rhythmus und den Tanz. Ivo Dimchev (unten) hat sich, sich, sich – und sein Publikum.
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