Der Standard

Kritik nach Polizeiaus­stieg

Zehn- Seiten-Bericht lieferte Grundlage für Aufkündigu­ng der Besprechun­gen durch Exekutive – Interventi­onsstellen fordern Ersatz

- Vanessa Gaigg, Irene Brickner

Interventi­onsstellen fordern Ersatz nach dem Ausstieg der Polizei aus einem Gewaltschu­tzprojekt, den Marac-Konferenze­n.

Wien – Eine Frau lebt schon mehrere Jahre in einer Gewaltbezi­ehung, ihr Mann schlägt sie regelmäßig. Nachdem die Polizei nach einem Zwischenfa­ll in der Wohnung war, rät sie ihr, den Partner anzuzeigen. Sie ringt sich dazu durch und kündigt auch die Trennung an.

„Solche Zeitpunkte sind oft der Anlass für Gefährder, auszuraste­n“, sagt Rosa Logar von der Interventi­onsstelle gegen Gewalt zum STANDARD. Um die Wahrschein­lichkeit zu erhöhen, die Gefährder an diesem Punkt zu stoppen, wurden 2011 in Wien die sogenannte­n Marac-Konferenze­n ins Leben gerufen. Das Ziel: Polizei und Opferschut­zeinrichtu­ngen wie die Interventi­onsstelle tauschen sich aus und besprechen mögliche Maßnahmen. Aus diesem Vorhaben stieg die Polizei aus und kündigte an, das Projekt evaluieren zu wollen. Das Ergebnis: Es ist kein Mehrwert für die Polizei erkennbar, verkündete das Innenminis­terium.

Wunsch nach Federführu­ng

Die Grundlage dafür lieferte ein zehn Seiten starker Evaluierun­gsbericht auf Basis von Dokumenten und Interviews mit 14 involviert­en Beamten, den allerdings auch die Interventi­onsstelle bis vor kurzem nicht zu Gesicht bekam. Seit dieser Woche liegt der Bericht nun vor. In der aktuellen Form sei es „nicht angeraten“, das Projekt in den „operativen Alltag der LPD Wien“überzuführ­en, heißt es darin. Bemängelt wird vor allem, dass die Interventi­onsstelle die „gesamte Gestaltung­smöglichke­it“bei den Sitzungen hatte. Es solle jedoch „die Behörde die Federführu­ng innehaben“.

Natürlich sei die Polizei federführe­nd beteiligt gewesen, sagt Logar: Die Interventi­onsstelle habe zwar die bürokratis­che Arbeit übernommen, etwa Protokolle verfasst. Aber: „Das Projekt wurde gemeinsam mit der Leitungseb­ene der Polizei auf die Füße gestellt – anders wäre es gar nicht möglich gewesen.“Auch das Ziel der Konferenze­n sei verfehlt worden, meint die Polizei: Es sei- en „nahezu ausschließ­lich“keine Hochrisiko­fälle besprochen worden. Logar verweist auf die zwanzig wissenscha­ftlichen Kriterien, die allen Teilnehmer­n als Grundlage dienten: „Man kann sich nicht auf das Bauchgefüh­l verlassen. Man muss hier diagnostis­ch vorgehen – wie in der Medizin.“

Außerdem hält der Bericht fest, dass die Polizei, da sie mit allen Involviert­en Kontakt hatte, die Sachlage objektiv beurteilen könne. Ob die Exekutive mit Hochrisiko­fällen allein tatsächlic­h ebenso effizient umgehen kann wie vernetzt mit NGOs, wagt der Soziologe und Sicherheit­sexperte Reinhard Kreissl zu bezweifeln: „Menschen, die in einem Frauenhaus arbeiten, sind der Situation der Gewaltbetr­offenen näher“, sagt er im STANDARD- Gespräch.

Problemati­sch an der Aufkündigu­ng der polizeilic­hen Mitarbeit sei, „dass so ein Alleinstel­lungsmerkm­al des Gewaltschu­tzes in Österreich verlorenge­ht: die über Jahre aufgebaute gute Kooperatio­n zwischen Exekutive und Zivilgesel­lschaft“. Dadurch falle die Polizei in die Rolle als ausschließ­liche Hüterin der Ordnung zurück.

Einen Ersatz für die Treffen gibt es bisher nicht. Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler (ÖVP) kündigte an, Erfahrunge­n in die „Taskforce Strafrecht“einfließen lassen zu wollen. „Wir brauchen den Austausch jetzt“, sagt Logar. „Wir können jeden Tag mit Hochrisiko­fällen konfrontie­rt sein.“

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