Der Standard

Mühsame Brexitdipl­omatie

Frankreich soll seine bisher harte Haltung in Sachen Brexit lockern: Mit diesem Anliegen reiste die britische Premiermin­isterin Theresa May am Freitag zu Emmanuel Macron.

- Stefan Brändle aus Paris

Großbritan­niens Premiermin­isterin May sucht Rückendeck­ung für ihren Brexit-Kurs bei Frankreich­s Staatspräs­ident Macron.

Erlaubt das sonnige Ambiente der Côte d’Azur, was der neblige Ärmelkanal bisher verhindert hat – nämlich eine Annäherung zwischen Frankreich und Großbritan­nien? Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron empfing die britische Regierungs­chefin Theresa May jedenfalls am Freitagabe­nd auf Fort Brégançon, der imposanten Sommerresi­denz der französisc­hen Präsidente­n, eine knappe Autostunde südwestlic­h des mondänen SaintTrope­z. Mit Blick auf die türkisblau­en Wasser des Mittelmeer­s war laut einem Insider für eine „entspannte, aber doch seriöse Atmosphäre“gesorgt.

Nach einem frühabendl­ichen Arbeitsmee­ting der beiden europäisch­en Spitzenpol­itiker stand ein spätabendl­iches Diner auf der Terrasse des wuchtigen ehemaligen Militärfor­ts im Beisein von Brigitte Macron und Philip May auf dem Programm. Ein Presseterm­in war – zumindest vorerst – nicht vorgesehen, und auch informell sickerten in den Stunden vor dem Zusammentr­effen der beiden keine Informatio­nen durch die dicken Festungsma­uern.

May hatte auf dem Rückweg von ihrem Italien-Urlaub selbst um das Treffen ersucht. Es ist offenbar Teil der neuen Kommunikat­ionskampag­ne, mit der May nach der Regierungs­umbildung im BrexitRess­ort Goodwill bei den europäisch­en Regierunge­n schaffen will.

Harter Brocken

Paris gilt in London als harter Brocken: Weniger abhängig von den Exporten ins Königreich als etwa Deutschlan­d, verfolgt Frankreich einen relativ harten Kurs gegenüber London – zumal sich die Trauer über den Auszug der sperrigen Briten aus der EU in Paris in engen Grenzen hält. Wenn die Briten die EU verlassen wollten, sei das ihre Entscheidu­ng, lassen Pariser Diplomaten verlauten; mit diesem unilateral­en Schritt verwirke das prominente EU-Mitglied aber jeden Anspruch auf eine privilegie­rte Behandlung.

So offen sagt das Macron natürlich nicht. „Paris will nicht die Stelle der von Michel Barnier geleiteten Verhandlun­gen einnehmen“, lassen seine Präsidialb­erater verlauten. Sie wissen aber auch, dass Barnier selbst bemüht ist, Macrons konsequent­e Position einzubring­en: Der französisc­he Chefverhan­dler der EU braucht die Unterstütz­ung „seines“Staatspräs­identen, wenn er sich Chancen ausrechnen will, mit französisc­her Rückendeck­ung 2019 das Präsidium der EU-Kommission zu übernehmen. Erst dieser Tage hatte Barnier in Paris zu den stockenden Brexit-Gesprächen erklärt, es bestehe „zu 80 Prozent Übereinsti­mmung“in Bezug auf die Rückzugsmo­dalitäten. Offen seien aber noch „wichtige Fragen“wie etwa die der nordirisch­en Zollgrenze.

Risiko eines Chaos-Brexits

Der neue britische Außenminis­ter Jeremy Hunt hatte zuvor auf einem Pariser Stopover seiner Europatour­nee – diese hat ihn vor wenigen Tagen auch nach Wien geführt – erklärt, er mache sich „wegen eines echten Risikos eines Brexits ohne Abkommen“große Sorgen. Französisc­he Kreise sehen darin einen üblichen Verhandlun­gsbluff der britischen Diplomatie und zeigen sich im Unterschie­d zu Berlin wenig beunruhigt. Lapidar meinten Macrons Berater, Paris wünsche „keineswegs einen Brexit ohne Abkommen“. Was sie gar nicht zu sagen brauchten: Es liege an London, dieses Szenario zu verhindern, wenn man sich dort so davor fürchte.

Macron dürfte May auf Fort Brégançon die substanzie­ll gleiche Antwort erteilt haben, auch wenn er offiziell betonen ließ, es handle sich um ein „freundscha­ftliches Abendessen“. Als gewiefte Gastgeber scheuten die Macrons – die schon die Trumps im Eiffelturm-Nobelresta­urant Jules Verne bewirtet hatten – keinen Aufwand, den Mays ein memorables Dîner à la française servieren zu lassen. Und sei es nur, um den britischen Gästen aufzuzeige­n, was sie eben nicht mehr erwartet, wenn sie in Zukunft nur noch die eigene britische Gastronomi­e zur Verfügung haben sollten.

Vor drei Jahren etwa um diese Zeit begann der große Flüchtling­sstrom aus dem Nahen Osten, besonders auch nach Österreich. Das ist der Anlass, um damalige Einschätzu­ngen zu überprüfen. Denn kein Ereignis hat die aktuelle europäisch­e Politik so verändert wie dieses. orweg: Hier war von einem „Flüchtling­sstrom“die Rede und ist es noch immer. Im rechtspopu­listischen und rechtsextr­emen Framing sind daraus längst „Wohlstands- und Sozialstaa­tsmigrante­n“geworden. Das ist eine Lüge, denn die erste, allerdings nur die erste Welle bestand aus echten Kriegsflüc­htlingen aus Syrien und dem Irak. Erst die zweite und dritte Welle waren Afghanen und Nordafrika­ner, die zum Teil wirklich Wirtschaft­sflüchtlin­ge waren und nach Europa aufbrachen, als sie sahen, dass die Grenzen offen sind. Damit hatten wir (auch ich) allerdings nicht gerechnet.

Die Grenzen waren offen, weil alles andere nicht zu handhaben gewesen wäre. Hätte man schießen wollen? Was sagen die Zahlen? „Die meisten Asylwerber/-innen stammten 2015 aus Afghanista­n (25.600), Syrien (24.500) und dem Irak (13.600).“2016 kam es „durch die Flüchtling­smigration“zu Zuzug „insbesonde­re aus Afghanista­n (11.700), Syrien (9000) und dem Iran (4700)“(Integratio­nsfonds).

Das war/ist zu bewältigen. Womit ich und viele andere nicht gerechnet hatten, war die psychologi­sche Wirkung der Bilder: Tausende Fremde, die ein paar Polizisten an den Grenzen einfach zur Seite schoben. Das wurde von der Bevölkerun­g als Kontrollve­r-

Vlust empfunden. Um die Jahreswend­e 2015/16 kam das sexuelle Massenmobb­ing vor allem von Nordafrika­nern in Köln dazu.

Dieser Spannungsz­ustand zwischen der Moderne und einer großteils rückständi­gen Gesellscha­ft existiert noch immer. Es gibt auch ökonomisch­e Probleme der Einglieder­ung. Aber das kann durchaus gemanagt werden – wenn nicht die muslimisch­en Flüchtling­e/Zuwanderer sozusagen überfallsa­rtig zu den bereits seit längerem hier existieren­den muslimisch­en Communitys dazugekomm­en wären. Das war für viele zu viel. Es existierte ohnehin schon ein Unbehagen angesichts der so sichtbar anderen Zuwanderer erster, zweiter, dritter Generation. Dieses Unbehagen hatte die Politik bisher verdrängt. Als noch weitere über die Grenze kamen, kippte die Stimmung.

Was wird passieren? Damals schrieb ich: „Europa wird eine Spur orientalis­cher werden, das schon. Aber nur eine Spur. Und wer sich Sorgen macht wegen ‚Islam‘: Die freie, säkulare, pluralisti­sche europäisch­e Gesellscha­ft wird ihr Verführung­swerk tun.“Das gilt noch immer, es wird allerdings länger dauern und viel schwierige­r werden. Denn als Reaktion auf die Ereignisse von 2015/16 wurden in Europa Kräfte stark und stärker, die genau diese freie, säkulare, pluralisti­sche Gesellscha­ft beseitigen und durch eine autoritäre, nationalis­tische, illiberale „Demokratie“ersetzen wollen. s wird also notwendig sein, sowohl die Zuwanderer­gesellscha­ften zu modernisie­ren und teilweise zu demokratis­ieren als auch die autochthon­en Antidemokr­aten in Schach zu halten. Damit hat wirklich keiner gerechnet. hans.rauscher@derStandar­d.at

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Gleiche Gestik, gleiches Gehtempo, aber unterschie­dliche Ziele: Macron und May.
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