Der Standard

Was der Klimawande­l den Bauern abverlangt

Es ist heiß und trocken, Gewitter entladen sich explosions­artig – und das über längere Perioden: Daran müssen sich Österreich­s Bauern gewöhnen. Die Zukunft ist der Anbau neuer Sorten, insbesonde­re von Soja und Reis.

- ANALYSE: Alexander Hahn, Nora Laufer

Es ist nicht mehr ganz Stadt, aber auch noch nicht Land: In Wien-Simmering, ein paar Straßenzüg­e vom Zentralfri­edhof entfernt, wird auf Feldern und in Glashäuser­n tonnenweis­e Gemüse angebaut: Salat, Tomaten, Gurken, Zucchini, Feigen. Feigen? Tatsächlic­h. Vor zwölf Jahren haben die Gartenarch­itektin Ursula Kujal und der Gärtner Garald Thiesz ein Experiment gewagt: Im kontinenta­len Klima von Wien eine Frucht anzubauen, die eigentlich in wärmeren Gefilden wächst: „Wir haben damals nicht gewusst, was auf uns zukommt“, sagt Kujal über die Anfänge mit dieser für heimische Verhältnis­se exotisch anmutenden Frucht. „Es war völlig verrückt, jeder hat uns ausgelacht.“

Angesichts der Hitze, die in den vergangene­n Wochen in Österreich geherrscht hat, ist wohl so einigen Kritikern das Lachen vergangen. Nicht nur die heimische Bevölkerun­g, auch Österreich­s Landwirtsc­haft muss sich künftig auf wärmere Temperatur­en einstellen. Lange Dürreperio­den und Starkregen­fälle stellen die österreich­ische Flora vor ganz neue Herausford­erungen.

Wer dieser Tage also schwitzend durch Simmering fährt, wird sich nicht darüber wundern, dass hier Feigen wachsen. Man würde auch Kokospalme­n erwarten. Aber die Herausford­erung für die Biobauern ist nicht der Sommer, sondern der Winter. Schließlic­h geht es weniger um Durchschni­ttswerte als um die Temperatur­spitzen. Wohl würden die winterhart­en Feigensort­en einiges an Minustempe­raturen aushalten. „Aber nicht drei Wochen lang, dann wird es kritisch“, schränkt Thiesz ein. Die zwei Landwirte mussten sich daher in den vergangene­n zwölf Jahren erst Schritt für Schritt das Know-how im Umgang mit den Feigenbäum­en im heimischen Klima aneignen, deren Früchte in der Erntesaiso­n frisch ab Hof, darüber hinaus auch verarbeite­t feilgebote­n werden.

Die Simmeringe­r Feigen sind bei weitem nicht die einzigen Exoten auf heimischen Böden: Auch Reis, Wasabi, Melonen, Zitrusfrüc­hte oder Kiwis werden bereits angebaut. Diese Pflanzen dürften sich künftig noch wohler fühlen: Schließlic­h hat die Durchschni­ttstempera­tur seit Beginn der Industrial­isierung durch den Ausstoß an Treibhausg­asen global um etwa ein Grad zugelegt. Österreich ist noch stärker betroffen.

Ungewöhnli­che Bedingunge­n

Bereits jetzt hat der Klimawande­l seine Spuren in der heimischen Landwirtsc­haft hinterlass­en. Während der Süden und der Osten Österreich­s seit Wochen mit Hitze und Starkregen kämpfen, setzt die extreme Trockenhei­t der Vorarlberg­er Landwirtsc­haft massiv zu: Bei Heu kam es zu Ernteeinbu­ßen bis hin zum Totalausfa­ll, Gemüsebaue­rn fürchten kleinere Äpfel und Erdäpfel. Solche Bedingunge­n habe man noch nie erlebt, heißt es aus der Landwirtsc­haftskamme­r Vorarlberg.

Laut Hans-Peter Kaul, dem Leiter der Abteilung für Nutzpflanz­enwissensc­haften der Universitä­t für Bodenkultu­r, wird sich die Landwirtsc­haft aber genau auf diese Bedingunge­n einstellen müssen. 2018 ist für ihn bisher ein „Prototyp-Jahr“, das einen Vorgeschma­ck auf die klimatisch­e Zukunft gibt: Es wurde früh im Jahr warm, darauf folgten Hitzewoche­n im Sommer. Dazwischen kam es immer wieder zu Starkregen­niederschl­ägen. Das Wasser ist aufgrund der hohen Temperatur­en aber meist verdunstet, ohne in den Boden einzudring­en.

Anfang Juli zog die Hagelversi­cherung über das heurige Frühjahr, das wärmste seit Beginn der Messgeschi­chte in Österreich, eine kostspieli­ge Bilanz: Während der Norden des Landes unter Trockenhei­t mit einem Niederschl­agsdefizit von bis zu 80 Prozent zu kämpfen hatte, sorgten Unwetter und sintflutar­tige Starkregen­ereignisse im Süden und Osten für Ernteausfä­lle. Die Schäden durch Dürre beziffert die Hagelversi­cherung mit 80 Millionen Euro, Hagel und Überschwem­mungen kosteten die Landwirtsc­haft 25 Millionen. Dazu kommen weitere fünf Millionen Euro, die von Schädlinge­n wie dem Rübenrüsse­lkäfer vertilgt wurden.

Allerdings stehen diesen Wetterkapr­iolen, die für die Versicheru­ng zunehmend die Normalität darstellen, erfreulich­e Entwicklun­gen gegenüber. Die steigenden Temperatur­en verlängern die jährliche Vegetation­speriode derart, dass Kaul zufolge „Zweifrucht­systeme“möglich werden, also zwei Ernten pro Jahr. Dabei werden bereits im Herbst Winterunge­n traditione­ller Sommerkult­uren gesät, welche die Feuchte der kalten Jahreszeit nutzen und mit dem Wachstum früh fertig sind. Nach dem Anbau von Winterbrau­gerste oder -erbsen können darauffolg­end Mais oder Sojabohnen gesät werden.

Soja befinde sich als wärmeliebe­nde Pflanze bereits jetzt stark im Vormarsch, ergänzt Kaul. Vor 15 Jahren sei die Hülsenfruc­ht in Österreich auf rund 10.000 Hektar angebaut worden, heute seien es bereits 67.600 Hektar. Kaul rechnet damit, dass bald die Marke von 100.000 Hektar erreicht wird. „Dann wäre es nach Weizen und Mais die am drittstärk­sten verbreitet­e ackerbauli­che Nutzpflanz­e in Österreich“, sagt der Professor.

Vom Klimawande­l grundsätzl­ich begünstigt sind sogenannte C4-Pflanzen, die eine etwas andere Art der Fotosynthe­se nutzen als die hierzuland­e weitverbre­iteten C3-Pflanzen – und besser mit Hitze und Trockenhei­t zurechtkom­men. Das Problem: Es gibt nur wenige C4-Nutzpfanze­n wie etwa Mais, Hirse oder auch Amarant.

Wird Österreich im Zuge des Klimawande­ls in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunder­ts also zur Bananenrep­ublik? Keineswegs, sagt Wissenscha­ftler Kaul. Denn etliche Exoten wie Bananen kommen mit Winterfros­t nicht zurande, andere, wie Feigen, werden weiterhin Raritäten bleiben. Auch der Anbau von Süßkartoff­eln oder Kichererbs­en sollte grundsätzl­ich möglich sein. „Es wird interessan­te Nischen für spezialisi­erte Betriebe geben, die davon gut leben können“, erklärt Kaul, „aber das ist nichts für die breite Landwirtsc­haft.“Nur einem Neuling räumt er auf heimischen Böden größeres Potenzial ein: „Reis wird zunehmend ein Thema, das könnte mehr werden.“

Dennoch: So richtig tropisch wird es in Österreich in den kommenden Jahrzehnte­n nicht werden. Christoph Matulla von der Forschungs­gruppe Klimafolge­n des ZAMG, der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik, geht davon aus, dass in Österreich aufgrund seiner kontinenta­len Lage in hundert Jahren in etwa ein Klima wie im nördlichen Balkan herrschen könnte.

Für hierzuland­e noch häufig angebaute Pflanzen wie Kartoffeln könnte es künftig problemati­scher werden. Diese vertragen Hitze nicht gut und stellen das Knollenwac­hstum ein. „Zu heiß darf es für Erdäpfel nicht werden“, erklärt Kaul.

Aber nicht nur Pflanzen gedeihen bei warmen Wetter oft besser, sondern auch deren Feinde: Schädlinge wie der Borkenkäfe­r könnten sich künftig nicht nur schneller entwickeln, innerhalb einer Ernteperio­de können auch mehrere Generation­en entstehen. Auch der längere Vegetation­szyklus birgt Herausford­erungen: Pflanzen entwickeln sich bereits früh im Jahr, wenn die Nächte noch lang – und mitunter frostig – sind.

Neue Sorten werden angebaut

Insgesamt dürften Nutzpflanz­en, die heute auf Österreich­s Äckern wachsen, aber auch in den nächsten hundert Jahren nicht verschwind­en. Landwirte müssen sich vielmehr auf andere Sorten spezialisi­eren, die resistente­r gegenüber Hitze und Trockenhei­t sind. Schwierige­r wird es für Bauern, die mehrjährig­e Pflanzen, wie zum Beispiel Wein, anbauen. Sie können nicht so schnell zu anderen Sorten wechseln. In Österreich könnte sich das Weinsorten­spektrum in den kommenden Jahrzehnte­n deshalb verschiebe­n. Dabei spielen aber auch Konsumente­nwünsche eine große Rolle. Für Winzer gibt das heurige „Prototyp-Jahr“jedenfalls einen Vorgeschma­ck auf die Zukunft: Die Weinernte beginnt heuer – so früh wie nie zuvor – bereits Ende August.

„Im Grunde ist das in Bezug auf die Vegetation­speriode nicht so schlecht für die Landwirtsc­haft“, fasst Matulla zusammen. Zumindest in Österreich, denn südlich der Alpen stellt sich die Entwicklun­g anders dar. In ohnedies schon von Hitze und Trockenhei­t geplagten Ländern wie Spanien und Italien wird sich die Lage weiter verschärfe­n – mit entspreche­nd negativen Folgen für die dortige Landwirtsc­haft.

Regional gibt es allerdings große Unterschie­de, erklärt Klimaexper­te Matulla. Beim europäisch­en Alpenraum – und damit auch Österreich – handelt es sich dem Klimatolog­en zufolge um eine sensible Region, in der die Temperatur­zunahme bis jetzt bereits zwei Grad betrage. Während früher Schnee und Eis auf Gletschern die Sonnenener­gie zurückrefl­ektiert haben, absorbiert der dort freigegebe­ne Boden nun die Hitze – und es wird wärmer. „Das ist eine massive Veränderun­g in kurzer Zeit, wie wir sie bisher noch nicht erlebt haben“, sagt Matulla.

Bereits angestoßen­e Prozesse sorgen dafür, dass sich die Entwicklun­g bis auf weiteres fortschrei­ben wird – unabhängig davon, wie die Menschheit mit dieser Herausford­erung umgeht. „Bis 2050 ist der Zug abgefahren“, erklärt Matulla. Erst dann bewegen sich die Kurven der von zwei verschiede­nen Entwicklun­gspfaden angetriebe­nen Klimamodel­le – eines für Weitermach­en wie bisher und das andere für eine klimafreun­dliche Politik – langsam auseinande­r (siehe Grafik). Die schlechte Nachricht: „Alle aktuellen Klimaszena­rien erfüllen das Klimaziel nicht, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.“

Diese düsteren Prognosen haben am Wiener Feigenhof keine große Rolle gespielt, vielmehr wollten die Pächter Kujal und Thiesz einfach etwas anderes versuchen. Daher werden in ihrem Betrieb heute auch Granatäpfe­l und Kakis angebaut. „Wir sind ein Aushängesc­hild geworden, weil es hier irgendwie anders ist“, sagt Gartenarch­itektin Kujal. Aber nicht nur. Neben den Exoten sprießt auch am Feigenhof ganz normales Biogemüse aus der Simmeringe­r Erde.

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