Der Standard

„Eine intellektu­elle Sommerfris­che“

Am 19. August startet das Europäisch­e Forum Alpbach mit den Gesundheit­sgespräche­n. Geschäftsf­ührer Philippe Narval wünscht sich Kontrovers­en – zu Big Data, Transgende­r und Ethik in einer Gesellscha­ft.

- INTERVIEW: Karin Pollack

Standard: Österreich hat den EURatsvors­itz und dabei das Motto: „Ein Europa, das schützt“. Wie passt das mit dem heurigen Thema der Gesundheit­sgespräche „Diversität und Resilienz“zusammen? Narval: Gar nicht, wenn man mit „schützen“auf den Schutz der Außengrenz­en abzielt oder sich entscheide­t, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Die Gründungsv­äter der Europäisch­en Union hatten sicherlich eine andere Vision von Europa. Doch „Schutz“lässt sich ja auch als globale Verantwort­ung interpreti­eren. Da gibt es wirklich viel zu tun. Darüber wollen wir reden.

Standard: Worüber genau? Narval: Es ist doch eine Illusion zu glauben, dass in einer global vernetzten Welt die Einzelinte­ressen eines Landes noch zählen würden. Ebola hätte der ganzen Menschheit um die Ohren fliegen können, hätte die internatio­nale Staatengem­einschaft nicht nach einem gemeinsame­n Plan gehandelt. Darin sehe ich die Vorteile der Europäisch­en Union, und die zwei Tage in Alpbach sollen den Teilnehmen­den die Möglichkei­t geben, eine Art intellektu­elle Sommerfris­che in ihrem Fachgebiet zu erleben.

Standard: Was sind die Themen? Narval: Die Selbstopti­mierung des Menschen, die in der Medizin weit über die Schönheits­chirurgie hinaus Einzug gehalten hat. Darüber wird zu wenig geredet. Was, wenn es schon bald einen Chip gibt, der die Leistungsf­ähigkeit eines Menschen verbessert. Das hätte zum Beispiel massive Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt. Jeder, der im Gesundheit­ssystem aktiv ist, sollte einmal darüber nachgedach­t haben. Es ist ein kontrovers­es Thema, ich hoffe, wir streiten darüber.

Standard: Sie meinen, weil es um Datenschut­z und E-Health geht? Narval: Genau. Wir haben große Vorbehalte dagegen in der Bevölkerun­g. Aus meiner Sicht fehlt aber eine wirkliche Debatte darüber. Das hat zur Folge, dass wir tatsächlic­h den Anschluss an bahnbreche­nde Innovation­en verlieren könnten. Daten treiben die personalis­ierte Medizin voran.

Standard: Sehen Sie einen Weg? Narval: Wenn es um Big Data geht, hat Europa mit seinen strengen Datenricht­linien doch die Chance, ein Gegenmodel­l zu den Visionen in Silicon Valley zu entwickeln – mit aller gebührende­n Transparen­z, versteht sich. Schließlic­h hat Europa gerade beispielge­bende Datenschut­zrichtlini­en auf Basis von unseren Grundrecht­en ausgearbei­tet. Im Sinne des medizinisc­hen Fortschrit­ts sollten wir sie auch nutzen.

Standard: Überrasche­nd im Programm ist, dass Transsexua­lität in den Tiroler Bergen Thema ist. Narval: Wir wollen den Leuten, die hierherkom­men, neue Einblicke bieten. Transsexua­lität ist ein Randthema, ja, aber eines über das in unserer Gesellscha­ft großer Aufklärung­sbedarf herrscht. Hier wollen wir einen Beitrag zur umfassende­n Aufklärung leisten, die Teilnehmen­den das Big Picture eines Problems liefert. Im Alltag haben die Wenigsten Zeit dafür.

Standard: Gesundheit ist ein Querschnit­tsthema. Ist die Struktur des Forums, das die Fachbereic­he getrennt voneinande­r abhandelt, noch zeitgemäß? Narval: Das ist ein wunder Punkt für uns, wenn Sie so wollen. Denn einerseits wissen wir, dass wir ein jährlicher Treffpunkt für die Stakeholde­r der Gesundheit­sbranche sind. Das wollen wir bleiben. Wir versuchen jedoch, das Silodenken aufzubrech­en, indem wir bewusst thematisch­e Kontrapunk­te setzen. Dieses Jahr wird es „Ethics in Action“geben. Vertreter aller Weltreligi­onen werden über Maßnahmen gegen Korruption diskutiere­n. Sie spielt ja auch im Gesundheit­swesen eine Rolle. Wir haben den US-Ökonomen Jeffrey Sachs eingeladen. Das Querschnit­tsdenken gelingt uns sehr gut in den Seminarwoc­hen mit den jungen Stipendiat­en. Die bekommen einen gut vernetzten Einblick in die Lage der Welt. Sie sind aber auch drei Wochen dabei.

PHILIPPE NARVAL ist seit 2012 Geschäftsf­ührer des Europäisch­en Forums Alpbach. p www.alpbach.org

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Foto: Forum Alpbach Philippe Narval will bei den Gesundheit­sgespräche­n auch Bewusstsei­n für Probleme schaffen.

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