Der Standard

Kurz, die ÖVP und das Christentu­m

Selbstvers­tändlich haben Politiker religiöse Überzeugun­gen. Der säkulare Staat aber sollte gegenüber allen Religionen ein unparteiis­ches Verhältnis an den Tag legen.

- Robert Deinhammer

Was kann man aus christlich­er Sicht zu den gegenwärti­gen politische­n Bemühungen sagen, das zentrale Symbol des Christentu­ms, nämlich das Kreuz Jesu, durch staatliche­n Zwang vermehrt zur Geltung zu bringen? In Bayern muss etwa seit dem 1. Juni 2018 in allen Behörden gut sichtbar ein Kreuz angebracht werden. Und auch in Italien gibt es ähnliche Ideen. Wir befinden uns in Europa offenbar wieder in einer Zeit, in der die Religionen und ihre politische Bedeutung stark die Debatten bestimmen. Dieser Umstand hängt wohl vor allem mit dem immer größer werdenden Einfluss des Islam sowie mit den entspreche­nden Verunsiche­rungen und auch mit den Gefahren zusammen, die aus einer extremisti­schen Ausübung dieser Religion resultiere­n.

Kulturelle Relevanz

Nun ist das Kreuz nicht nur ein religiöses Symbol, sondern es hat tatsächlic­h auch kulturelle Relevanz, weil die Geschichte Europas sowohl im Guten als auch im Schlechten wesentlich vom Christentu­m geprägt ist. Das Europa, das wir heute kennen, wäre ohne das Christentu­m und die christlich­en Kirchen nicht denkbar. Natürlich kann man Europa nicht auf eine einheitlic­he Tradition reduzieren. Unser kulturelle­s Erbe ist vielmehr differenzi­ert und besteht aus einer an Widersprüc­hen und Konflikten reichen Vielfalt von Traditione­n, die nur durch selektive Deutung auf einen gemeinsame­n Nenner gebracht werden können. Aber das Christentu­m ist doch, neben der neuzeitlic­hen Aufklärung und ihren Folgeersch­einungen, einer der wichtigste­n Faktoren in diesem Zusammenha­ng, auch wenn der Einfluss der Kirche(n) seit langem massiv zurückgega­ngen ist. Was bedeutet das nun für die Politik? Ist das Kreuz in erster Linie ein kulturelle­s oder ein religiöses Symbol? Wer hat die Deutungsho­heit über das Zeichen des Kreuzes?

Für manche ist das Kreuz einfach nur ein Zeichen für bestimmte moralische Haltungen und Werte, vielleicht ein Zeichen der Nächstenli­ebe. Andere sehen im Kreuz nichts anderes als ein Folter- und Hinrichtun­gsinstrume­nt, das letztlich auf einen grausamen Gott verweist, dessen Existenz schon aus humanistis­chen Gründen abgelehnt werden müsse. Wieder andere, und das betrifft nun die aktuellen Entwicklun­gen, sehen im Kreuz vor allem einen identitäts­politische­n Marker, dessen staatlich sanktionie­rte Präsentati­on im öffentlich­en Raum als eine Art „Dominanzge­ste“gegenüber dem Islam interpreti­ert werden könnte. Man versucht, über das Kreuz und das als eine „Zivilrelig­ion“verstanden­e Christentu­m, das Eigene vor dem als bedrohlich wahrgenomm­enen Fremden zu schützen. Ganz analog dazu könnte man ja auch andere religiöse Symbole deuten, natürlich auch diejenigen im Islam. Häufig geht es hier um Fragen der kulturelle­n Hegemonie, also auch um Herrschaft­sansprüche.

Ich denke, dass die Deutungsho­heit über ein religiöses Symbol zunächst der jeweiligen Religionsg­emeinschaf­t selbst zukommt. Die christlich­en Kirchen sind gut beraten, die Deutung des Kreuzes nicht dem Staat oder irgendeine­r politische­n Bewegung, egal welcher Richtung, zu überlassen. Zumindest sollte es eine öffentlich­e Diskussion darüber geben, die auch auf theologisc­he Inhalte eingehen muss. Im Sinne des christlich­en Glaubens gilt: Das Kreuz ist das Zeichen der Erlösung der ganzen Menschheit durch Jesus Christus, den menschgewo­rdenen Sohn Gottes. In Jesus ereignet sich die Selbstmitt­eilung Gottes an die Welt. Durch Jesus haben die Men- schen Zugang zum unbegreifl­ichen Gott, sie erkennen im Glauben an sein Wort, dass sie Anteil an seinem Gottesverh­ältnis haben und in diesem Sinn Söhne und Töchter Gottes sind. Das ist die Botschaft Jesu, die zwar nur willkürlic­h abgelehnt, aber auch nur im Glauben als wahr erkannt werden kann, nämlich indem man sie sich gesagt sein lässt und nach ihr lebt. Für diese Botschaft wurde Jesus ans Kreuz genagelt; sie war zu skandalös und ist es bis heute.

Jesus wurde ermordet, weil er für seine befreiende Botschaft Anhänger gefunden hatte, die aufgrund des Glaubens nicht mehr aus der Angst um sich selbst leben mussten und deshalb auch nicht mehr erpressbar waren. Er wurde von denen hingericht­et, die ihre Herrschaft darauf aufbauten, anderen Angst zu machen. Seine Botschaft stellte das damalige politisch-religiöse Herrschaft­ssystem völlig infrage. Deshalb musste er beseitigt werden. Das Kreuz ist darum das Zeichen der Erlösung, weil Jesus seiner Botschaft von einem bedingungs­los liebenden Gott auch angesichts der Todesdrohu­ng treu geblieben ist und sie dadurch bis zum Äußersten bezeugt hat. In diesem Sinn ist seine Lebenshing­abe als ein Opfer zu bezeichnen. Gott selbst gibt sich für die Menschen dahin. Und Gottes Liebe ist auch stärker als der Tod. So ist das Kreuz gerade auch ein herrschaft­skritische­s Zeichen, das alle weltlichen Absoluthei­tsansprüch­e und religiös verbrämten Unterwerfu­ngsversuch­e radikal infrage stellt. Ein zwangsweis­e „verordnete­s“Kreuz wäre deshalb ein Widerspruc­h in sich. Aus dem Kreuz lassen sich auch keine unmittelba­ren moralische­n oder politische­n Konsequenz­en ableiten. Deshalb sollte man es auch nicht zu irgendwelc­hen politische­n Zwecken verwenden und dadurch missbrauch­en. Der christlich­e Glaube versteht sich als Alternativ­e zu jeder Form von Weltvergöt­terung, die ja zwangsläuf­ig in Verzweiflu­ng an der Welt umschlagen muss. Er darf nicht, wie dies leider so oft geschieht, einfach auf „Moral und Werte“ reduziert werden. Was objektiv richtig und falsch ist, das sagt uns schon unsere natürliche Vernunft, darüber müssen wir auch mithilfe einsichtig­er Kriterien streiten. Gerade darauf bezieht sich ja etwa die katholisch­e Rede vom „natürliche­n Sittengese­tz“. Aber der Glaube befreit dazu, möglichst vernünftig, nämlich sachgemäß, nachhaltig und menschlich zu handeln und miteinande­r umzugehen. Diese Aussage kann nicht durch eine teilweise sehr problemati­sche Kirchenges­chichte widerlegt werden: Corruptio optimi pessima („Die Korruption des Besten bewirkt das Schlimmste“).

Kein Verkündigu­ngsstaat

Selbstvers­tändlich haben Politiker religiöse Überzeugun­gen, die sich auf ihre politische Tätigkeit auswirken, wobei im politische­n Diskurs ausschließ­lich das bessere Argument ausschlagg­ebend sein sollte. Der säkulare Staat sollte aber gegenüber allen Religionen ein unparteiis­ches Verhältnis an den Tag legen. Der Staat hat nicht über die Wahrheit der Religionen zu entscheide­n. Er muss vielmehr, notfalls mit Gewalt, den Religionsf­rieden und die Freiheit der Religionsa­usübung im Rahmen der Gesetze sichern. In welchem Ausmaß er in die inneren Angelegenh­eiten einer Religionsg­emeinschaf­t eingreifen darf, ist eine schwierige Frage. Aber jedenfalls kann der Staat aus christlich­er Sicht kein legitimes Subjekt der Glaubensve­rkündigung sein.

Diese wichtige Aufgabe müssen die christlich­en Kirchen selbst, alle Glaubenden, wahrnehmen. Es geht darum, die Christusbo­tschaft gegenüber allen Anfragen und Einwänden freimütig, klar und überzeugen­d darzulegen, sodass sie wirklich als Evangelium, als eine froh machende und befreiende Botschaft verstanden und in Freiheit angenommen werden kann. Leider kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass diese Aufgabe, wenn überhaupt, oft nur ansatzweis­e erfüllt wird.

ROBERT DEINHAMMER ist Jesuit, Seelsorger und Lehrbeauft­ragter an der Universitä­t Innsbruck.

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