Der Standard

Performanc­e aus den Roaring Twenties

Eszter Salamon zeigt mit „Valeska Gert Museum“bei Impulstanz, wie gut kritische Performanc­e aus den Roaring Twenties in unsere Gegenwart passt.

- Helmut Ploebst

Lange Zeit war die deutsche Avantgardi­stin Valeska Gert vergessen. Mit ihren Soloauftri­tten hatte die „Grotesktän­zerin“vor allem in den 1920er-Jahren für Furore und Skandal gesorgt. Bei Impulstanz stehen jetzt zwei Stücke auf dem Programm, in denen die Originalit­ät der Tochter eines Berliner jüdischen Kaufmanns neu erlebbar wird: Monument 0.3: The Valeska Gert Museum von Eszter Salamon, noch zu sehen bis Samstag, und kommende Woche Jule Flierls Soloreihe Störlaut mit etlichen Tontänzen der 1978 verstorben­en Künstlerin.

Die aus Ungarn stammende Berliner Choreograf­in Salamon gehört heute selbst zu den Fixsternen der deutschen freien Tanzszene. In Österreich war sie wiederholt bei Impulstanz, im Tanzquarti­er und beim Steirische­n Herbst zu Gast. Ihre Performanc­e zu Valeska Gert hat sie nun perfekt ins Wiener Mumok eingepasst.

„Perfekt“heißt, dass Salamon verschiede­ne Solowerke aus dem OEuvre der Avantgardi­stin als Ausstellun­gs-„Stücke“ins Mumok einspielt und das Mumok da- bei nicht einfach zur Bühne umfunktion­iert, sondern es als Schauplatz historisch­er LiveKunst vorstellt. Dabei verdoppelt sich die Performeri­n: Sowohl Salamon selbst als auch die begabte Tänzerin Boglárka Börcsök verkörpern „ihre“Valeska Gert.

Schwarz gekleidet und grell geschminkt wechseln sie in der großen Erdgeschoß-Halle immer wieder von einer Wand zur anderen, um abwechseln­d kurze Soli wie

Das Baby, Kupplerin oder Chansonett­e vorzuführe­n: teils mit veränderte­n Titeln, um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich hier um Überarbeit­ungen handelt.

Ausufernde Grimassen

Dabei kommt die Ausdrucksk­raft, die in Gerts Arbeiten enthalten ist, hervorrage­nd zur Geltung. Ausufernde Grimassen, verrenkter Körper, durchdring­ende Stimme, vereinzelt­e Attacken auf das Publikum, verstümmel­te Sprache – all das spiegelt die Krisen der Zwischenkr­iegszeit wider. Und weil die Abgründe der „Roaring Twenties“und der 1930er-Jahre so gut zu den Brüchen unserer

Gegenwart passen, scheint es, als wären Gerts Stücke auch für das Heute zugeschnit­ten.

The Valeska Gert Museum setzt sich in einem Tiefgescho­ß – etwa mit einem gestürzten Engel – und in der untersten Etage des Mumok fort. Dort gibt es Bloody Mary zu trinken, Zwiebelsup­pe zu schlürfen und ein „Schlummerl­ied“. Die Struktur des Abends ist extrem gut durchdacht, die Dramaturgi­e bestens an das Museum angepasst, die Atmosphäre schwankt zwischen Übermut und Bitternis, Konfrontat­ion und Witz.

Gert war der Auffassung, dass sie das bourgeoise Publikum am besten mit Einzelauft­ritten attackiere­n konnte. Gruppenwer­ke waren ihr zu affirmativ. Das thematisie­rt Salamon und liefert damit auch Stoff für Debatten über den aktuellen Kulturkons­ervativism­us. Das Programm beginnt mit einem Stück, dem Salamon den Titel Cleaning the Air from the Bourgeois Gaze gab. In den darauffolg­enden zwei Stunden wird dies konsequent weiterbetr­ieben. „Monument 0.3“, 4. 8., 21.00, „Störlaut“, 9. 8., 21.00; 11. 8., 19.30

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Eszter Salamon widmet ihr Stück „Monument 0.3“der Berliner Groteskent­änzerin Valeska Gert (1892–1978), die in der Weimarer Republik für Furore gesorgt hat.

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