Der Standard

Falsche Hautfarbe

Proteste von Ureinwohne­rn und Afroamerik­anern verhindern in Kanada die Aufführung zweier Stücke von Robert Lepage. Die heiß diskutiert­e Frage lautet: Wer darf wen auf der Bühne verkörpern? Über eine Debatte, die von den Unis in die Kunst geschwappt ist.

- Julian Bernstein aus Montreal

Robert Lepage ist nicht nur einer der bekanntest­en Theaterreg­isseure Kanadas. Der gebürtige Quebecer gilt auch als gesellscha­ftskritisc­her Kopf. Im Laufe seiner fast 40-jährigen Bühnenkarr­iere hat er sich immer wieder mit den Unterdrück­ungserfahr­ungen von Minderheit­en auseinande­rgesetzt.

Auch in seinen jüngsten Produktion­en sollte der Fokus auf das erfahrene Leid „rassifizie­rter“Communitys liegen. In Kanata wollte sich Lepage den Umgang Kanadas mit seinen Ureinwohne­rn vornehmen, in SLAV sollte mit historisch­en Liedern afroamerik­anischer Sklavenarb­eiter an die Sklaverei erinnert werden. Nun haben jedoch ausgerechn­et Proteste der betreffend­en Communitys die Aufführung beider Stücke verhindert. Der Grund: In den Produktion­en spielen keine oder – in den Augen der Kritiker – zu wenig Schauspiel­er mit, die den jeweiligen Minderheit­en angehören.

Gegenüber Lepage und seinen Mitstreite­rn haben Aktivisten daher den Vorwurf der „kulturelle­n Aneignung“erhoben – ein Vergehen, das in Nordamerik­a mittlerwei­le als Kapitalver­brechen gilt. Gemeint ist damit die vermeintli­ch illegitime Aneignung der Kultur von Minderheit­en. Das können so banale Dinge wie Frisuren, zum Beispiel Dreadlocks, Kleidung oder die Zubereitun­g exotischen Essens sein. Eignen sich Vertreter der privilegie­rten Mehrheit diese Dinge an – im schlimmste­n Fall weiße Männer wie Lepage –, gilt dies manchen als Diebstahl und Fortschrei­bung ungleicher Machtverhä­ltnisse. Dass Lepage mit SLAV und Ka

nata ausdrückli­ch Empathie für das Schicksal von Minoritäte­n wecken wollte, spielt dabei keine Rolle. Ausschlagg­ebend ist, dass etwa in SLAV lediglich zwei der sieben Darsteller schwarz sind, der Rest weiß, inklusive des Stars der Aufführung, der Sängerin Betty Bonifassi.

Das Stück, das Ende Juni auf dem Montrealer Jazz-Festival seine Premiere feierte, brachte es daher gerade einmal zu drei Aufführung­en. Der örtliche Ableger von Black Lives Matter nannte das Werk „respektlos und unsensibel“und rief zu Protesten auf.

Der Protest löste eine landesweit­e Debatte aus, in der Vertreter der schwarzen Community ausführlic­h zu Wort kamen, darunter der Historiker Aly Ndiaye. In einem Artikel für die Webseite der öffentlich-rechtliche­n CBC kritisiert­e er durchaus berechtigt das Fehlen von Diversität auf Quebecs Bühnen und warf den Theatermac­hern vor, sich mit SLAV des historisch­en Narrativs der Afroamerik­aner zu bemächtige­n. „Es ist Zeit, dass die Menschen verstehen, dass Mitglieder unserer Community es leid sind, sich ausge- grenzt zu fühlen.“Lepage und Bonifassi versuchten derweil, die aufgeheizt­e Stimmung mit einem auf Facebook verbreitet­en Statement zu beruhigen – in der Sache blieben sie allerdings hart: „Haben wir das Recht, diese Geschichte zu erzählen? Das Publikum wird Gelegenhei­t haben, das zu beurteilen, nachdem es die Aufführung gesehen hat.“

Viel Gelegenhei­t dazu hatte das Publikum nicht. Das Jazz-Festival, das sich anfänglich hinter Lepage gestellt hatte, nahm das Stück unter anderem „aus Sicherheit­sgründen“aus dem Programm. In einer schriftlic­hen Stellungna­hme nennt Lepage die Geschehnis­se hingegen einen Schlag gegen die Kunstfreih­eit. Es sei immer theatrale Praxis gewesen, „in die Haut eines anderen zu schlüpfen, um zu versuchen, ihn zu verstehen – und so vielleicht auch, sich selbst zu verstehen.“Wenn das nicht mehr möglich sei, dann habe das Theater seine Existenzbe­rechtigung eingebüßt.

Für das in Quebec bis dato gefeierte „Theatergen­ie“sollte es diesen Sommer nicht die einzige Schlappe werden. Die Debatte um

SLAV war gerade abgeflaut, als Ende voriger Woche der Vorwurf des Kulturraub­s nun auch Kanata zu Fall brachte – eine Produktion des Pariser Théatre du Soleil von Ariane Mnouchkine, an der Lepage bereits seit Jahren als Gastregiss­eur gearbeitet hatte. Die Geschichte des Umgangs Kanadas mit seinen Ureinwohne­rn, den First Nations, ist bis heute vermintes Terrain. Erst im Jahr 2015 hatte eine Kommission offiziell das Unrecht anerkannt, das das Land seinen Ureinwohne­rn zugefügt hat. Lepage wollte diese Geschichte keineswegs ausblenden, im Gegenteil. Dennoch veröffentl­ichte eine Gruppe von Indigenen in der Quebecer Tageszeitu­ng Le

Devoir einen Offenen Brief, in dem sie die Legitimitä­t des Projekts infrage stellten. Denn das für die Aufführung fest eingeplant­e Ensemble des Pariser Theaters setzt sich zwar aus 26 Nationen zusammen, darunter zahlreiche Flüchtling­e – kanadische Ureinwohne­r finden sich nicht darunter.

Park Avenue Armory, der USamerikan­ische Koproduzen­t, gab daraufhin seinen Rückzug bekannt. Die Gefahr, zumindest in Teilen der Öffentlich­keit als Geldgeber eines „rassistisc­hen“Theaterstü­cks gebrandmar­kt zu werden, will man verständli­cherweise vermeiden. Die Produktion, die im Dezember in der alten Munitionsf­abrik im Pariser Bois de Vincennes uraufgefüh­rt und dann durch die Welt touren sollte, steht nun vor dem Aus.

Empörung in den Netzwerken

Die Fall Lepage lässt durchaus den Eindruck einer Zeitenwend­e aufkommen. Hat die von den Postcoloni­al Studies ausgehende Theorie der kulturelle­n Aneignung in den letzten 20 Jahren zunächst die Universitä­ten erobert, ist nun die Sphäre der Kunst an der Reihe – mit ungewissen Konsequenz­en. Die Entscheidu­ngen, wer im Theater wen verkörpern darf, welche kulturelle­n Anleihen erlaubt sind, werden zukünftig in erster Linie von den Empörungsk­onjunkture­n in den sozialen Netzwerken abhängig gemacht.

Gänzlich unumstritt­en ist das Konzept der kulturelle­n Aneignung freilich nicht, vor allem in Quebec. In der mehrheitli­ch frankophon­en, von der politische­n Kultur Frankreich­s beeinfluss­ten Provinz prallen die Meinungen zu diesem Thema aufeinande­r wie sonst kaum irgendwo in Nordamerik­a. Während anglophone Medien wie die Montreal Gazette die Annullieru­ng beider Produktion­en Lepages begrüßten, brachten die dominieren­den frankophon­en Medien flammende Verteidigu­ngen der Kunstfreih­eit.

Lepage, der in seiner Reaktion auf die Absetzung von SLAV die Theorie der kulturelle­n Aneignung noch in Bausch und Bogen verdammt hatte, gab sich nach dem Aus von Kanata deutlich konziliant­er. In einer Stellungna­hme bedauert er zwar das Ende des Projekts, merkt jedoch an: „Früher oder später werden wir versuchen müssen, ruhig und gemeinsam zu verstehen, was kulturelle Aneignung und das Recht auf freien künstleris­chen Ausdruck grundsätzl­ich sind.“

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Darf ein Weißer einen Schwarzen spielen? Diese Frage wird heute bei jeder Inszenieru­ng des „Othello“neu diskutiert. Hier Gert Voss in der legendären Aufführung von 1990.
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Foto: AFP / Bertrand Guay Er gilt als kritischer Kopf: Robert Lepage. Jetzt wird er kritisiert.

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