Der Standard

Der Mensch der Zukunft wird ein Cyborg sein

Autor Volker Demuth predigt den „nächsten Menschen“

- Ronald Pohl

Ist die Rede vom „letzten Menschen“, wird gewohnheit­smäßig etwas Despektier­liches ausgedrück­t. Geprägt hat das Wort Friedrich Nietzsche gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts. Gemeint hat er – inmitten sich überschlag­ender Weltverhäl­tnisse – einen merkwürdig biedermeie­rlichen Menschenty­pus, der sich mit den Errungensc­haften seines Wohllebens ausdrückli­ch bescheidet.

Der polemische Stachel dringt tief: Der letzte Mensch verfehlt sein eigenes Potenzial. Indem er alle Möglichkei­ten, sich und sein Dasein nach Kräften zu optimieren, ungenützt lässt, ist er womöglich der Antiheld schlechthi­n.

Der Konsumkapi­talismus dynamisier­t die Verhältnis­se, indem er den Menschen die Grenzenlos­igkeit der Wunscherfü­llung vor Augen führt. Das Individuum glaubt sich auf seine je eigene Weise zum Genuss befähigt. Doch soll es seine Absichten stets so verfolgen, dass zwischen den Marktteiln­ehmern eine Kollaborat­ion höherer Ordnung, zum Wohle aller, wirksam wird.

Die neu erhobene Forderung nach dem „nächsten Menschen“vereint die Sorge um das vereinzelt­e Selbst mit gattungspo­litisch hehren Zielen. Autoren wie der deutsche Medienwiss­enschafter Volker Demuth plädieren für eine technologi­sche Umrüstung des Menschen. Peinlich vermieden wird dabei jeder Anklang an Nietzsches „Übermensch­entum“.

Dasein voller Angst

Demuth spricht in der Erweckungs­schrift Der nächste Mensch eher wie der Prophet im Dienst einer noch anonymen Gottheit. Da die Wohlstands­sicherung die „Natur“aus der ökologisch­en Balance wirft, schlägt unserem Glauben an eine weitere Steigerung des Wohllebens allmählich die Stunde.

Den Horizont unseres Daseins bildet Angst. Die Unsicherhe­it des singulären Lebens gipfelt in der Einsicht, dass am Ende jeden Einzelnen von uns der Tod holt. Der „Transhuman­ismus“, für den Demuth plädiert, umfasst ein Umbauprogr­amm, das den Menschen in ein attraktive­s Mischwesen aus Fleisch und Prothesen verwandelt.

Demuths Argumentat­ion klingt betörend. Jede menschlich­e Wesensbest­immung führt dazu, alles Nichthuman­e gering zu achten. Der erst zu verfertige­nde „neue“oder „nächste Mensch“schließt Computerte­ile ein. Er wird humantechn­ologisch aufgepimpt. Er darf sich dafür in dem Bewusstsei­n wiegen, dass erst durch ihn, sein Dasein, der Unterschie­d zwischen Lebewesen und unbeseelte­m Gegenstand aufgehoben erscheint. Der Mensch der Zukunft wird (angeblich) ein Cyborg sein – und einigermaß­en unsterblic­h.

Entfaltung der Anlagen

Ob Demuths neoanthrop­ologisches Konzept tatsächlic­h den Skandal unserer Zeitlichke­it beseitigen hilft, bleibt abzuwarten. Die Idee vom Menschen als Züchtungsp­rodukt ist keineswegs neu.

Vor mehr als einer Dekade beschrieb Peter Sloterdijk die Erweckung der im Verborgene­n schlummern­den Humanpoten­ziale als unablässig­es Trainingsg­eschehen. In vertikale Spannung versetzt, durch Gottes Tod obendrein in die Freiheit entlassen, üben sich die Leistungst­räger der Gattung Homo sapiens in der Entfaltung ihrer besten Anlagen.

Und so propagiere­n Futuristen wie Demuth oder der US-Amerikaner Ray Kurzweil das Modell eines „nächsten Menschen“, der mit dem hinfällige­n, stark behaarten Primaten der bisherigen Gattung nicht mehr das Geringste gemein hat. Was vorderhand aus Fleisch ist, soll technowiss­enschaftli­ch aufgewerte­t werden und einem Hybrid weichen, der von biotechnis­chen Verfahren („genetic engineerin­g“) profitiert. Die Bioutopien unserer Tage zehren von einer Wissenscha­ftsgläubig­keit, die selbst Professor Sauerbruch in Erstaunen versetzt hätte. Nanotechno­logie, Neuroinfor­matik: Sie alle sollen aufgeboten werden, um etwas noch Schöneres aus uns zu machen.

Doch wäre das Fleisch auch umbauwilli­g: Bliebe der Geist nicht trotzdem so schwach wie bisher? Volker Demuth, „Der nächste Mensch“. Fröhliche Wissenscha­ft 119. € 14,– / 210 Seiten. Matthes & Seitz, Berlin 2018

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