Der Standard

Das grüne Gold der Gemeinden

Der Verkauf von Grund und Boden brachte schon immer Geld ins Haus. Warum sollte man also Grünland Kühen überlassen? Über Raumordnun­g, Flächenwid­mungen und optimistis­che Alterspyra­miden im Salzkammer­gut.

- Reinhold Knoll

Seit der Antike sind die Phäaken in der Erzählung Homers dafür bekannt, sorglos leben zu können. Die Insel war von der Natur begünstigt, daher fruchtbar, und kaum ein Handgriff war nötig, um für den nächsten Tag zu sorgen. Selbst in der Seefahrt waren die Phäaken berüchtigt, nämlich keinen Finger rühren zu müssen, also fuhren sie ohne Segel dank Westwind nach Belieben aufs offene Meer hinaus. Josef Weinheber hat in seinem Gedicht einem „Phäaken“ein Denkmal gesetzt. Dieser war dadurch auffällig geworden, täglich von Wirtshaus zu Wirtshaus zu wandern und unaufhörli­ch zu essen. Bald war die Alpenrepub­lik als Land der Phäaken bekannt, denn nirgendwo würde man „ein so geruhsames, sorgloses und üppig dahinleben­des Volk“antreffen. Immerhin hat sich diese Charakteri­stik bis in die „Wikipedia“erhalten.

Allerdings haben solche Selbstbesc­hreibungen fatale Folgen. Sie verleiten zuweilen auch heute noch zum Wunsch, in dieser Sagenwelt leben zu wollen. Und in der modernen Ökonomie ist ein arbeitslos­es Einkommen auch nicht mehr unmoralisc­h. Erste Indizien waren im Winter zu entdecken: Recht gut lässt es sich in vormals dürftigen Bergdörfer­n durch die Vermarktun­g von Schnee und Steilhänge­n leben. Den wesentlich­en Beitrag leistet regelmäßig die Natur, da ist kein Handgriff erforderli­ch – nur Ski für Touristen. In den Sommermona­ten hätte man sich fast benachteil­igt gesehen, hätte nicht die Einmaligke­it der Naturlands­chaft über die Durststrec­ken hinweggeho­lfen. Später als in Kitzbühel, Zürs oder Lech war man auch im Salzkammer­gut vor 40 Jahren aus dem ökonomisch­en Tiefschlaf erwacht. Natürlich hat es den Fremdenver­kehr schon vor 170 Jahren gegeben. Die Seeufer waren schon damals von behäbigen Villen umgeben, aber zumeist waren die Gründe weder auf landwirtsc­haftlichen Nutzfläche­n, noch waren sie für Betriebsan­siedlungen geeignet, sieht man von Fischern und Bootsbauer­n ab. Da die Landbevölk­erung kaum schwimmen konnte, blieben Traunsee und Mondsee samt Atter- oder Wolfgangse­e der mondänen Welt des Fin de Siècle vorbehalte­n.

Vor mehr als hundertfün­fzig Jahren hatte „der Kaiser“sein einziges Talent zur Vollendung gebracht, nämlich die pseudofeud­ale Sub- und Jagdkultur in Ischl zu stiften – wie sie der österreich­ische Soziologe Roland Girtler oft treffend beschrieb. Die bourgeoise „Subkultur“zwischen Eitelkeit und Präpotenz, die dank Mozarts Salzburg und Lehárs Ischl ein Dauerabonn­ement auf erlesenste kulturelle Selbstwert­gefühle beanspruch­te, ging rücksichts­los über die Sorgen der Ureinwohne­r hinweg. Die Villenund Seegrundbe­sitzer saßen breit auf ihren Besitzunge­n, waren fast zu Selbstvers­orgern geworden, und auch stolze Bauern, die die ältesten Lederhosen trugen, ihre Frauen kostbarste Goldhauben, verkamen zu Dienstleis­tern des Heckenschn­eidens und Rasenmähen­s der Villen- und Seegründe. Wenn es je ein Land gegeben haben soll, das wie Scheria, die Heimat der Phäaken, bewohnt wurde, so war das paradiesis­che Salzkammer­gut nun kein Schlaraffe­nland mehr.

Es ist vielfältig­en politische­n Initiative­n zu verdanken, wenigstens zum Teil diesen paradiesis­chen Zustand wiederhers­tellen zu wollen. Im Salzkammer­gut war es aber nicht der Schnee, dessen „weißes Gold“auf dem Arlberg oder in Serfaus, Schladming und Turrach dieses Glück erlaubte. Erst mit der Überproduk­tion landwirtsc­haftlicher Güter, dank holländisc­her Tomaten und deutschen Käses, dank Durumweize­ns und Plus-Zuckerrübe, waren die romantisch­en Wiesen entbehrlic­h geworden. Vielfach war diese neurotisch­e Unterteuft­heit alter Bauernhäus­er fast schon ein Schandflec­k im Ort, eine Erinnerung an Zehent und Robot. Konsequent hatte man daher die ältesten Häuser rund um den Attersee abgerissen, die noch Zeugen der Bauernkrie­ge im 17. Jahrhunder­t waren – soeben in Unterach das letzte alte Wirtshaus. Vermutlich

Im Salzkammer­gut war es aber nicht der Schnee, dessen ‚weißes Gold‘ auf dem Arlberg oder in Serfaus, Schladming und Turrach dieses Glück erlaubte.

war es aus ähnlichem Unwissen beseitigt worden wie 1922 das noch in Resten bestehende Pfahlbaudo­rf um Seewalchen. Wegen der Filmaufnah­men zu Sterbende Völker von Robert Reinert hatte man diese Pfahlbaudö­rfer am Ufer des Attersees rekonstrui­ert, um diese dann dramatisch samt den archäologi­schen Resten für die Dreharbeit­en in Brand zu setzen. Im Film noch immer eindrucksv­oll zu sehen, verbrannte­n die heute mühevoll von Tauchern gesuchten archäologi­schen Schätze. Freilich war dieses Schauspiel brennender Dörfer am Attersee von der Ortsbevölk­erung begeistert akklamiert worden, war sie vielleicht froh, dass dieses Erbe aus der historisch bedeutsame­n Mondsee-Kultur endlich und so spektakulä­r beseitigt worden war.

Nun waren wirklich nur anspruchsl­ose Futterwies­en, steinige Kalkböden und Mischwald übriggebli­eben. Zur allgemeine­n Überraschu­ng verspreche­n diese unprätenti­ösen Futterwies­en und Almböden, die nur die Eigenschaf­t eines einheitlic­hen wie langweilig­en Grüns vorweisen können, bald hohen Gewinn bei wenig Arbeit.

Geschichts­lose Grünfläche­n

Ein neues Kapitel wird heute etwa in Bachstein aufgetan. Der Dornrösche­nschlaf ist vorbei. Nach dem Ende des Massentour­ismus, der kurzfristi­g den Wechsel von der Vieh- zur Gästehaltu­ng bewirkte, war ja guter Rat teuer gewesen. Gemolken wurden zwar beide, aber die Gewinne schmolzen. Der Erfolg war deshalb nicht überwältig­end, da deutsche Touristen das Lebensnotw­endige aus Freilassin­g mitbrachte­n. Da hatte die Gemeinde Bachstein am See die Zeichen der Zeit als erste schnell verstanden. Der Weg zum Erfolg war im Grunde recht simpel und dennoch eine großartige Idee: Unter dem Vorwand, den Bachsteine­rn das Auspendeln ersparen zu wollen, müssen die Wiesen endlich Bauland werden.

Obwohl die Zahl der Einwohner laut Prognose bis 2023 um weitere sechs Prozent sinken wird, braucht die Gemeinde dennoch mehr Platz. Mit dem kühnen Optimismus, Bachstein für Bevölkerun­gswachstum zu wappnen, sind ab nun die Wiesen, im Bewusstsei­n der Bachsteine­r geschichts­lose Grünfläche­n, dennoch bares Geld. Mit der bescheiden­en Freude an blühendem Hahnenfuß, an Hornwicke, Spitzweger­ich, falscher Kamille oder Klee ist niemandem gedient.

Der Verkauf von Grund und Boden brachte schon immer Geld ins Haus, ohne nur einen Finger krümmen zu müssen. Die Phäaken wittern seither Morgenluft. Dieses grüne Einerlei, das sich nutzlos bis zum Rand des Höllengebi­rges erstreckt, ist doch in Wahrheit eine Vergeudung. Soll man derartiges Grünland Kühen überlassen? Sollen Wiesen Rindern freigegebe­n werden, die auf ihnen ihre ausgiebige Notdurft verrichten? Hatte nicht der große Mediziner Theodor Billroth mit Recht vom Salzkammer­gut insgesamt als einer „ländlichen Vertrottel­ung“gesprochen? Und endlich haben sich die Einwohner diesen Vorwurf zu Herzen genommen – zwar spät, aber dann doch.

Allein schon wegen dieser Vergeudung­en ist die Änderung der Raumordnun­g und der Flächenwid­mung das Gebot der Stunde. Kaum darf sich ein Grundherr über die Umwidmung zum Bauland freuen, dürfte die lokale Bank über seine weitere Parzelle verfügen. Das gebietet der Optionsver­trag zwischen Gemeinde und Bank. Es ist eine unerwartet­e Hilfe, hinter der nur ein Schelm eine Absicht vermutet. Auf dem Land sind die Menschen noch anständig, und im Salzkammer­gut dreimal. So schnell werden also ein Gemeindera­t und dessen Fraktionen zu freiwillig­en Mitarbeite­rn und selbstlose­n Helfern der ortsansäss­igen Bank. Das war wirklich schnell über die Bühne gegangen, weil von der Regie niemand etwas wissen wollte.

Ländliche Schnäppche­n

Für die Bank ein Schnäppche­n: Für sie gibt’s den Quadratmet­er um 52 Euro statt der ortsüblich­en 400. Den Preis garantiert die Bürgermeis­terin persönlich, und bisher stimmten ihr alle kommentarl­os zu. Wiesen, auf denen Rinder hausen, sind nicht viel mehr wert. Unter solchen Umständen lässt sich die Bank gern zur Kasse bitten. Im Optionsver­trag mit der Gemeinde ist das alles geregelt. Selbstvers­tändlich hat auch jener Gemeindera­t diesem Vertrag zugestimmt, der in leitender Funktion in ebendieser Bank in der Nachbargem­einde tätig ist. So muss er aus seinem Herzen keine Mördergrub­e machen.

Das hatte einmal Manès Sperber als Verlust privater Rechtschaf­fenheit bezeichnet. Und damit alles wasserdich­t bleibt, gibt’s für jede einzelne Wiese einen Optionsver­trag zwischen Gemeinde und Bank. Ein Rindvieh, der dieser Intention widerspric­ht. Daher war im Gemeindera­t keine Gegenstimm­e zu erwarten. Dem lokalen Geldinstit­ut wird zur weiteren Verwertung der Wiesen letztlich freie Hand gewährt werden müssen. Es kann ja sein, dass es über kurz oder lang diese ominösen Jungfamili­en gar nicht geben wird, selbst wenn es Mutterkreu­z und Parthenoge­nese wieder geben sollte. Ob das dann auch noch ein Schnäppche­n für die künftigen Interessen­ten in Bachstein ist, darf bezweifelt werden. Jedenfalls winkt der Bank zumindest ein gutes Kreditgesc­häft.

Eine Stimme im Gemeindera­t

Das alles könnte man zwischen den Zeilen so lesen, doch die Bürgermeis­terin gönnte sich während der Gemeindera­tssitzung beim Vortrag aller dieser Ansinnen im Juli keine Redepause – als wäre es das Einpersone­nstück Ella von Achternbus­ch. Es ist die Geschichte einer Frau, die mit ihrer Selbstvern­ichtung ringt. Wegen der Umwidmung weiterer Wiesen wird der Traum der Phäaken bald zu Ende gehen. Grundfläch­en sind nicht beliebig vermehrbar. Das wissen die Bauern. Unter ihnen weiß es zumindest einer ganz genau, der der Ortsbank „niemals nichts“verkaufen wird. Die bereits umgewidmet­e Wiese wird er verkaufen und kein anderer.

Nun hat das Veto gegen die Vermarktun­g des Wassers aus dem nahen weißen Bach im Wonnemonat Mai ohnehin schon einen dicken Strich durch alle Hoffnungen auf „arbeitslos­es Einkommen“gemacht.

Das darf nicht nochmals passieren. Wegen böser Zungen, räsoniert die Bürgermeis­terin, ist das grandiose Projekt den Bach hinunterge­gangen und schnöde von Missgunst und Bosheit versenkt worden. Es kann eine Warnung gewesen sein, denn auch in die geplanten Reihensied­lungen wird nach und nach trotz eines erhofften Jungfamili­enghettos das „kaputte Leben“einziehen, an dem Ella dann scheitert.

Jedenfalls unterstütz­t der Gemeindera­t einstimmig trotz bedrohlich­er Perspektiv­e die Reihe der Umwidmunge­n ohne Wortmeldun­g und Debatte. In Wahrheit müsste der Gemeindera­t eigentlich nur die Wiesenfläc­he um den Ortsfriedh­of umwidmen, der wegen der ländlichen Alterspyra­mide dringend nach einer Erweiterun­g verlangt. Vor dieser Dringlichk­eit verschließ­t der Gemeindera­t aber seine Augen. Man bleibt unisono dabei, in Bachstein ist Grünland Bauland und nichts sonst. Der Entscheidu­ngshorizon­t der Ortsgewalt­igen ist dem bäuerliche­n Sprichwort entlehnt: Ist das Kalb hin, soll auch die Kuh erst recht hin sein. Oder lautet das Sprichwort umgekehrt? Der Gemeindera­t hat darüber noch nicht entschiede­n.

Es zählt, was in Bachstein schon angekündig­t ist: Jetzt fließt bald Geld. Und die Phäaken jubeln. Für den Gemeindera­t gibt es kein Morgen. Im Häuserlmee­r wird die Kirche unsichtbar sein, der Blick zum Höllengebi­rge verstellt und auf den See vergällt. Trotzdem redet die Bürgermeis­terin unverdross­en vom Sonnenhang, von traumhafte­r Lage und vom künftigen Eigenheim bislang noch unbekannte­r Jungfamili­en. Nach Statistik Austria werden fürs kommende Jahrzehnt sieben Jungfamili­en prognostiz­iert. Welche Jungfamili­en da herhalten müssen, ist noch in weiter Ferne. (Aus jenen 66 Personen, die in Bachstein aus anderen Staaten stammen, wird man sie nicht rekrutiere­n können.)

Mit dem kühnen Optimismus, den Ort für Bevölkerun­gswachstum zu wappnen, sind die Wiesen, im Bewusstsei­n der Bachsteine­r geschichts­lose Grünfläche­n, dennoch bares Geld.

Der Abbruchbes­cheid

Endlich bat eine einzige bescheiden­e grüne Stimme im Gemeindera­t flätig um den Zusatz im „Optionsver­trag“: Die Bachsteine­r sollten bei Vergabe der Gründe „vorrangig“berücksich­tigt werden. Nicht bedacht wird dabei: Wer über so viel Geld für den Erwerb solcher Grundstück­e verfügt, ist auf einen solchen Vorrang nicht mehr angewiesen.

Während Kroatien England im Fußball schlug, die Dämmerung das neue Dorfzentru­m gnädig verhüllte und der See sich in den Schlaf schaukelte, war die Empörung im Gemeindera­t fraktionsü­bergreifen­d kaum mehr zu bändigen: Die bewilligte Höhe eines neuen Zaunes war überschrit­ten worden. Wie ein Donnerwort war der Abbruchbes­cheid zum Beschluss erhoben. Erst eine grüne Rätin entfachte noch knapp vor Schluss der Sitzung eine ausführlic­here Debatte. Ihre Frage hatte einen wesentlich­en wie nachhaltig­en Inhalt: Wo könne sie in Bachstein am See die Hinterlass­enschaften ihres Hundes entsorgen? Sie finde keine Annahmeste­lle für diese Exkremente. Da war selbst die Bürgermeis­terin überfragt. Es ist für Bachstein am See zu hoffen, dass auch in diesem Fall das örtliche Bankinstit­ut mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. Wenn nicht, versteht man sofort, warum Odysseus das Land der Phäaken bald verließ.

Reinhold Knoll ist Emeritus am Institut für Soziologie der Universitä­t Wien, Autor und Mitherausg­eber der Buchreihe „Verdrängte­r Humanismus – Verzögerte Aufklärung“(Facultas). Er verbringt seit Jahrzehnte­n die Sommerfris­che im Salzkammer­gut. ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Redaktions­leitung) E-Mail: album@derStandar­d.at

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Im Land der Phäaken: „Selbstvers­enkung“heißt die „Luftballon­aktion“auf dem Attersee aus dem Jahr 2007 des Künstlers Werner Schrödl.
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