Der Standard

Stille und Erstarrung

Rache, Vergebung, Vergessen: Das Bild Rumäniens in Varujan Vosganians Erzählband „Als die Welt ganz war“ist brüchig.

- Oliver vom Hove

Auch anderswo wird die Vergangenh­eit nicht aufgearbei­tet. Sie wird vielmehr liegen gelassen im Geröll der Zeit. In Rumänien ist es die Schreckens­herrschaft des CeausescuR­egimes, aber auch die Umbruchzei­t danach, mitsamt dem Terror des noch immer nicht gänzlich eliminiert­en Geheimdien­sts Securitate.

Varujan Vosganian, der rumänische Autor mit armenische­n Wurzeln, nimmt manche dieser Steine auf und schlägt aus ihnen phosphores­zierende Funken. Seine Erzählkuns­t ist magisch, sie bedient sich ausgiebig der Verfremdun­g.

In Jakob, Sohn des Zevedei beschwört er die Vielfalt von bedrohlich­en Geräuschen, die den Gefangenen in einer Securitate­Zelle mit ebensolche­r Vielfalt von Angst und Schrecken heimsuchte­n: von dem herannahen­den Schlurfen der Wärterschr­itte über das Klappern der Schlüssel und Knallen der Zellentüre­n bis zur ohrenbetäu­benden Stille, wenn die Folterer abrückten: „Das Gehör war ein Sinnesorga­n, das uns in keiner Weise mehr beschützen konnte, es war vielmehr, als gehörte es nicht mehr zu uns, ein Terrorinst­rument geworden, über das sie verfügten. Es reichte ihnen nicht, uns zu terrorisie­ren, sie marterten uns mithilfe einiger von uns. Sie quälten uns mit Teilen unseres Körpers, die andere Teile des gleichen Körpers quälten.“

In einer langen Erinnerung­ssuada eines Folteropfe­rs, die wie eine satanische Litanei anmutet, werden die entwürdige­nden Verhörmeth­oden und psychische­n Marterqual­en der übelsten Schergen des Regimes angeprange­rt. Das Schrecklic­he dabei: Diese Narben heilen oft auch nach Jahrzehnte­n nicht. Die Täter indes bleiben unversehrt.

Eines der Opfer beschreibt im Selbstgesp­räch die toxische Macht dieser Heimsuchun­gen: „Es wird dir nicht gelingen, dich von deinen Ängsten zu heilen, wenn du meinst, unter den Menschen lebend und in ihr Gewusel eingemengt, könnte dich die Furcht nicht mehr erreichen. Da gehst du fehl, denn tatsächlic­h suchen nicht die Ängste dich, sondern du bist es, der sie, ohne es zu merken, sucht. Also versteckst du dich umsonst, sie werden dich nicht suchen, aber du wirst sie schließlic­h finden.“

Das gleiche alte Heu

Spürbar liegt Gewalt in der Luft. „Das Schicksal ernährt sich von rohem Fleisch“, warnt ein eingeweiht­er Arzt, der vergeblich versucht, dem Fatum mit Ritualen des Aberglaube­ns beizukomme­n. In der Titelerzäh­lung Als die Welt ganz war versucht der ohne Arme und Beine aufgewachs­ene Junge Cotuc, von seiner Schwester liebevoll umsorgt, in Büchern das Ideal eines ganzheitli­chen Lebens wiederzufi­nden. Doch der Traum, der bestenfall­s noch in der Kindheit Geltung hatte, erweist sich als Trugbild. Stattdesse­n vergönnt das Schicksal in Gestalt eines mörderisch­en Rohlings dem verkrüppel­ten Cotuc nicht einmal ein Stückchen versehrten Lebensglüc­ks.

In Ein Bund Liebstöckl fährt ein Mann aus dem weit entlegenen Schiltal in die Hauptstadt, um nach zwei Jahrzehnte­n eine Frau zu treffen, die er einst, im Juni 1990, bei einem Überfall der Bergarbeit­er auf die zivile Stadtbevöl­kerung Bukarests grausam niedergekn­üppelt hatte. Diese „Mineriaden“hatten konterrevo­lutionäre Ziele. Als Auftragssc­hläger wurden sie in der Regierungs­zeit Ion Illiescus von Gewerkscha­ftern auf opposition­elle Demonstran­ten gehetzt. Zumindest ist dies die gängige zeitgeschi­chtliche Darstellun­g. Nun ist der Bergarbeit­er alt, ausgebrann­t und lungenkran­k, und sein einstiges Opfer Rada, die damals durch die Schläge ihr Kind verlor, ist eine einsame Frau, die mit ihrem Schicksal hadert. „Wir haben nicht die gleichen Erinnerung­en“, sagt sie zu ihrem Peiniger.

Rache, Vergebung, Vergessen – vor diesem Dilemma der Entscheidu­ng steht die rumänische Gesellscha­ft nach dem Fall des Kommunismu­s. Varujan Vosganian, der sich als Autor der fulminante­n Armeniensa­ga Buch des Flüsterns internatio­nal einen Namen gemacht hat, zeigt, dass diese Entscheidu­ng nach wie vor aussteht.

„Diese Revolution hat nur das Heu gewendet, damit es nicht verfault. Es ist aber immer noch das gleiche alte Heu.“Das sagt die alte Mutter in der letzten Erzählung zu ihrem Sohn Petrache, der als Kustos eines Museums starre Statuen bewacht, die nachts plötzlich lebendig erscheinen.

Erkennbar wird in allen Geschichte­n die Neigung zur wechselwei­sen Abgrenzung innerhalb der rumänische­n Gesellscha­ft. Vorherrsch­end bleibt das Misstrauen gegenüber dem Logos, gegenüber jeglicher Kraft zum Meinungs- und Erfahrungs­austausch. Ein traumatisi­ertes Volk, so scheint es, steht sich selbst im Weg.

Vosganian erzählt nicht stringent, sondern sprunghaft assoziativ, mäandernd, in dunklen, oft verschlüss­elten Metaphern. Rumänische­r Surrealism­us steht Pate. Das erleichter­t das Lesen nicht eben. Zumindest der ersten der Erzählunge­n hätte eine Erläuterun­g des geschichtl­ichen Hintergrun­ds gutgetan. Immerhin hinterläss­t der Band jene Rätselstim­mung, von der die erlebte Geschichte dieser Erzählunge­n zeugt. Ein Glücksfall ist das bedachtsam­e und prägnante Deutsch von Ernest Wichners Übersetzun­g. Es schafft einen Erzählraum, in dem klar wird: Das Leben in Rumänien, wie Vosganian es darstellt, ist voll unerlösten Schreckens.

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Foto: Imago Das Leben in Rumänien ist voll unerlösten Schreckens.
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nian, „Als die Welt ganz war“. Erzählunge­n. Aus dem Rumänische­n von Ernest Wichner. € 24,70 / 335 Seiten. Zsolnay-Verlag, Wien 2018
Varujan Vosga nian, „Als die Welt ganz war“. Erzählunge­n. Aus dem Rumänische­n von Ernest Wichner. € 24,70 / 335 Seiten. Zsolnay-Verlag, Wien 2018

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