„Wir sind die QuotenTschuschen“
Dunkle Hautfarbe oder ein fremd klingender Name: Alltagsrassismus ist in Österreich weitverbreitet. Auch der im Iran geborene und in Wien aufgewachsene Filmregisseur Arman T. Riahi hat einschlägige Erfahrungen gemacht. Dennoch plädiert er für weniger Poli
Es war einer der Überraschungserfolge des vergangenen Kinojahres: Benny und Marko, zwei hippe Wiener mit Migrationshintergrund und beide gerade in einer Lebenskrise, geben sich für eine Doku-Serie als Gangsta-Boys aus – samt Hoodie und Ghetto-Sprech.
Die Migrantigen heißt der Film von Arman T. Riahi, den er gemeinsam mit seinem Bruder Arash produzierte. Beide sind Fixgrößen der heimischen Filmszene – und beide thematisieren immer wieder ihre Erfahrungen mit und zwischen unterschiedlichen Kulturen.
Standard: Sie sind mit drei Jahren nach Österreich gekommen, beide Elternteile stammen aus dem Iran. Welche Erfahrungen mit Alltagsrassismus haben Sie gemacht?
Riahi: Den habe ich selbst öfters am eigenen Leib erfahren. Ich bin allerdings vorsichtig, wenn es um das Wort Rassismus geht. Das ist ein sehr großes Wort, da steckt eine ganze Weltsicht dahinter. Meistens wird man mit Ignoranz oder Unwissenheit konfrontiert.
Standard: Zum Beispiel?
Riahi: Beim Dreh zu Die Migrantigen haben sich zwei ältere Damen, sie waren beide Komparsinnen, darüber unterhalten, wer der Regisseur des Films ist. Sie konnten nicht glauben, dass ich, der Dunkelhaarige, der Regisseur bin und ein blonder, autochthoner Österreicher mein Assistent ist.
Standard: Geht man mit dem Wort Rassismus zu leichtfertig um?
Riahi: Auf jeden Fall. Nicht jeder Österreicher, der mit Multikulti wenig Berührungspunkte hat, ist ein Rassist. Man braucht sich nur anschauen, wo rechte Parteien ihre Stimmen herkriegen: dort, wo wenig Zuzug ist. Da ist viel Unwissenheit mit im Spiel. Dazu kommt, dass wir seit Jahrhunderten mit Nationalismen konfrontiert sind. Die verschwinden nicht von einem Tag auf den nächsten.
Standard: Wie sehen Sie die #MeTwo-Debatte? Ich höre da Skepsis durch.
Riahi: Nein, nein, ich begrüße sie sehr. Das Wichtige ist aber, dass die Debatte nicht nur auf Twitter geführt wird, sondern Konsequenzen im echten Leben hat. Es gibt Alltagsrassismus, es gibt Alltagsignoranz, die komplett undifferenzierte Betrachtung von Migration.
Standard: Wie wird in Ihrer Familie über das Thema diskutiert?
Riahi: Meine Eltern sind Lehrer, Bildung hatte für sie immer einen großen Wert. Es war klar, dass ich und mein Bruder perfekt Deutsch lernen müssen, sie haben Wert darauf gelegt, dass wir sowohl die persische Kultur respektieren und schätzen als auch jene des neuen Heimatlands.
Standard: In der #MeTwo-Debatte wird deutlich, dass Stigmatisierungen bereits in der Schule greifen. Schüler, die einen Migrationshintergrund haben, werden automatisch in die Hauptschule geschickt, obwohl sie es locker aufs Gymnasium schaffen würden. Riahi: Ich kann das eins zu eins unterschreiben. Meine Familie musste aus dem Iran flüchten, mein Bruder ist acht Jahre älter als ich, er war elf, als er nach Österreich kam. Aufgrund seiner ein- geschränkten Sprachkenntnisse hatte er in Deutsch einen Dreier und sollte auf die Hauptschule geschickt werden. Und das, obwohl er ein sehr guter Schüler war. Zum Glück hat ein österreichischer Freund meine Eltern auf die Weichenstellung aufmerksam gemacht, und zusammen hat man es geschafft, meinen Bruder aufs Gymnasium in der Schottenbastei zu schicken. Ich und meine Schwester sind dort auch zur Schule gegangen.
Standard: Gab es dort Momente, wo Sie wegen Ihrer Herkunft diskriminiert wurden?
Riahi: Natürlich kriegt man mit, dass man anders ist als die anderen. Kinder lernen ja schnell von ihren Eltern, was ein Tschusch ist. Ich habe als Kind viele Comics gelesen, in der Buchhandlung, wo wir sie gekauft haben, war immer ich es, der von der Security kontrolliert wurde – und nie jene Jungs aus meiner Klasse, die keinen Migrationshintergrund hatten.
Standard: Neben der Diskussion über Alltagsrassismus hat #MeTwo selbst eine Flut an rassistischen Tweets ausgelöst. Sind das die Kollateralschäden, die man in Kauf nehmen muss?
Riahi: Was da jetzt rauskommt, war auch schon zuvor in den Leuten drin. Xenophobie ist in unseren Gesellschaften sehr verbreitet, auch bei Menschen mit Migrationshintergrund. Viele FPÖWähler haben Migrationshintergrund. Der Gedanke, dass die einen weniger xenophob als die anderen wären, ist falsch. Mich stört die Political Correctness, die da jetzt wieder hochschwappt. Zuerst zeigt man mit dem Zeigefinger auf den anderen und ruft Rassist, und dann schickt man seine eigenen Kinder in eine Privatschule mit möglichst wenigen Kindern mit Migrationshintergrund.
Standard: Die moralische Selbstüberhöhung scheint ein Nebeneffekt von Debatten wie #MeToo
oder #MeTwo zu sein. Nenne ich jemanden einen Rassisten, bedeutet das zugleich, dass man selbst keiner ist. Dennoch scheint die Debatte lange überfällig zu sein.
Riahi: Ja, es ist an der Zeit, das dominante Narrativ zu hinterfragen, die Segregation zwischen uns und den anderen. Niemand schreibt darüber, wie schwierig es für Menschen mit einem fremd klingenden Namen ist, eine Wohnung zu bekommen oder eine Antwort auf ein Bewerbungsschreiben.
Standard: Was könnte ein anderes Narrativ sein?
Riahi: Es braucht nicht eines, es braucht viele unterschiedliche Narrative, man muss die Kulturen in ihrer Vielschichtigkeit zeigen. Wir haben zu wenige Leute mit Migrationshintergrund in den Medien, wir müssen Menschen mit Migrationshintergrund in den Mainstream holen. Das trägt zur Vielseitigkeit der Gesellschaft bei!
Standard: In Ihrem Film „Die Migrantigen“haben Sie genau diese Problemlage thematisiert. Wie stark ist der Druck, dass man seinen eigenen Hintergrund künstlerisch zum Thema macht? Kriegt man so leichter Förderungen?
Riahi: Es gibt die Erwartung, ja. Wir haben schlichtweg gewisse Erfahrungen gemacht, die andere nicht gemacht haben. Ich sage immer, ich habe 35 Jahre für Die Mi
grantigen recherchiert. Ironisch gesagt: Wir sind die QuotenTschuschen der Filmbranche. Ich möchte allerdings nicht auf das eine Thema reduziert werden.
Standard: Die Schauspielerin Sibel Kekilli beklagt in der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass sie auch nach so vielen Jahren in der Filmbranche immer noch hauptsächlich Angebote bekommt, eine Türkin zu spielen. Ist das im heimischen Filmschaffen auch so?
Riahi: Das ist überall in Europa ein reales Problem. In Deutschland ist die Situation sogar etwas besser als in Österreich, weil dort wesentlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Schlüsselpositionen sind. In meinem nächsten Drehbuch spielt ein Schauspieler mit Migrationshintergrund eine Figur ohne Migrationshintergrund. Auch in anderen heimischen Filmen kommt das zunehmend öfter vor. Es ändert sich langsam was.
Standard: Verlieren wir diese Entwicklung vielleicht zu sehr aus den Augen? Der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani interpretiert die derzeitige Debatte als Symptom dafür, dass die Gesellschaft immer weiter zusammenwächst. Jetzt geht es um Verteilungskämpfe. Nachvollziehbar?
Riahi: Schauen Sie mich und meinen Bruder an: Wir machen Filme, wir sind sichtbar, wir haben eine Stimme. Vor zwanzig Jahren gab es Menschen wie uns in der österreichischen Öffentlichkeit kaum. Jetzt muss man sich mit uns auseinandersetzen. Das, was jetzt passiert, ist wie der zweite Teil von Star Wars: Das Imperium schlägt zurück. Umso wichtiger ist es, dass man jetzt Flagge zeigt.