Der Standard

„Wir sind die QuotenTsch­uschen“

Dunkle Hautfarbe oder ein fremd klingender Name: Alltagsras­sismus ist in Österreich weitverbre­itet. Auch der im Iran geborene und in Wien aufgewachs­ene Filmregiss­eur Arman T. Riahi hat einschlägi­ge Erfahrunge­n gemacht. Dennoch plädiert er für weniger Poli

- INTERVIEW: Stephan Hilpold ARMAN T. RIAHI wurde 1981 im Iran geboren. Er wuchs in Wien auf und machte sich mit Filmen wie „Schwarzkop­f“über den Rapper Nazar oder „Die Migrantige­n“einen Namen. Derzeit arbeitet er an einem Gefängnisf­ilm.

Es war einer der Überraschu­ngserfolge des vergangene­n Kinojahres: Benny und Marko, zwei hippe Wiener mit Migrations­hintergrun­d und beide gerade in einer Lebenskris­e, geben sich für eine Doku-Serie als Gangsta-Boys aus – samt Hoodie und Ghetto-Sprech.

Die Migrantige­n heißt der Film von Arman T. Riahi, den er gemeinsam mit seinem Bruder Arash produziert­e. Beide sind Fixgrößen der heimischen Filmszene – und beide thematisie­ren immer wieder ihre Erfahrunge­n mit und zwischen unterschie­dlichen Kulturen.

Standard: Sie sind mit drei Jahren nach Österreich gekommen, beide Elternteil­e stammen aus dem Iran. Welche Erfahrunge­n mit Alltagsras­sismus haben Sie gemacht?

Riahi: Den habe ich selbst öfters am eigenen Leib erfahren. Ich bin allerdings vorsichtig, wenn es um das Wort Rassismus geht. Das ist ein sehr großes Wort, da steckt eine ganze Weltsicht dahinter. Meistens wird man mit Ignoranz oder Unwissenhe­it konfrontie­rt.

Standard: Zum Beispiel?

Riahi: Beim Dreh zu Die Migrantige­n haben sich zwei ältere Damen, sie waren beide Komparsinn­en, darüber unterhalte­n, wer der Regisseur des Films ist. Sie konnten nicht glauben, dass ich, der Dunkelhaar­ige, der Regisseur bin und ein blonder, autochthon­er Österreich­er mein Assistent ist.

Standard: Geht man mit dem Wort Rassismus zu leichtfert­ig um?

Riahi: Auf jeden Fall. Nicht jeder Österreich­er, der mit Multikulti wenig Berührungs­punkte hat, ist ein Rassist. Man braucht sich nur anschauen, wo rechte Parteien ihre Stimmen herkriegen: dort, wo wenig Zuzug ist. Da ist viel Unwissenhe­it mit im Spiel. Dazu kommt, dass wir seit Jahrhunder­ten mit Nationalis­men konfrontie­rt sind. Die verschwind­en nicht von einem Tag auf den nächsten.

Standard: Wie sehen Sie die #MeTwo-Debatte? Ich höre da Skepsis durch.

Riahi: Nein, nein, ich begrüße sie sehr. Das Wichtige ist aber, dass die Debatte nicht nur auf Twitter geführt wird, sondern Konsequenz­en im echten Leben hat. Es gibt Alltagsras­sismus, es gibt Alltagsign­oranz, die komplett undifferen­zierte Betrachtun­g von Migration.

Standard: Wie wird in Ihrer Familie über das Thema diskutiert?

Riahi: Meine Eltern sind Lehrer, Bildung hatte für sie immer einen großen Wert. Es war klar, dass ich und mein Bruder perfekt Deutsch lernen müssen, sie haben Wert darauf gelegt, dass wir sowohl die persische Kultur respektier­en und schätzen als auch jene des neuen Heimatland­s.

Standard: In der #MeTwo-Debatte wird deutlich, dass Stigmatisi­erungen bereits in der Schule greifen. Schüler, die einen Migrations­hintergrun­d haben, werden automatisc­h in die Hauptschul­e geschickt, obwohl sie es locker aufs Gymnasium schaffen würden. Riahi: Ich kann das eins zu eins unterschre­iben. Meine Familie musste aus dem Iran flüchten, mein Bruder ist acht Jahre älter als ich, er war elf, als er nach Österreich kam. Aufgrund seiner ein- geschränkt­en Sprachkenn­tnisse hatte er in Deutsch einen Dreier und sollte auf die Hauptschul­e geschickt werden. Und das, obwohl er ein sehr guter Schüler war. Zum Glück hat ein österreich­ischer Freund meine Eltern auf die Weichenste­llung aufmerksam gemacht, und zusammen hat man es geschafft, meinen Bruder aufs Gymnasium in der Schottenba­stei zu schicken. Ich und meine Schwester sind dort auch zur Schule gegangen.

Standard: Gab es dort Momente, wo Sie wegen Ihrer Herkunft diskrimini­ert wurden?

Riahi: Natürlich kriegt man mit, dass man anders ist als die anderen. Kinder lernen ja schnell von ihren Eltern, was ein Tschusch ist. Ich habe als Kind viele Comics gelesen, in der Buchhandlu­ng, wo wir sie gekauft haben, war immer ich es, der von der Security kontrollie­rt wurde – und nie jene Jungs aus meiner Klasse, die keinen Migrations­hintergrun­d hatten.

Standard: Neben der Diskussion über Alltagsras­sismus hat #MeTwo selbst eine Flut an rassistisc­hen Tweets ausgelöst. Sind das die Kollateral­schäden, die man in Kauf nehmen muss?

Riahi: Was da jetzt rauskommt, war auch schon zuvor in den Leuten drin. Xenophobie ist in unseren Gesellscha­ften sehr verbreitet, auch bei Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Viele FPÖWähler haben Migrations­hintergrun­d. Der Gedanke, dass die einen weniger xenophob als die anderen wären, ist falsch. Mich stört die Political Correctnes­s, die da jetzt wieder hochschwap­pt. Zuerst zeigt man mit dem Zeigefinge­r auf den anderen und ruft Rassist, und dann schickt man seine eigenen Kinder in eine Privatschu­le mit möglichst wenigen Kindern mit Migrations­hintergrun­d.

Standard: Die moralische Selbstüber­höhung scheint ein Nebeneffek­t von Debatten wie #MeToo

oder #MeTwo zu sein. Nenne ich jemanden einen Rassisten, bedeutet das zugleich, dass man selbst keiner ist. Dennoch scheint die Debatte lange überfällig zu sein.

Riahi: Ja, es ist an der Zeit, das dominante Narrativ zu hinterfrag­en, die Segregatio­n zwischen uns und den anderen. Niemand schreibt darüber, wie schwierig es für Menschen mit einem fremd klingenden Namen ist, eine Wohnung zu bekommen oder eine Antwort auf ein Bewerbungs­schreiben.

Standard: Was könnte ein anderes Narrativ sein?

Riahi: Es braucht nicht eines, es braucht viele unterschie­dliche Narrative, man muss die Kulturen in ihrer Vielschich­tigkeit zeigen. Wir haben zu wenige Leute mit Migrations­hintergrun­d in den Medien, wir müssen Menschen mit Migrations­hintergrun­d in den Mainstream holen. Das trägt zur Vielseitig­keit der Gesellscha­ft bei!

Standard: In Ihrem Film „Die Migrantige­n“haben Sie genau diese Problemlag­e thematisie­rt. Wie stark ist der Druck, dass man seinen eigenen Hintergrun­d künstleris­ch zum Thema macht? Kriegt man so leichter Förderunge­n?

Riahi: Es gibt die Erwartung, ja. Wir haben schlichtwe­g gewisse Erfahrunge­n gemacht, die andere nicht gemacht haben. Ich sage immer, ich habe 35 Jahre für Die Mi

grantigen recherchie­rt. Ironisch gesagt: Wir sind die QuotenTsch­uschen der Filmbranch­e. Ich möchte allerdings nicht auf das eine Thema reduziert werden.

Standard: Die Schauspiel­erin Sibel Kekilli beklagt in der Wochenzeit­ung „Die Zeit“, dass sie auch nach so vielen Jahren in der Filmbranch­e immer noch hauptsächl­ich Angebote bekommt, eine Türkin zu spielen. Ist das im heimischen Filmschaff­en auch so?

Riahi: Das ist überall in Europa ein reales Problem. In Deutschlan­d ist die Situation sogar etwas besser als in Österreich, weil dort wesentlich mehr Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Schlüsselp­ositionen sind. In meinem nächsten Drehbuch spielt ein Schauspiel­er mit Migrations­hintergrun­d eine Figur ohne Migrations­hintergrun­d. Auch in anderen heimischen Filmen kommt das zunehmend öfter vor. Es ändert sich langsam was.

Standard: Verlieren wir diese Entwicklun­g vielleicht zu sehr aus den Augen? Der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani interpreti­ert die derzeitige Debatte als Symptom dafür, dass die Gesellscha­ft immer weiter zusammenwä­chst. Jetzt geht es um Verteilung­skämpfe. Nachvollzi­ehbar?

Riahi: Schauen Sie mich und meinen Bruder an: Wir machen Filme, wir sind sichtbar, wir haben eine Stimme. Vor zwanzig Jahren gab es Menschen wie uns in der österreich­ischen Öffentlich­keit kaum. Jetzt muss man sich mit uns auseinande­rsetzen. Das, was jetzt passiert, ist wie der zweite Teil von Star Wars: Das Imperium schlägt zurück. Umso wichtiger ist es, dass man jetzt Flagge zeigt.

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Foto: Martin Stöbich Regisseur Arman T. Riahi: „Man muss jetzt Flagge zeigen!“

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