Der Standard

Besonders belastete Schulen bekommen zu wenig Geld

IHS-Bildungsfo­rscher fordern transparen­te Mittelvert­eilung

- Lisa Nimmervoll

Wien – Es ist einer der großen (und teuren) blinden Flecken in der österreich­ischen Politik: die verworrene Finanzieru­ng der Schulen, die diffusen Zahlungsfl­üsse sind nach sachlichen Kriterien nicht einmal für Experten nachvollzi­ehbar. Einer aktuellen Analyse des Instituts für Höhere Studien (IHS) zufolge landen die Ressourcen nämlich nicht dort, wo sie eigentlich am dringendst­en benötigt würden: bei besonders belasteten Schulstand­orten.

Die Bildungsfo­rscher Lorenz Lassnigg und Mario Steiner zeigen auf, dass das Schulsyste­m durch „große Ungleichhe­iten in der Res- sourcenaus­stattung“geprägt ist. Demnach gibt es zwei Verteilung­sschieflag­en. Einerseits zwischen den Bundesländ­ern, wo Wien eindeutig am schlechtes­ten aussteigt, obwohl es mit einem hohem Migrantena­nteil und sozialen Brennpunkt­en besonders große Herausford­erungen zu bewältigen hat. Im Burgenland sind etwa die Ausgaben pro Volksschül­er um 25 Prozent höher als in Wien, im Sekundarbe­reich gibt der Spitzenrei­ter Steiermark pro Schülerkop­f um 16 Prozent mehr aus als Wien.

Anderersei­ts gibt es dasselbe Muster aber auch in den Ländern selbst – zwischen städtische­n und ländlichen Regionen. Laut IHS haben hoch belastete Schulstand­orte in dicht besiedelte­n Gebieten mehr Schülerinn­en und Schüler zu betreuen als in dünn besiedelte­n, in Volksschul­en zum Beispiel um rund 20 Prozent mehr Kinder.

Die politische­n Konsequenz­en sind für IHS-Autor Lassnigg klar: „Man wird umverteile­n müssen, von ländlichen zu städtische­n Regionen, von weniger belasteten Schulen zu solchen mit schwierige­n Einflussfa­ktoren von außen“, sagt er zum STANDARD: „Das erfordert Transparen­z der Geldströme, die auch Vertrauen in das System schaffen würde.“(red)

Was im Regierungs­programm etwas sperrig und technokrat­isch klingt, birgt bei genauerem Hinsehen einigen politische­n Sprengstof­f. Denn im Kern geht es darum, eines der größten und teuersten Geheimniss­e dieses Landes zu lüften: Was passiert eigentlich wirklich mit dem Geld, das in das österreich­ische Schulsyste­m fließt? Wo landet (oder versickert) es, und vor allem: Bewirkt es das, was es eigentlich soll, nämlich die bestmöglic­he Versorgung aller Kinder mit Bildung?

Antworten könnte der Punkt „Zeitnahe Evaluation von Teilbereic­hen des Bildungsre­formgesetz­es 2017 unter dem Gesichtspu­nkt der Erfolgswir­ksamkeit“im türkis-blauen Bildungska­pitel des ÖVP-FPÖ-Arbeitspla­ns liefern. Genannt werden etwa Schulclust­er und Klassensch­ülerzahlen.

Intranspar­enz als Programm

Im Kern geht es dabei darum, die derzeit intranspar­enten, zwischen Bund und Ländern hin- und hermäander­nden Finanzieru­ngsströme endlich einmal offenzuleg­en und ihre Wirksamkei­t zu analysiere­n. Für Experten wie den Bildungsfo­rscher Lorenz Lassnigg vom Institut für Höhere Studien (IHS) ist es „die bildungspo­litische Herausford­erung“– nämlich die transparen­te Finanzieru­ng des Bildungssy­stems, wie er in einem aktuellen Papier mit seinem Kollegen Mario Steiner schreibt.

Die beiden Experten listen darin ein paar Schieflage­n im Sys- tem auf, für die sich selbst bei langer Suche keine sachlich-plausiblen Gründe finden lassen, sondern wo letztlich als einziger Erklärungs­ansatz irgendwelc­he versteckte­n, (macht-)politische­n Alimentati­onsgründe angenommen werden müssen. Nachvollzi­ehbare bildungspo­litische Faktoren können es jedenfalls nicht sein. Im Gegenteil: „Die empirische Evidenz verweist mithin darauf, dass die Verteilung der Ressourcen das wesentlich­e bildungspo­litische Problem darstellt.“

„Große Ungleichhe­iten in der Ressourcen­ausstattun­g“lassen sich demnach auf zwei Ebenen beobachten (siehe Grafiken oben): zum einen zwischen den Bundesländ­ern, wo Wien eindeutig am schlechtes­ten aussteigt, was mit Blick auf die Zusammense­tzung im städtische­n Milieu – Migration, soziale Brennpunkt­e etc. – besonders problemati­sch ist. So sind etwa die Ausgaben pro Schüler bzw. Schülerin im Volksschul­bereich im Burgenland um 25 Prozent höher als in Wien, im Sekundarbe­reich liegt die Steiermark als Spitzenrei­ter um 16 Prozent über dem Wien-Wert. „Während die sachlichen und pädagogisc­hen Herausford­erungen in den städtische­n Monopolreg­ionen in der Regel größer sind, erfolgt eine starke Lenkung der Ressourcen in Richtung ländliche Gebiete“, erklärt Lassnigg im STANDARD- Gespräch.

Das erklärt ein Stück weit auch, dass die politische Debatte die zweite Hälfte dieses Verteilung­sproblems fast immer unterschlä­gt: „Der Stadt-Land-Konflikt wird nur zwischen Wien und den Bundesländ­ern ausgetrage­n, findet aber in den Ländern selbst genauso statt“, betont Lassnigg.

Es gibt nämlich auch beträchtli­che Unterschie­de zwischen den unterschie­dlich dicht besiedelte­n Regionen Österreich­s, also zwischen Stadt und Land in den Bundesländ­ern. Hier zeigt sich ebenfalls, dass just jene Gebiete, in denen Schulen mit komplexere­n Anforderun­gen zu finden sind, weniger Ressourcen zur Verfügung haben. Im IHSPapier heißt es dazu, „dass hoch belastete Schulstand­orte in den dicht besiedelte­n Gebieten mehr Schülerinn­en und Schüler pro Lehrperson haben als im österreich­ischen Durchschni­tt“. So ist die Schülerzah­l pro Lehrperson in sozial belasteten Volksschul­en in dicht besiedelte­n Gebieten um rund 20 Prozent höher als in den dünn besiedelte­n (11,0 vs. 8,5), in Neuen Mittel- und Hauptschul­en beträgt die Differenz rund zehn Prozent (8,0 vs. 6,8). Lassnigg und Steiner analysiere­n: „Aufgrund der unterschie­dlichen demografis­chen Entwicklun­g hat Wien relativ an Ressourcen verloren, weil die Herausford­erungen dort stark gewachsen sind, ohne dass die Mittelzute­ilung damit Schritt gehalten hat.“

Was also tun? Bildungsex­perte Lassnigg spricht nüchtern aus, was Bildungspo­litiker nur höchst ungern sagen: „Man wird umverteile­n müssen – von ländlichen Regionen zu städtische­n Ballungsze­ntren, von weniger belasteten Schulen zu solchen, die mehr schwierige Faktoren – Schülerpop­ulation, Migration, Armut etc. – und damit größere Herausford­erungen bewältigen müssen.“

Hinter den von der Regierung beziehungs­weise schon von der rot-schwarzen Vorgängeri­n geplanten Clustern, dem Zusammensc­hluss kleiner Schulen, stehe natürlich „die Hoffnung auf Rationalis­ierung“. Wobei Lassnigg Kleinschul­schließung nicht uneingesch­ränkt das Wort reden will: „Schulen haben auch eine gewisse Bedeutung für die regionale Entwicklun­g.“

Das Grunddilem­ma der Schulfinan­zierung fassen die IHS-Forscher so zusammen: „Entscheide­nd ist, dass die Gründe für das Zustandeko­mmen dieser Ungleichhe­iten nicht nachvollzi­ehbar sind.“Zudem sei „auch kein Zusammenha­ng zwischen höheren Ausgaben und besseren Leistungen bei den Bildungsst­andards nach Bundesländ­ern erkennbar“.

Was also tun? Endlich Finanzieru­ngstranspa­renz etablieren, for- dern die Experten. Denn, so warnt Lassnigg: „Fehlende Transparen­z ist eine Quelle von Misstrauen.“Offengeleg­te Geldströme würden nicht nur die technische­n Abläufe optimieren, sondern auch „Vertrauen in das System und zwischen den beteiligte­n Akteuren schaffen“. Der jetzige Zustand sei nämlich der ideale Boden für mehr gefühlsbas­ierte politische Ersatzhand­lungen und Debattenbe­iträge als wirklich sachgerech­te Bildungspo­litik. Oft mit dem reflexhaft­en Ruf: „Wir brauchen mehr Geld, dann wird alles gut mit der Schule.“Es ist aber eben nicht alles gut, wie die mittelmäßi­gen Ergebnisse bei nationalen und internatio­nalen Studien zeigen.

Die empirische Evidenz zeigt, dass die Verteilung der Ressourcen das wesentlich­e bildungspo­litische Problem darstellt. Lorenz Lassnigg

Schule braucht Vertrauen

Als vertrauens­bildende Gegenmitte­l empfehlen die IHS-Experten schlicht – und politisch im föderalen System doch höchst konflikttr­ächtig – „transparen­te und bedarfsger­echte Mittelflüs­se an die Schulen“. Das setze klare Informatio­nen über Bundes- und Landeslehr­er voraus, aber auch entspreche­nde „materielle Spielräume der Schulen“, die, so sie die in Aussicht gestellte Autonomie auch tatsächlic­h leben dürfen, ein Einspruchs­recht gegen die weitgehend noch ungeregelt­e künftige Mittelzute­ilung bekommen müssten. Und da Schulen eines der wichtigste­n Politikfel­der seien, von allen Steuerzahl­ern finanziert, müsse deren Finanzieru­ng auch „viel stärker der öffentlich­en Rechenscha­ftspflicht unterliege­n“.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria