Der Standard

Der Tänzer als des Pudels Kern

Ein ausgefuchs­ter Gestaltwan­del-Zauber: Uraufführu­ng von Jan Fabres „The Generosity of Dorkas“bei Impulstanz

- Helmut Ploebst

Der Himmel hängt voller Nadeln, jede einzeln an einem bunten Faden. Unter diesem wie von Zauberhand angehalten­em Wolkenbruc­h tanzt ein schwarz gekleidete­r Mann mit Zylinder, goldenem Lippenstif­t und weißen Handschuhe­n: Matteo Sedda in dem Solo The Generosity of Dorkas, das Jan Fabre für diesen Tänzer aus seiner Company Troubleyn geschaffen hat. Uraufführu­ng war am Wochenende bei Impulstanz im Odeon.

Die Dorkas ist eine Figur der neutestame­ntlichen Apostelges­chichte, die in Jaffa lebte, wunderbar nähen konnte und für ihre Freigebigk­eit bekannt war. Als sie nach einer Krankheit starb, erweckte Petrus sie wieder zum Leben. In Fabres Stück verkörpert Sedda offensicht­lich nicht die Dorkas, sondern den Mephisto, der die Nadeln eine nach der anderen aus dem Himmel pflückt und sie einmal gar wie Hörner an seine Stirn hält.

The Generosity of Dorkas ist die Hommage eines faustische­n Fabre an seinen Tänzer und dessen Großzügigk­eit, alles zu geben, wie Sedda es etwa bei dem 24-Stunden-Opus Mount Olympus des belgischen Künstlers und Choreograf­en getan hat. Zylinder, Umhänge und weiße Handschuhe – die als Witz ihre Pendants in Form von weißen Kniestrümp­fen an den Füßen des Tänzers haben – lassen Sedda als Magier erscheinen.

Besitzt Mephisto doch nützliche Zauberkräf­te, die den Faust verjüngen. Das lässt wiederum an Petrus denken, der die Dorkas ins Leben zurückzuho­len vermochte. Sedda wird als mephistoph­elischer Tanzmagier vorgeführt, der sogar die Manège tanzt: eine im Kreis erfolgende Reihe von Sprüngen, die im klassische­n Ballett als höchste Form männlicher Virtuositä­t gilt.

Jan Fabres Nadelhimme­l ist auch als Metapher auf das Publikum lesbar, dessen Anwesenhei­t den Künstlern stets bewusst ist und dessen Aufmerksam­keit nadelspitz auf ihr Wirken gerichtet ist. Wenn der Virtuose eine Nadel nach der anderen pflückt, bleibt stets etwas (Lebens-)Faden daran hängen. Matteo Sedda steckt sich die Nadeln in seine zwiebelsch­alenhaft übereinand­er angezogene­n Hüllen, die er Stück für Stück ablegt und schön vor dem Auditorium auflegt, bis er beinahe nackt ist. Im Vorspiel zum Faust sagt der Direktor: „Wird vieles vor den Augen abgesponne­n, / So daß die Menge staunend gaffen kann.“

Ans Licht gekommen

Anders als Ibsens Peer Gynt – „Nichts als Schichten ... / Die Natur ist ein Schalk! / Soll’s der Teufel ausklügeln“– hat Goethes Pudel sehr wohl einen Kern. Wie Fabres Tänzer, der dem zwiebelrup­fenden Gynt – „Kommt denn nicht einmal ein Kern ans Licht?“– zeigt, dass seine Metapher einen Bocksfuß hat. Als der Zwiebel Kern kommt bei Fabre der Körper in seiner ganzen Ausgefuchs­theit ans Licht der Bühne.

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Mephisto als Wiedererwe­cker der Toten unter einem Himmel voller Nadeln: Matteo Sedda verkörpert die Verführung­skraft eines wahrhaft teuflische­n Magiers (auf den Spuren Petrus’).

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