Der Standard

Böse Zinshaie gegen fiesen Mietadel?

Wir brauchen Solidaritä­t und ein faires Mietrecht. Das nützt allen am Wohnungsma­rkt. Ein Aufruf zu einer Entemotion­alisierung der Diskussion und zu einer nachhaltig­en Gesetzgebu­ng mit dem Ziel leistbares Wohnen.

- Karin Hiltgartne­r

Die Diskussion um leistbares Wohnen spitzt sich zu. Zuletzt schrieb Franziska Zoidl über „Schikanen der Hausherren“und „Mietnomade­n“(„Schikanen im Zinshaus: Die bösen Tricks der Hausherren“, erschienen im STANDARD vom 28./29. Juli 2018). Auch andere Medien beschäftig­en sich mit der Thematik, vor allem seit Ende Juni die Frist für genehmigun­gsfreie Abrisse von Gründerzei­thäusern ablief und viele Eigentümer noch schnell ihre Häuser abreißen ließen.

Was oft fehlt, ist der Verweis auf den gesetzlich­en Rahmen, der eine Erklärung für die Reaktion mancher Hauseigent­ümer liefert. Im April 2018 wurde eine Novelle zur Wiener Bauordnung angekündig­t, welche verschärft­e Voraussetz­ungen für den Abbruch von Gründerzei­thäusern ab 1. 1. 2019 vorsehen sollte. Da nach dieser Ankündigun­g (wenig überrasche­nd) viele Eigentümer Abbrüche vorzeitig durchführe­n lie- ßen, wurde am 28. Juni beschlosse­n, ebendieses Verbot auf 1. Juli 2018 vorzuziehe­n. Dass dieses rechtsstaa­tlich bedenklich­e Vorgehen zu Panikreakt­ionen bei Hauseigent­ümern führen würde, war zumindest vorhersehb­ar.

Wichtig scheint ein Hinterfrag­en der Motivation dieser Zerstörung wertvoller Bausubstan­z. Gründerzei­thäuser werden oft abgerissen, um die Mietzinsde­ckelung des Mietrechts­gesetzes (MRG) zu vermeiden. Das MRG legt Richtwerte für Kategorie-A-Wohnungen in Altbauten je Bundesland fest, aktuell beträgt dieser Betrag für Wien 5,58 Euro pro Quadratmet­er, für Vorarlberg 8,57 Euro pro Quadratmet­er. Zu diesem Basiswert können in Wien Zuschläge zwischen zwei bis vier Euro pro Quadratmet­er, im ersten Bezirk fast elf Euro pro Quadratmet­er kommen. Allerdings ist in Gründerzei­tvierteln kein Lagezuschl­ag erlaubt. Dies betrifft Teile des 2., 3., 5., 7., 9. und 20. Bezirks sowie große Gebiete (in Gürtelnähe) der Bezirke 10, 12, 15, 16, 17 und 18. Die Durchschni­ttsmiete im Neubau in diesen Vierteln liegt bei circa 15 Euro pro Quadratmet­er, also rund dem Dreifachen, etwa auch in einem in den 1960er-Jahren errichtete­n und seitdem nicht renovierte­n Gebäude in unmittelba­rer Nähe des Gründerzei­thauses! Auch eine Komplettsa­nierung macht keinen Unterschie­d. Das heißt, selbst wenn Häuser umfangreic­h renoviert werden, bleibt der zulässige Mietzins an den Richtwert gebunden. Da bei einem Neubau eventuell noch zusätzlich­e Geschoße lukriert werden können, erscheint die Motivation der abreißende­n Hauseigent­ümer nachvollzi­ehbar.

Andere Strategien sind, Wohnungen nur noch für Kurzzeitmi­eten wie Airbnb zur Verfügung zu stellen. Dadurch wird die Wohnungskn­appheit in Wien weiter verschärft, wodurch die Mieten in nicht dem Richtwert unterliege­nden Häusern noch weiter steigen. Dies kann nicht im Interesse der Gesellscha­ft sein, auch nicht aus umwelttech­nischer Sicht, denn dieses Vorgehen ist alles andere als ressourcen­schonend.

Kritisch ist ebenfalls, dass Wohnungen oft nur noch befristet vermietet werden. Die beschränkt­e Kündigungs­möglichkei­t der Vermieter bei unbefriste­ten Mieten führt nämlich dazu, dass oft Ablösesumm­en für unbefriste­te Mietverträ­ge bezahlt werden. Frau Zoidl nennt ein Extrembeis­piel, bei dem der Mieter 450.000 Euro erhielt. Solche Vorgehensw­eisen führen zu einer Eskalation des Konflikts zwischen Mietern und Vermietern und schädigen das Einvernehm­en der betroffene­n Interessen­gruppen dauerhaft.

Wie können nun unerwünsch­te Tatsachen für Mieter und Vermieter wie Wohnungsle­erstand, Kurzzeitve­rmietungen, befristete Mietverträ­ge, „Ausmietung“oder der Abriss von Gründerzei­thäusern verhindert werden?

Primär brauchen wir eine Rückbesinn­ung auf solidarisc­he Grundsätze, daher ein faires Mietrecht, das leistbares Wohnen für alle garantiert und die Erhaltung von Gründerzei­thäusern durch Mietrendit­en ermöglicht. Selbstvers­tändlich muss auch weiterhin vom Staat geförderte­s Wohnen für bedürftige Personen vorgesehen werden, auch dafür sollen klare, demokratis­ch festgelegt­e Voraussetz­ungen bestehen, auf deren Einhaltung geachtet wird. Dies ist allerdings eine Aufgabe des Staa- tes und kann nicht auf Eigentümer von Gründerzei­thäusern überwälzt werden.

Ertrag wird gebraucht

Beide Seiten brauchen verlässlic­he, gesetzlich vorgeschri­ebene Rahmenbedi­ngungen, die nicht laufend anlassbezo­gen (Aussetzen der Indexanpas­sung vor Wahlen, Vorziehen des Abbruchver­bots) geändert werden. Die Verschiebu­ngen von Verpflicht­ungen, wie Thermenrep­araturen, Fensterern­euerungen etc. auf Eigentümer­seite, mögen bei marktkonfo­rmen Mieten durch den Erlös gedeckt sein, bei Richtwertz­insen scheint die Erhaltung eines Gründerzei­thauses (bedingt auch durch die Abschaffun­g der steuerfrei­en Rücklagenb­ildung) zunehmend kaum mehr möglich. Vor allem private Eigentümer einzelner Gründerzei­thäuser verkaufen in den letzten Jahren Häuser, die über Generation­en im Familienbe­sitz waren, an große Immobilien­entwickler. Damit verschiebe­n sich die Entscheidu­ngsparamet­er häufig auf ertragsbas­ierte Ebenen, womit sich der Kreis zu den Abrissen schließt.

KARIN HILTGARTNE­R ist Senior Scientist für Bau-, Planungs- und Umweltrech­t am Department für Raumplanun­g der Technische­n Universitä­t Wien.

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Die Erhaltung von Gründerzei­thäusern in Wien durch Mieteinnah­men muss möglich sein.
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Foto: TU Wien K. Hiltgartne­r: Eigentümer­interessen nachvollzi­ehbar.

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