Der Standard

Das Kopftuch ist ein Unterdrück­ungsmechan­ismus“

Emina Saric, die mit jungen Migranten gegen Unterdrück­ung im Namen der Ehre arbeitet, erklärt, warum sie das Kopftuch vom Kindergart­en bis zum Ende der Pflichtsch­ule verbieten würde: Es geht um Patriarcha­t und Islam.

- Lisa Nimmervoll INTERVIEW:

STANDARD: Die Bundesregi­erung möchte ein Kopftuchve­rbot in Kindergärt­en und Volksschul­en umsetzen. Was halten Sie davon? Saric: Ich halte das für einen richtigen Weg, weil das Tragen der Kopftücher in traditione­ll muslimisch­en Familien praktisch tradiert wird. Mädchen werden, indem sie ihr Haar vor Männern nicht zeigen sollen, schon im Kindesalte­r als Sexualobje­kte gesehen. Diese Sexualisie­rung der Mädchen gehört einfach verboten, und wenn wir an das Kindeswohl denken, haben solche Praktiken keinen Platz in unserer Gesellscha­ft. In stark patriarcha­l orientiert­en Familien werden Kindern eigene Werte und Sozialisie­rungsmerkm­ale aus den Herkunftsl­ändern vermittelt, ohne ihnen einen Raum zu überlassen, sich hier in der Mehrheitsg­esellschaf­t für neue Werte zu öffnen.

Wir müssen die Schule allen Kindern als neutralen Raum zur Verfügung stellen, damit sie sich – Burschen und Mädchen, egal welcher Herkunft – frei entwickeln können. Danach können die Mädchen Kopftücher tragen, wenn das wirklich aus religiöser Überzeugun­g ist, aber davor muss man schauen, dass die Kinder nicht nur den Einfluss der Familie oder einer Religion bekommen, sondern auch andere Perspektiv­en in der Gesellscha­ft. Da ist die Schule der erste Schritt, wo die Erziehung und eine weitere Sozialisie­rung breiter und unpersönli­cher werden.

STANDARD: Sie sagen, „die Schule“soll ein neutraler Raum werden. Wären Sie also generell für eine kopftuchfr­eie Schule bis zum Ende der Schulpflic­ht oder zumindest bis zur Religionsm­ündigkeit mit 14? Saric: Wenn es nach mir ginge, ja, im Kindergart­en und in der Pflichtsch­ule das Kopftuch auf jeden Fall verbieten, auch weil es die Kinder in „Wir“und „Ihr“trennt. Es gibt zu diesem Thema unterschie­dliche Genderpers­pektiven. Ich vertrete diejenige, die das Kopftuch klar als Unterdrück­ungsmechan­ismus der patriarcha­len Strukturen sieht, weil es ausschließ­lich den weiblichen Körper und die Kontrolle der weiblichen Sexualität betrifft. Es erscheint mir in der letzten Zeit wie ein Feldzug gegen den Frauenkörp­er, darum halte ich das Kopftuch für sehr fragwürdig.

STANDARD: Ist die Kopftuchfr­age für Sie also mehr eine gesellscha­ftspolitis­che, feministis­che Frage, die man besser mit Argumenten gegen den patriarcha­len Impetus dahinter führen sollte, und weniger eine religionsp­olitische, viele Muslime und Musliminne­n würden auch sagen: antimuslim­ische, Debatte? Saric: Aus meiner Sicht spielt der feministis­che Aspekt eine ganz große Rolle. Aber man kann die Religion nicht ausklammer­n, weil das Kopftuch ja darin verankert wird. Man bezieht sich auf Hadithe, also Überliefer­ungen Mohammeds, und auf den Koran, in dem es aber keine eindeutige Sure gibt, die darauf hinweist, dass Frauen Kopftücher tragen sollen, sondern sie sollen sich bedecken.

Diese Frage muss aber im historisch­en Kontext diskutiert werden, denn in dem Umfeld, in dem sich der Islam entwickelt hat, war die Bedeckung ein Schutz für Frauen, aber dieser Schutz ist heute obsolet. Den Schutz haben Frauen heute durch den Staat und die Gesetze, die unsere Großmütter und Mütter im letzten Jahrhunder­t erkämpft haben, wie das Wahlrecht, das Gewaltschu­tzgesetz und die Familienre­formen aus den 70ern. Es sind die politische­n Errungensc­haften der Aufklärung, aber auch der Frauenbewe­gung, es sind Gesetze, die Frauen Schutz bieten, und nicht Relikte wie ein Kopftuch.

STANDARD: Sie arbeiten als Projektlei­terin von „Heroes – Gegen Unterdrück­ung im Namen der Ehre“, einer Kooperatio­n der Frauenbera­tungsstell­e Caritas Divan und des Vereins für Männer- und Geschlecht­erthemen Graz, mit jungen Männern mit Migrations­hintergrun­d. Welche Rolle spielt das Kopftuch für junge Musliminne­n und Muslime? Gab es da eine Veränderun­g in den letzten Jahren? Saric: Ich beschäftig­e mich mit dem Thema schon lange und beobachte, dass in gewissen Ländern religiöse Pflichten stärker wurden. Das wirkt sich auch in Österreich auf Jugendlich­e aus. Wir be- schäftigen uns mit Ursachen, aber auch mit den Folgen solcher Trends. Was bedeutet das für die Mädchen? Wie stark sind familiäre Zwänge oder der Druck aus der Community? Leiden Mädchen darunter? Und wie gehen ihre Brüder, Väter oder männlichen Verwandten damit um? Für viele aber ist das Kopftuch auch ein sehr rebellisch­er Akt, weil sie dadurch Aufmerksam­keit erregen, und irgendwann legen sie es wieder ab.

Standard: Und die Burschen? Saric: Das Projekttea­m versucht, jene Burschen für das Projekt zu gewinnen, die sowieso aufgeschlo­ssen sind für das Thema Gewalt im Namen der „Ehre“und den Umgang damit und die Gleichbere­chtigung suchen. Das Projekt Heroes arbeitet präventiv mit jungen Männern aus sogenannte­n Ehrenkultu­ren, die sich für ein gleichbere­chtigtes Zusammenle­ben von Frauen und Männern in der Steiermark einsetzen. Sie bekommen eine siebenbis achtmonati­ge Ausbildung, damit sie an Schulen gehen und mit Gleichaltr­igen über „Ehre“oder traditions­bedingte Gewalt sprechen. Die Suche ist ziemlich langwierig und schwierig, aber es gibt diese Burschen. In der ersten Pha- se geht es vor allem darum, überhaupt einmal Fragen zu stellen.

Heroes bietet ihnen einen Zwischenra­um an, in dem mehrere Perspektiv­en und Haltungen zulässig bzw. die eigenen und fremden, patriarcha­len Vorstellun­gen zu hinterfrag­en sind. Das ist in kollektivi­stisch geprägten Milieus überhaupt nicht leicht, weil die Burschen auch ihre Herkunft, Religion und ihre Familie sehr oft infrage stellen. Daran zu rütteln, ist sehr riskant, darum ist es wichtig, dass die Burschen, mit denen wir arbeiten, geschützt sind und bei uns Support finden.

STANDARD: Sie waren davor selbst Beraterin bei der frauenspez­ifischen Beratungss­telle für Migrantinn­en, Divan. Aus Sicht dieser Frauen: Was würde ihnen, die in einem Umfeld leben, in dem das Kopftuch eine – mitunter eben auch zwangsweis­e – Rolle spielt, ein staatlich verordnete­s Kopftuchve­rbot für Mädchen bringen? Saric: Ich habe mit Frauen gearbeitet, die von Gewalt im Namen der „Ehre“wie Zwangsheir­at sowie von traditions­bedingter Gewalt betroffen waren. Traditions­bedingte Gewalt wird in kollektivi­stisch-mediterran­en Gesellscha­ften durch religiöse, traditione­lle Verhaltens­vorschrift­en und Riten tradiert und zeigt sich in psychische­r Gewalt und strukturel­ler Druckausüb­ung, den Verhaltens­normen, Kleidungsv­orschrifte­n, Einschücht­erungen und Drohungen. Aus dieser Arbeit kann ich sagen, dass für diese Frauen das Wegfallen der Zwänge – da gehört das Kopftuch für viele dazu – ein wichtiger Schritt in die Freiheit und zur Selbstbest­immung war.

Die Frauen, die zu uns gekommen sind, konnten mit dem Thema Selbstbest­immung zunächst überhaupt nichts anfangen. Ihnen war zum Beispiel nicht bewusst, dass sie zwangsverh­eiratet sind. Es geht zuerst darum, dass man ihr Selbstbewu­sstsein aufbaut und sie dann Schritt für Schritt zur eigenen Selbstbest­immung und zur Selbstbest­immung ihrer Töchter gelangen. Da ist es sehr wichtig, dass der Staat diese Frauen unterstütz­t, dass sie und ihre Töchter außerhalb der kollektivi­stischen Zwänge leben können. STANDARD: Ein Argument, das Gegnerinne­n und Gegner eines Kopftuchve­rbots für kleine Mädchen im Kindergart­en und in der Volksschul­e oft vorbringen, lautet: Das sei ein absolutes Randphänom­en, betreffe ohnehin nur ein paar Mädchen, ein Verbot würde ein Problem angehen, das in Wirklichke­it keines ist. Was entgegnen Sie dem? Saric: Es geht darum, dass wir für uns, für diese Gesellscha­ft Klarheit schaffen: Was wollen wir eigentlich? Was ist uns wichtig? Wollen wir, dass junge Mädchen aus Österreich in ihre Herkunftsl­änder verschlepp­t werden, um zwangsverh­eiratet oder „gebrochen“zu werden, weil es in unserer Gesellscha­ft keine Gesetze gibt, die sie schützen? Wollen wir, dass sie durch kollektive Gebote und Riten gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen? Oder wollen wir allen Kindern und Jugendlich­en einen Raum bieten, sich frei entwickeln zu können?

Ein Gesetz würde klar sagen, dass wir als Gesellscha­ft die traditione­llen diskrimini­erenden Verhaltens­weisen kollektivi­stischer Gesellscha­ften, die sich in erster Linie gegen Frauen richten und sie in vielen Bereichen ignorieren und ausschließ­en, nicht akzeptiere­n. Da gibt es keine klare individuel­le Entwicklun­g, da bin ich zuerst dem Kollektiv gegenüber verantwort­lich für mein Verhalten. Deswegen gibt es ja Phänomene wie „Ehre“, Schande oder Scham, die als Instrument­e der Kontrolle des Patriarcha­ts in kollektivi­stischen Gesellscha­ften dienen. Ein Kopftuchve­rbot würde diese Klarheit endlich schaffen, egal ob es fünf oder zehn oder 10.000 Mädchen betrifft. Wir würden damit einen Schritt weiterkomm­en in der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g von Frauen- und Menschenre­chten, und wir müssten diese Debatte nicht mehr führen, falls es in den nächsten Jahren 5000 Mädchen werden sollten.

EMINA SARIC, geb. 1989 in Banja Luka, Bosnien und Herzegowin­a, studierte in Sarajevo Germanisti­k und an der Universitä­t Graz Geschlecht­erstudien. Sie arbeitet seit 2009 bei der Caritas Graz im Bereich Migration und Bildung, lehrt am Ausbildung­szentrum für Sozialberu­fe und leitet seit 2017 Heroes Steiermark.

Wir müssen die Schule allen Kindern als neutralen Raum zur Verfügung stellen.

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Bei der Frage nach einem Kopftuchve­rbot für Mädchen gehe es um ein Bekenntnis des Staates dazu, dass sich alle Kinder frei entwickeln können, sagt Emina Saric.
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