Sprache, die entzweit und verbindet
Wie die deutsche Sprache infolge des Ersten Weltkriegs weltweit an Bedeutung verlor, zeichnet ein neues Buch kurzweilig und anschaulich nach.
Die heutige Weltsprache ist schlechtes Englisch. Eine Zeitlang hatte aber auch Deutsch das Zeug dazu, eine führende Rolle einzunehmen. Denn vor dem Ersten Weltkrieg boomte jener Zungenschlag, der für viele so hart klingt. An amerikanischen High Schools lernte zum Beispiel ein Viertel der Schüler Deutsch, Auswanderer hatten den Ortsnamen Berlin mit in die USA und nach Kanada gebracht, und deutsche Kolonisten ließen in Afrika und Neuguinea Eingeborene sich plagen, sie zu verstehen.
Zur Zäsur für all das wurde der Erste Weltkrieg. Jenseits des Atlantiks war die Sprache des Feindes ab Ausbruch verpönt, deutsche Programme wurden im Radio verboten, und aus dem „Frankfurter“wurde mit nachdrücklichem Erfolg der „Hot Dog“. Beim Sauerkraut hingegen stieß der US-Patriotismus auf gastronomischen Widerstand: Die erstrebte Umbenennung in „Freiheitskohl“währte nur kurz, es konnte seinen deutschen Namen letztlich behalten.
Das sind nur wenige der vielen Beispiele, die der Journalist und Sprachkolumnist Matthias Heine in seinem Bändchen Letzter Schul
tag in Kaiser-Wilhelmsland zusammengetragen hat, um zu erklären, „wie der Erste Weltkrieg die deutsche Sprache für immer veränderte“. Das meint hier vor allem: um ihre globale Verbreitung brachte.
Schluss mit Lingua franca
Dieser Bedeutungsverlust des Deutschen lässt sich in allen beschriebenen Fällen entweder mit dem Verlust von Macht oder von Sympathien erklären. Ersteres liegt im Fall der deutschen Kolonien – auf die der Buchtitel anspielt – auf der Hand. Denn mit der politischen ging auch die Sprachhoheit in den fernen Landstrichen verloren, obwohl sich in Stämmen bis heute Worte wie „kapel“für Gabel erhalten haben, weiß Heine.
Ebenso überraschend die Kunde, dass für Japans Ärzte der Patient bis heute der „kuranke“heißt. Eine Folge der dominanten Stellung, die Deutschland bis 1914 in den Wissenschaften innehatte. In Chemie oder Medizin gehörten deutsche Unis zur Weltspitze und lockten internationale Forscher an, die die deutsche Sprache dann mit in ihre Heimat nahmen.
Heine schaut ebenso auf Südtirol, das nach Kriegsende italianisiert wurde, er schneidet die wehrhafte Art des Schwyzerdütsch an, die Sprachenvielfalt in der K.-u.-k.Monarchie. Doch er erzählt auch, wie das deutsche Kaiserreich ab 1871 den neuen Nationalgeist beschwor, indem bisher benutzte französische Begriffe eine systematische Eindeutschung erfuhren. Der Perron wurde zum Bahnsteig, das Couvert zum Briefumschlag. Als historische Betrachtung ist
Letzter Schultag ... bunt, kurzweilig und informativ. Der Band vermeidet zudem vereinfachende Urteile. Aktuell, da die integrative und trennende Funktion von Sprache ein so heißes Thema ist, eine besonders wertvolle Lektüre. Matthias Heine, „Letzter Schultag in Kaiser-Wilhelmsland“. € 16,50 / 224 Seiten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2018