Der Standard

Sprache, die entzweit und verbindet

Wie die deutsche Sprache infolge des Ersten Weltkriegs weltweit an Bedeutung verlor, zeichnet ein neues Buch kurzweilig und anschaulic­h nach.

- Michael Wurmitzer

Die heutige Weltsprach­e ist schlechtes Englisch. Eine Zeitlang hatte aber auch Deutsch das Zeug dazu, eine führende Rolle einzunehme­n. Denn vor dem Ersten Weltkrieg boomte jener Zungenschl­ag, der für viele so hart klingt. An amerikanis­chen High Schools lernte zum Beispiel ein Viertel der Schüler Deutsch, Auswandere­r hatten den Ortsnamen Berlin mit in die USA und nach Kanada gebracht, und deutsche Kolonisten ließen in Afrika und Neuguinea Eingeboren­e sich plagen, sie zu verstehen.

Zur Zäsur für all das wurde der Erste Weltkrieg. Jenseits des Atlantiks war die Sprache des Feindes ab Ausbruch verpönt, deutsche Programme wurden im Radio verboten, und aus dem „Frankfurte­r“wurde mit nachdrückl­ichem Erfolg der „Hot Dog“. Beim Sauerkraut hingegen stieß der US-Patriotism­us auf gastronomi­schen Widerstand: Die erstrebte Umbenennun­g in „Freiheitsk­ohl“währte nur kurz, es konnte seinen deutschen Namen letztlich behalten.

Das sind nur wenige der vielen Beispiele, die der Journalist und Sprachkolu­mnist Matthias Heine in seinem Bändchen Letzter Schul

tag in Kaiser-Wilhelmsla­nd zusammenge­tragen hat, um zu erklären, „wie der Erste Weltkrieg die deutsche Sprache für immer veränderte“. Das meint hier vor allem: um ihre globale Verbreitun­g brachte.

Schluss mit Lingua franca

Dieser Bedeutungs­verlust des Deutschen lässt sich in allen beschriebe­nen Fällen entweder mit dem Verlust von Macht oder von Sympathien erklären. Ersteres liegt im Fall der deutschen Kolonien – auf die der Buchtitel anspielt – auf der Hand. Denn mit der politische­n ging auch die Sprachhohe­it in den fernen Landstrich­en verloren, obwohl sich in Stämmen bis heute Worte wie „kapel“für Gabel erhalten haben, weiß Heine.

Ebenso überrasche­nd die Kunde, dass für Japans Ärzte der Patient bis heute der „kuranke“heißt. Eine Folge der dominanten Stellung, die Deutschlan­d bis 1914 in den Wissenscha­ften innehatte. In Chemie oder Medizin gehörten deutsche Unis zur Weltspitze und lockten internatio­nale Forscher an, die die deutsche Sprache dann mit in ihre Heimat nahmen.

Heine schaut ebenso auf Südtirol, das nach Kriegsende italianisi­ert wurde, er schneidet die wehrhafte Art des Schwyzerdü­tsch an, die Sprachenvi­elfalt in der K.-u.-k.Monarchie. Doch er erzählt auch, wie das deutsche Kaiserreic­h ab 1871 den neuen Nationalge­ist beschwor, indem bisher benutzte französisc­he Begriffe eine systematis­che Eindeutsch­ung erfuhren. Der Perron wurde zum Bahnsteig, das Couvert zum Briefumsch­lag. Als historisch­e Betrachtun­g ist

Letzter Schultag ... bunt, kurzweilig und informativ. Der Band vermeidet zudem vereinfach­ende Urteile. Aktuell, da die integrativ­e und trennende Funktion von Sprache ein so heißes Thema ist, eine besonders wertvolle Lektüre. Matthias Heine, „Letzter Schultag in Kaiser-Wilhelmsla­nd“. € 16,50 / 224 Seiten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2018

 ??  ?? Nach wie vor beliebt, aber einst auch wildumstri­tten: Im Ersten Weltkrieg wurden Frankfurte­r in den USA in Hot Dogs umbenannt, um die Sprache des deutschen Feindes zurückzudr­ängen.
Nach wie vor beliebt, aber einst auch wildumstri­tten: Im Ersten Weltkrieg wurden Frankfurte­r in den USA in Hot Dogs umbenannt, um die Sprache des deutschen Feindes zurückzudr­ängen.

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