Der Standard

Am Spieltisch der Besessenen

Skandalfre­i im Großen Festspielh­aus: Regisseur Hans Neuenfels inszeniert Tschaikosw­skis „Pique Dame“routiniert als Drama charakterl­icher Gespaltenh­eit.

- Ljubiša Tošić

Eine wilde Salome trägt er in sich – der stramm uniformier­te Hermann. Seine die Verhältnis­se (und ihn selbst) zersetzend­e Zuneigung zu Lisa weist ihn als Seelenverw­andten jener Tochter der Herodias aus, die zurzeit in der Felsenreit­schule von Obsessione­n gebeutelt wird. Hermanns Innerstes beherbergt sogar eine zweite Salome: Jene selbstzers­törerische Konsequenz, mit der er Lisa ansteuert, befeuert auch seine Kartenspie­lleidensch­aft. Das Spiel ist für Hermann quasi die Abkürzung zur Freiheit.

Der Offizier ist in Pique Dame so etwas wie Tschaikows­kis Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und konsequent wirkt insofern, den Soldaten just auf einem grünen Spieltisch nach der noch fernen Lisa schmachten zu lassen.

Ein elegantes Bild seelischer Ambivalenz ist das, wobei: Eine Art Salome trägt auch Hermanns Wunschdame in sich. Vor der Vermählung mit Fürst Jelezki stehend, vor sich also die Aussicht auf eine luxuriös abgesicher­te Oberschich­texistenz, gibt Lisa alles auf, um mit Borderline­r Hermann zu sein, dem zusehends der Schädel vor Widersprüc­hen zu platzen scheint.

In dieser Dialogszen­e mit Fastgemahl Jelezki (souverän Igor Golovatenk­o), der versucht, Lisa ein letztes Mal an sich zu binden, wird es surreal in der Inszenieru­ng von Hans Neuenfels. Es fantasiert sich der Fürst etwas herbei, das nie sein wird, ein Familienid­yll: Während sich Lisa von den fürstliche­n Eheplänen distanzier­t, nehmen in einer eleganten Fantasiesz­ene nach und nach vier Kinder an der Esstafel Platz.

Neuenfels’ Inszenieru­ng – gern auch mit Epochen und Stilen spie- lend – neigt ansonsten eher zu grellen optischen Rufzeichen. Und auch sie vermögen nicht zu kaschieren, dass der Routinier, der vor 17 Jahren mit der Fleder

maus die Salzburger Gemüter zum Kochen brachte, eine höfliche Pflichterf­üllung abliefert. Sie reicht von artiger Personenfü­hrung über aufgesetzt wirkende Tanzszenen bis hin zum schrillen Auftritt der großen Zarin: Als geschmückt­es Skelett breitet die Monarchin ihre klapprigen Knochenarm­e aus und empfängt des Volkes Huldigunge­n. Tja.

Bunter Figurenmix

Ansonsten materialis­iert sich ein bunter Figurenmix, dem auch der gute Wiener Staatsoper­nchor unterworfe­n ist: Hermanns Kumpanen wirken wie Rasputin (glänzend Stanislav Trofimov als Surin) oder Nosferatu (mit schnei- dender Präsenz Alexander Kravets als Tschekalin­ski). Allesamt sind sie bepelzt, als kämen sie aus tiefstem Winter, der nie sichtbar wird. Immerhin: Der Raum lässt sich als Verschmelz­ung von Kasino, Salon und Kühltruhe (Bühne: Christian Schmidt) deuten.

Einmal wird es extrem hell und erhellend: Hermanns zwischen Kartenspie­l und Lisa gebeutelte Seele landet in einem weißen Raum, der mehr Kranken- als Schlafzimm­er der alten Gräfin ist. Ihr will Hermann das Geheimnis der Spielkarte­n entlocken. Er landet jedoch in der Umarmung einer müden, alten Dame, die von der Sehnsucht nach glanzvolle­r Jugendzeit erdrückt wird.

Im Duett mit der großartige­n Hanna Schwarz (Gräfin) erreicht der intensive, profund singende Brandon Jovanovich (Hermann) Momente hoher Intimität. Mit Lisa (darsteller­isch eher bescheiden, vokal intensiv Evgenia Muraveva) gelingt dies nicht. Es muss schon auf Dirigent Mariss Jansons und die Wiener Philharmon­iker gehört werden, um etwas von den Empfindung­en der beiden füreinande­r zu erfahren. Es mangelt dem Instrument­alen ja nie an romantisch­er Sensibilit­ät. Mitunter klingt es, als würden die Figuren in melancholi­sche Klangseide gehüllt.

So fein und detaillier­t ist aber alles, dass es in diesen Weiten des Raumes mitunter zu verpuffen droht. Jedenfalls: Neuenfels ist ohne Skandal zurück. Und keiner wird von den Salzburger Festspiele­n den Eintrittsp­reis zurückverl­angen, da das versproche­ne Stück angeblich nicht gezeigt wurde. So wie es damals geschah – bei der Fledermaus.

 ??  ?? Recht gruselige Freunde hat der rote Offizier: Stanislav Trofimov (als Surin), Alexander Kravets (als Tschekalin­ski) und Brandon Jovanovich (als Hermann).
Recht gruselige Freunde hat der rote Offizier: Stanislav Trofimov (als Surin), Alexander Kravets (als Tschekalin­ski) und Brandon Jovanovich (als Hermann).

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