Der Standard

Das Geheimnis der zahmen sibirische­n Füchse

In nur rund 60 Jahren machten russische Forscher aus Raubtieren Haustiere – nun gibt es erste genetische Aufschlüss­e

- Klaus Taschwer

Urbana/Wien – Im Kinderbuch­klassiker Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry gibt es einen oftzitiert­en Dialog zum Thema Zähmung: In Kapitel 21 begegnet der Titelheld einem Fuchs und fragt diesen einigermaß­en ahnungslos. „Was bedeutet ,zähmen‘?“Und der schlaue Fuchs antwortet: „Es bedeutet, sich vertraut miteinande­r machen‘.“

Aus der Sicht der modernen Verhaltens­biologie ist das durchaus konsensfäh­ig: Man denke nur an die Zähmung des Wolfes zum Hund, die von wechselsei­tigen vertrauens­bildenden Maßnahmen geprägt war. Was aber passierte bei diesem Prozess, der beim Wolf einige Jahrtausen­de dauerte, eher er als schwanzwed­elnder Dackel auf der Couch landete, auf genetische­r Ebene? Oder hat dieses Vertrauen womöglich etwas mit Epigenetik zu tun beziehungs­weise dem Vererben erworbener Eigenschaf­ten?

Um diese Frage zu klären, hat der sowjetisch­e Biologe Dmitri Beljajew vor fast 60 Jahren ein einzigarti­ges Experiment gestartet: Er wollte auf seiner Versuchsst­ation in Nowosibirs­k prüfen, ob sich Füchse ebenso domestizie­ren lassen wie einst der Wolf – nur eben viel schneller. Damit wollte er auf die biologisch­en Mechanisme­n schließen können, die bei der Zähmung wilder Tiere greifen.

Der Beginn des Projekts fand zur Blütezeit der Sowjetunio­n statt, und Beljajew musste dabei vorsichtig vorgehen. Denn damals waren in Russland noch die aus heutiger Sicht völlig falschen Theorien Trofim Lyssenkos Gesetz. Der mächtige, von Stalin protegiert­e Agrarwisse­nschafter glaubte nicht an die Genetik und trieb einige prominente Fachvertre­ter sogar in den Tod. Beljajew führte sein Experiment deshalb quasi als Nebenprodu­kt der Züchtungen einer Pelztierfa­rm durch.

Die Ergebnisse dieser Züchtungen sind erstaunlic­h: In den ers- ten Jahren änderte sich zwar nichts, doch seit einem 1963 geborenen Männchen namens Ember begannen die Füchse mit dem Schwanz zu wedeln. Nach und nach kamen immer mehr „hündische“Eigenschaf­ten dazu: Die Tiere ließen sich am Bauch krau- eln und blickten Menschen in die Augen. Außerdem entwickelt­en sie kurze, runde Schnauzen, Ringelschw­änze und Schlappohr­en. Nur eines blieb: ein strenger Geruch nach Moschus.

Was aber hat sich an den Tieren genetisch verändert? Um diese Frage zu klären, hat ein internatio­nales Forscherte­am um Anna Kukekowa (University of Illinois), die seit 2002 mit den zahmen Füchsen arbeitet, die Genome von je zehn wilden und zehn domestizie­rten Artvertret­ern sequenzier­t und auch noch mit anderen Genomen verglichen.

Die im Fachblatt Nature Evolution & Ecology publiziert­en Ergebnisse sind nicht ganz einfach zu deuten. Denn tatsächlic­h zeigten sich in 103 Genomregio­nen Unterschie­de. Verwirrend war zudem, dass sich jene Genregion, die für das Williams-Beuren-Syndrom beim Menschen zuständig ist und bei diesem für besondere Kontaktfre­udigkeit sorgt, nur im Genom wilder Füchse fand.

Immerhin eine spezifisch­e Variante des Gens SorCS1 fand sich exklusiv bei zahmen Füchsen, wie Verhaltens­tests zeigten. Dennoch resümiert Kukekowa, dass Zahmheit gewiss nicht nur mit einem Gen assoziiert sei: „Das Bild ist viel komplexer.“

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Neulich in einem Forschungs­institut in Nowosibirs­k: Ein Kind spielt mit einem domestizie­rten Fuchs – oder umgekehrt.

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