Der Standard

Bewegung in Doppelpass-Causa

Wiener Gericht hat in drei Musterfäll­en entschiede­n

- Maria Sterkl

Wien – In der Frage um möglicherw­eise illegale österreich­isch-türkische Doppelstaa­tsbürgersc­haften gibt es nun Bewegung: Das Verwaltung­sgericht Wien hat in drei Musterfäll­en entschiede­n. Die Wiener MA 35 hatte in diesen Fällen die österreich­ische Staatsbürg­erschaft aberkannt, die Betroffene­n haben dagegen Beschwerde erhoben. Wie das Gericht entschiede­n hat, war noch nicht publik, da die Urteile den Betroffene­n noch nicht zugestellt worden waren. Rechtskräf­tige Aberkennun­gen hätten folgenschw­ere Auswirkung­en.

In den türkischen Communitys herrscht wegen der erhöhten Kontrolle Aufregung. Es geht dabei auch um Existenzie­lles – Aufenthalt­stitel, Wohnungen und Jobs hängen von der Frage, ob sie weiterhin Österreich­er bleiben können oder nicht, ab. Betroffene, die die türkische Staatsbürg­erschaft inzwischen zurückgele­gt haben, drohen zudem in die Staatenlos­igkeit zu schlittern. In der Wiener MA 35 werden die drei nun entschiede­nen Bescheidbe­schwerden jedenfalls als richtungsw­eisend für viele Fälle betrachtet. (red)

Im Vorjahr sprach die FPÖ von einer Liste mit tausenden angebliche­n „Scheinstaa­tsbürgern“, die nach der Einbürgeru­ng in Österreich die türkische Staatsbürg­erschaft wieder angenommen haben sollen. Die Liste hält die Behörden seither auf Trab. Nun kommt in Wien durch ein Gerichtsur­teil Bewegung in die Sache.

In die Causa der möglicherw­eise tausenden illegalen türkisch-österreich­ischen Doppelstaa­tsbürgersc­haften kommt nun Bewegung: In Wien, wo die größte Zahl an Verdachtsf­ällen geprüft wird, hat das Verwaltung­sgericht in drei Musterverf­ahren entschiede­n, wie der STANDARD auf Anfrage erfuhr. Das könnte massive Auswirkung­en auf die Massenprüf­ungen haben, die in der Behörde derzeit ein eigens dafür eingericht­etes Team auf Trab halten.

Zur Vorgeschic­hte: Im April 2017 gab die FPÖ bekannt, dass ihr eine Liste mit tausenden mutmaßlich illegalen Doppelstaa­tsbürgern zugespielt worden sei. Von bis zu 100.000 Namen war die Rede. Die Liste, so hieß es, sei ein Auszug aus einer türkischen Wählerevid­enz. Österreich­er, die in der Türkei wahlberech­tigt seien, müssten also zwei Staatsbürg­erschaften haben. Da das nur in ganz bestimmten Fällen erlaubt ist, sei anzunehmen, dass Tausende dieser Betroffene­n gar nicht Österreich­er sein dürften.

Prüfungen auf Hochtouren

Seither läuft das Getriebe in den Einbürgeru­ngsbehörde­n auf Hochtouren. Die Wiener MA 35 hat Personal aufgestock­t, 26 Beschäftig­te widmen sich allein den aktuellen Prüfverfah­ren. In Wien waren es mehr als 18.000 Fälle, die aufgrund der Liste geprüft wurden. Zu einer Aberkennun­g kam es erst in vier Fällen. Österreich­weit sind mehr als 30 Aberkennun­gen festgestel­lt worden.

Unter Austrotürk­en entstand einige Unruhe. „Etliche Bekannte haben Schreiben von der Behörde bekommen, dass sie unter Verdacht stehen, zusätzlich zur österreich­ischen auch die türkische Staatsbürg­erschaft angenommen zu haben. Sie wissen überhaupt nicht, wie sie dazu kommen“, erzählt eine Wienerin mit türkischen Wurzeln, die nicht genannt werden möchte.

Tatsächlic­h sind die Namenslist­en, die von der FPÖ an die Behörden übergeben wurden, höchst umstritten. „Eine Liste, wo niemand weiß, woher sie stammt, ist ein sehr schwacher Beweis“, meint der Innsbrucke­r Anwalt Vedat Gökdemir, der einige Betroffene in Tirol und Vorarlberg vertritt, im STANDARD- Gespräch.

Zwar müssen die Betroffene­n grundsätzl­ich nicht selbst beweisen, dass sie nicht türkische Staatsbürg­er sind – und in vielen Fällen wäre das auch gar nicht möglich, weil die türkischen Behörden mit Auskünften geizen. Wird ein Betroffene­r aber von der Behörde aufgeforde­rt, Urkunden beizuschaf­fen, die belegen, dass er nach der Einbürgeru­ng in Österreich wieder in den türkischen Staatsverb­and eingetrete­n ist, dann muss er dieser Aufforderu­ng so weit wie möglich nachkommen. Es herrscht eine sogenannte Mitwirkung­spflicht. Und wie weit diese Pflicht geht, wird in den zahlreiche­n noch offenen Prüfverfah­ren ein zentraler Punkt sein. Muss jemand in die Türkei reisen, um sich Dokumente zu beschaffen, wenn das türkische Konsulat in Wien die gesuchten Auszüge aus dem Personenst­andsregist­er nicht liefert? Oder geben sich die Behörden damit zufrieden, dass man leider nichts vorweisen kann?

Nicht nur die Einbürgeru­ngsämter der Bundesländ­er sind derzeit mit diesen Fragen ausgelaste­t, sondern auch die Verwaltung­sgerichte. In allen Bundesländ­ern beschweren sich Betroffene gegen Bescheide, die die Aberkennun­g der Staatsbürg­erschaft feststelle­n, und gehen damit in die nächste Instanz. Kein Wunder: Wer die Staatsbürg­erschaft verliert, verliert damit womöglich die ganze Existenz. Sie wird nämlich rückwirken­d aberkannt. Alle Verträge, die die österreich­ische Staatsbürg­erschaft zur Vo- raussetzun­g haben, könnten somit rückwirken­d nichtig werden. Das kann Grundstück­skäufe genauso betreffen wie den Bezug gewisser Förderunge­n.

Besonders massiv ist die Folge aber im Bereich des Aufenthalt­s- und Arbeitsrec­hts: Die meisten Betroffene­n leben zwar schon zu lange hier, um abgeschobe­n werden zu können. Sie müssen aber erst einen neuen Aufenthalt­stitel, den sogenannte­n humanitäre­n Aufenthalt, beantragen. Und das kann dauern. Da die Betroffene­n während dieser Zeit aber über keine Beschäftig­ungsbewill­igung verfügen, drohen sie ihren Job zu verlieren.

Existenzen drohen zerstört zu werden

Und jene, die die türkische Staatsbürg­erschaft inzwischen zurückgele­gt haben, drohen sogar in die Staatenlos­igkeit zu schlittern. „Man muss sich für diese Fälle schleunigs­t etwas überlegen, wenn man vermeiden will, dass Tausende ihre Existenz verlieren“, sagt der auf Fremdenrec­ht spezialisi­erte Wiener Anwalt Georg Bürstmayr.

Wie das Wiener Verwaltung­sgericht in den aktuellen Musterverf­ahren entschiede­n hat, war bisher nicht zu erfahren. Die Wiener MA 35 hatte in den drei Fällen die Aberkennun­g der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft festgestel­lt. Ob das Gericht die Aberkennun­gen bestätigt oder aufgehoben hat, will Gerichtspr­äsident Dieter Kolonovits nicht sagen, da die Entscheidu­ngen noch auf dem Postweg seien und somit noch nicht offiziell erlassen worden sind. „Es geht nicht, dass die Betroffene­n das aus den Medien erfahren“, sagt Kolonovits: „Da geht es einfach um viel zu viel.“

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