Der Standard

Indien macht vier Millionen Menschen faktisch staatenlos

Eine neue Bürgerlist­e im nördlichst­en Bundesstaa­t Assam schließt vor allem Muslime aus

- Anna Sawerthal

Delhi/Wien – Ziauddin Ali Ahmed ist der Neffe des indischen Ex-Präsidente­n Fakhruddin Ali Ahmed. Der wurde 1974 als zweiter Muslim überhaupt indisches Staatsober­haupt. Das war drei Jahre nach dem Unabhängig­keitskrieg in Bangladesc­h, als Millionen Menschen nach Assam flohen. Die Familie von Ali Ahmed lebt seit Generation­en in dem nordöstlic­hsten Bundesstaa­t. Doch der Neffe des Ex-Präsidente­n ist – wenn es nach der neuen Bürgerlist­e von Assam geht, die vergangene Woche veröffentl­icht wurde – kein indischer Staatsbürg­er.

„Sie konnten keine meiner Vorfahren auf den Listen finden, auch nicht meinen Onkel, den Präsidente­n“, sagt er dem indischen Nachrichte­nportal scroll.in. Weder beim letzten Zensus von 1951 noch auf irgendwelc­hen anderen Wählerlist­en bis 1971. „Wir sind überall hingefahre­n, wo unsere Vorfahren gelebt haben“, sagt er. „Wir haben aber einfach keine Dokumente gefunden.“

So oder ähnlich ging es auch weiteren vier Millionen Menschen in Assam. Von knapp 33 Millionen Menschen, die laut Volkszählu­ng von 1951 in Assam leben, haben es nur knapp 29 Millionen auf das „National Register of Citizens“(NRC) geschafft. Diese können nun sicher sein, dass sie als Staatsbürg­er weder in Anhaltelag­er kommen noch abgeschobe­n werden. Die restlichen konnte nicht beweisen, dass sie oder ihre Vorfahren vor 1971 nach Assam eingewande­rt sind. Somit wären sie – wenn der finale Entwurf tatsächlic­h in Kraft tritt – auf einen Schlag staatenlos.

Weltweite Kritik

Das NRC hat einen weltweiten Aufschrei verursacht: Vor allem Muslime aus Bangladesc­h wären Ziel. Genocide Watch warnte vor Vorzeichen für Völkermord. Die am weitesten verbreitet­e Kritik: Die Hindu-nationalis­tische Regierung unter Narendra Modi stecke hinter der Aktion.

Indiens Regierung winkt ab: Zwischen August und September hätten die Einwohner abermals die Möglichkei­t, Einspruch zu erheben und Dokumente vorzuweise­n. Das Problem ist allerdings, dass viele Menschen wie Ali Ahmed solche Dokumente einfach nicht haben. Auch wird vielerorts von Verfahrens­fehlern berichtet. Etwa werden Namen unterschie­dlich geschriebe­n, somit landeten viele nicht auf der Liste.

Arun Jaitley, Finanzmini­ster unter Modi, erklärte, der Zuzug von illegalen muslimisch­en Einwandere­rn habe dazu geführt, dass in einigen Gegenden Assams Muslime nun die Mehrheit ausmachen. Das könnte zu Gebietsans­prüchen Bangladesc­hs führen. Tatsächlic­h haben die ethnisch- religiösen Konflikte Tradition in Assam. Die Liste ist einerseits das Ergebnis der jahrelange­n Agitation von indigenen Assamesen, die die Muslime nicht als „Inder“ansehen – ähnlich wie die Minderheit der Rohingya in Myanmar, die seit einem Jahr zu Abertausen­den nach Bangladesc­h fliehen.

Auch Hindus betroffen

Es sind aber nicht nur Muslime betroffen, sondern auch Hindus. Seit Jahrzehnte­n werfen Indigene den Hindus und Muslimen vor, Ressourcen zu plündern. Jayeeta Sharma, Grenzlands­pezialisti­n an der Universitä­t Toronto, ist in Assam geboren. Sie meint zum STANDARD, dass es immer schon Konflikte in Assam gegeben hat, allerdings zwischen Indigenen und „Nicht-Assamesen“und weniger mit Muslimen. Die Regierungs­partei BJP würde diese Konflikte ausnutzen und ihrer eigenen muslim-feindliche­n Politik einverleib­en.

Was passiert nun mit den Menschen, die nicht auf der Liste stehen? Viele fürchten, in Anhaltezen­tren gesteckt oder deportiert zu werden. Mit Bangladesc­h gibt es allerdings kein Abschiebea­bkommen. Man würde im Fall der Fälle in Absprache mit dem indischen Höchstgeri­cht entscheide­n, so die Regierung Bangladesc­hs.

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Muslimisch­e Frauen prüfen in Assam, ob ihr Name auf der Liste steht.

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