Der Standard

Ein Fehler im System

- Nora Laufer

Der Emissionsh­andel ist das Kernelemen­t der EU-Klimapolit­ik. Doch das System hinkt, viele Gratiszert­ifikate haben von Beginn an den Markt geflutet. Einige Mitgliedss­taaten fordern daher einen CO2-Mindestpre­is.

Der Markt wird es schon regeln. So ähnlich lautete wohl die Überlegung, als sich die EU-Mitgliedss­taaten im Jahr 2003 auf keine CO2-Steuer einigen konnten und sich stattdesse­n für ein Emissionsh­andelssyst­em (EU-ETS) entschiede­n. Ziel war es, den Treibhausg­asausstoß in Industrie und Energiewir­tschaft durch vorher festgelegt­e Emissionso­bergrenzen einzudämme­n. Kann ein Unternehme­n für seine Emissionen zu wenige Zertifikat­e nachweisen, muss es auf dem Markt Zertifikat­e zukaufen oder eine Strafe zahlen; emittiert es weniger, kann es Zertifikat­e verkaufen oder für später aufheben.

So richtig gegriffen hat die Marktidee bisher nicht. Von Anfang an wurden zu viele Zertifikat­e gratis an Unternehme­n ausgegeben, die Preise rasselten dementspre­chend schnell in den Keller: Lag der Preis pro Tonne CO2-Äquivalent im Juli 2005, kurz nach der Einführung des Systems, noch bei 24 Euro und im April 2006 bei einem Höchststan­d über 30 Euro, erreichte er zwei Jahre später gerade einmal zwölf Cent je Tonne. In den vergangene­n Monaten ist der Wert auf rund 17 Euro gestiegen – und ist damit aber nach wie vor zu niedrig, um Impulse für eine grundlegen­de Transforma­tion in der Energiewir­tschaft und Industrie auszulösen.

Reduktions­ziele erreichen

Doch die Uhr tickt: Die EU-Mitgliedss­taaten haben sich zu ambitionie­rten Reduktions­zielen verpflicht­et. Bis 2020 sollen Treibhausg­ase um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden, bis 2030 um 40 Prozent. Ähnliche Ziele gibt es auch im Bereich des Anteils erneuerbar­er Energien und der Steigerung der Energieeff­izienz. Das ETS-System galt einst als Eckpfeiler im Kampf gegen den Klimawande­l, doch so richtig bewährt hat es sich noch nicht.

Kaum verwunderl­ich also, dass seit der Einführung immer wieder der Ruf nach einem CO2-Mindestpre­is laut wurde. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron forderte etwa im Herbst des Vorjahres seine Amtskolleg­en dazu auf, einen Mindestpre­is von 30 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent einzuführe­n: „Wenn es in den kommenden Jahren nicht gelingt, einen wirksamen CO -Mindestpre­is durchzu2 setzen, sind die Mühen vergebens“, sagte Macron. Auch Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger sprach sich für einen Mindestpre­is aus, nannte jedoch keine konkreten Zahlen. Es ist ein heikles Thema: Immerhin müsste ein solcher Preis auf EU-Ebene durchgeset­zt werden, um Abwanderun­g in Staaten mit laxeren Klimabesti­mmungen zu verhindern.

Ursprüngli­ch wurde für jedes Land die notwendige Anzahl an Zertifikat­en ermittelt, 95 Prozent davon wurden kostenlos vergeben. Aber nicht nur für Nationalst­aaten, sondern auch für einzelne Unternehme­n wurden Emissionso­bergrenzen festgelegt. „Wie viele Zertifikat­e einzelne Anlagen bekommen haben, hing auch da- mit zusammen, wie glaubhaft sie ihre Wachstumsp­fade begründen konnten“, sagt Angela Köppl, Klimaexper­tin am Wirtschaft­sforschung­sinstitut. Im ersten Jahr wurden in der gesamten Union knapp über zwei Milliarden Zertifikat­e vergeben, rund 32 Millionen davon gingen an Österreich.

Falsche Grundannah­men

Genau darin liegt auch eines der Probleme des ETS-Systems: Die EU ist bei der mehrjährig­en Festlegung der Zertifikat­e von einem kontinuier­lichen Wirtschaft­swachstum ausgegange­n – laut Experten ein gravierend­er Fehler: Vor allem in der Weltwirtsc­haftskrise in den Jahren 2008 und 2009 ist mit der niedrigen Produktion auch der Bedarf an Zertifikat­en eingebroch­en. „Die Zertifikat­e, die nicht gebraucht wurden, sind trotzdem am Markt geblieben“, sagt Köppl. Dieser wurde regelrecht überschwem­mt, die Preise sanken, Investitio­nen in Niedrig-Kohlen- stoff-Technologi­en blieben aus.

Brüssel hat seither mehrere Versuche unternomme­n, um den Preisverfa­ll einzudämme­n. Zertifikat­e, die für die Auktion vorgesehen waren, wurden beispielsw­eise zurückgeha­lten, um eine künstliche Verknappun­g zu erzeugen. Zudem wurde der Energiesek­tor mittlerwei­le aus der Gratiszute­ilung herausgeno­mmen. Während dieser in Österreich im ETS-System nur 40 Prozent ausmacht, nimmt er in den meisten Ländern Europas mehr als 60 Prozent ein.

Auch andere Lücken machen das Handelssys­tem – trotz einiger Anpassunge­n in unterschie­dlichen Phasen – nur mäßig effizient. So sind derzeit etwa nur innereurop­äische Flüge im Emissionsh­andel enthalten, nicht aber jene von EU-Flughäfen in andere Staaten der Welt oder internatio­nale Flüge, die in der EU landen.

Aber wie hoch müsste der Preis tatsächlic­h sein, um Auswirkung­en auf den Markt zu haben? Laut Karl Steininger, Klimaökono­m der Universitä­t Graz, wären „30 bis 45 Euro pro Tonne bis ins Jahr 2050 durchaus wünschensw­ert“.

Andere Berechnung­en gehen davon aus, dass ein Preis von bis zu 100 Euro notwendig wäre, um klimarelev­ante Impulse auszulösen. Laut Steininger könnte ein Mindestpre­is die Schwankung­en am Markt bereinigen. In der Wirkung käme er einer CO2-Steuer jedoch „mehr oder weniger gleich“. Letztendli­ch sei aber nicht das System selbst das Problem, so der Uni-Professor. Vielmehr sei die vorhandene Menge an Zertifikat­en „bei weitem zu groß“, der Reduktions­pfad zu schwach angesetzt – etwa weit über den Pariser Klimaziele­n.

Köppl sieht das ein wenig anders: Eben genau durch das Design des Systems – also die Zuteilung der Zertifikat­e im Voraus und die mangelnde Flexibilit­ät – sei es zu einer Überalloka­tion gekommen.

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