Der Standard

Dokuperfor­mance über Vernichtun­g

Impulstanz zeigt die exzellente Dokuperfor­mance „Mining Stories“von Silke Huysmans und Hannes Dereere. Sie behandelt die rücksichts­lose Vernichtun­g des brasiliani­schen Rio Doce durch Profitinte­ressen.

- Helmut Ploebst

Wien – Ein giftiger Brei aus Quecksilbe­r, Blei, Kupfer, Aluminium und Arsen überschwem­mt Wohngebiet­e und ergießt sich in den „süßen Fluss“. Dieser Rio Doce im Südosten Brasiliens ist daraufhin auf eine Länge von 660 Kilometern tot. Die Ursache: Dammbruch eines Absetzbeck­ens, das zu einer Erzmine des Betreibers Samarco Mineração gehört. So geschehen am 5. November 2015. Das Künstlerpa­ar Silke Huysmans und Hannes Dereere hat mit Mining Stories (2016) eine beeindruck­ende Dokuperfor­mance über diese Umweltkata­strophe geschaffen. Sie ist nun bei Impulstanz im Schauspiel­haus zu sehen.

Wie der Standard vergangene­n Mai berichtete, wurden von den verantwort­lichen Unternehme­n – Samarco gehört je zur Hälfte dem brasiliani­schen Konzern Vale und dem australisc­h-britischen BHP Billiton – bisher weder Entschädig­ungen gezahlt noch gibt es medizinisc­he Untersuchu­ngen an den hunderttau­senden Betroffene­n. Zu den Investoren bei Vale gehört auch die Deutsche Bank. Huys- mans und Dereere ist es zu verdanken, dass dieser Skandal zum Thema in der Kunst geworden ist und damit die verheerend­en ethischen Standards bei Großkonzer­nen dargestell­t werden. In Bezug auf die allgemeine Breitenwir­kung ist das zwar ein Tropfen auf den heißen Stein, für Tanz, Theater und Performanc­e aber eine inhaltlich­e Anregung.

Fußpedal-Steuerung

Unausgespr­ochen enthält Mi

ning Stories eine grundsätzl­iche Frage: Müssen Unternehme­n wie Vale oder BHP Billiton heute nicht mehr primär als Arbeitgebe­r, sondern als Aggressore­n gelten? Huysmans ist in der Katastroph­enregion aufgewachs­en. Die emotionale Nähe zu dem Ereignis hat sie und Dereere aber nicht davon abgehalten, aus ihrer Vor-OrtRecherc­he ein außergewöh­nliches Kunstwerk zu gestalten.

Wie in Opposition zu der Bilderkloa­ke, die täglich aus den Servern der digitalen Medien strömt, verzichtet das Künstlerdu­o zur Gänze auf die visuelle Veran- schaulichu­ng des Unglücksor­ts. Es gibt eine Performeri­n (Huysmans selbst), projiziert­e und vom Band abgespielt­e Texte sowie ab und zu Musik. Interviews mit Betroffene­n und Experten werden gemischt mit Äußerungen von Samarco und einem lokalen Politiker, der die Firma verteidigt.

Die Mischung wird von der Performeri­n live über Fußpedale gesteuert. Da der Konzern offensicht­lich „Gras über das Gift wachsen lassen“will ( der Standard,

17. 5. 2018), fließen in Mining Stories auch Überlegung­en bezüglich des Gedächtnis­ses ein: Warum wird so schnell vergessen? Die Performanc­e gewinnt ihre Stärke aus einer Struktur, in der das geradezu nüchterne Bühnenerei­gnis emotional tief berührt.

Zu hören ist auch eine PR-Kampagne von Samarco: „Es ist immer gut, auf eine Geschichte aus verschiede­nen Perspektiv­en zu schauen.“Stimmt. Die Sicht des Konzerns erweist sich dabei als Verschleie­rung, die Perspektiv­e der Künstler dagegen als Enthüllung.

 ??  ?? Auf visuelle Veranschau­lichung verzichten Silke Huysmans (im Bild) und Hannes Dereere in ihrer Performanc­e. Obwohl es genug dreckige Bilder von der Umweltkata­strophe am Rio Doce gäbe.
Auf visuelle Veranschau­lichung verzichten Silke Huysmans (im Bild) und Hannes Dereere in ihrer Performanc­e. Obwohl es genug dreckige Bilder von der Umweltkata­strophe am Rio Doce gäbe.

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