Der Standard

Wir sind jetzt alle Klimaflüch­tlinge

- Jeffrey D. Sachs

Eine Bande von Wissenscha­ftsverleug­nern und Umweltvers­chmutzern führt die Menschheit derzeit in die Irre und in immer größere Gefahr. Wir müssen uns dringend in Sicherheit bringen.

Das Holozän war das geologisch­e Zeitalter, das vor mehr als 10.000 Jahren begann und sich durch günstige klimatisch­e Umstände auszeichne­te, die die menschlich­e Zivilisati­on stützten. Das Anthropozä­n, in das wir derzeit eintreten, ist eine neue geologisch­e Ära mit Umweltbedi­ngungen, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat. Die Erdtempera­tur ist inzwischen höher als während des Holozäns, was durch das Kohlendiox­id bedingt ist, das die Menschheit durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas sowie durch die wahllose Umwandlung der Wälder und Steppen in Agrarbetri­ebe und Weidefläch­en in die Atmosphäre entlassen hat.

Schon jetzt leiden und sterben Menschen in diesem neuen Umfeld, und Schlimmere­s wird folgen. Laut Schätzunge­n hat der Hurrikan Maria in Puerto Rico im vergangene­n September mehr als 4000 Menschenle­ben gefordert. Hurrikane hoher Intensität werden häufiger, und starke Stürme verursache­n vermehrte Über- schwemmung­en. Gründe hierfür sind der zunehmende Wärmetrans­fer, der von dem sich erwärmende­n Wasser der Ozeane ausgeht, der höhere Feuchtigke­itsanteil der wärmeren Luft und der Anstieg des Meeresspie­gels – die alle durch den von uns Menschen ausgelöste­n Klimawande­l verschärft werden.

Hitzerekor­de allenthalb­en

Erst im letzten Monat kamen in Vororten Athens durch einen verheerend­en Waldbrand, der durch eine Dürre und hohe Temperatur­en angeheizt wurde, mehr als 90 Menschen ums Leben. In ähnlicher Weise wüten in diesem Sommer in weiteren heißen und neuerdings trockenen Gegenden – in Kalifornie­n, Schweden, Großbritan­nien und Australien – riesige Waldbrände. 2017 war es Portugal, das verheert wurde. Weltweit wurden diesen Sommer an vielen Stellen Hitzerekor­de gemessen.

Die Art und Weise, in der die Menschheit unbekümmer­t die Grenzen des Holozäns überschrit- ten und dabei wie eine Figur in einem Horrorfilm alle offensicht­lichen Warnsignal­e missachtet hat, ist zutiefst unverantwo­rtlich. 1972 kamen Regierungs­vertreter aus aller Welt in Stockholm zusammen, um die zunehmende­n Umweltbedr­ohungen zu behandeln. Im Vorfeld der Konferenz veröffentl­ichte der Club of Rome Die Grenzen des Wachstums; darin wurden erstmals die Idee eines „nachhaltig­en“Wachstumsp­fads und die Risiken der Überschrei­tung der uns durch die Umwelt gesetzten Grenzen thematisie­rt. Zwanzig Jahre später schrillten die Alarmglock­en in Rio de Janeiro, wo die Mitgliedst­aaten der Vereinten Nationen zum Erdgipfel zusammenge­kommen waren, um das Konzept nachhaltig­er Entwicklun­g zu verabschie­den und drei wichtige Umweltvert­räge zu unterzeich­nen, um die von uns Menschen ausgelöste globale Erwärmung aufzuhalte­n, die Artenvielf­alt zu schützen und Landverödu­ng und Wüstenbild­ung zu stoppen.

Nach 1992 ignorierte­n die USA – das mächtigste Land der Welt – demonstrat­iv die drei neuen Verträge und signalisie­rten damit anderen Ländern, dass auch sie ihre Anstrengun­gen zurückfahr­en könnten. Der US-Senat ratifizier­te die Verträge zum Klimawande­l und zur Wüstenbild­ung, aber tat nichts zu ihrer Umsetzung. Und er weigerte sich sogar, den Vertrag zum Schutz der Artenvielf­alt zu ratifizier­en, und zwar u. a. weil Republikan­er aus den Staaten im Westen der USA darauf beharrten, dass Landbesitz­er berechtigt seien, mit ihrem Eigentum zu machen, was immer sie wollten, ohne internatio­nale Einmischun­g.

In jüngerer Zeit hat die Welt die Ziele für nachhaltig­e Entwicklun­g (im September 2015) und das Pariser Klimaabkom­men (im Dezember 2015) verabschie­det. Doch die US-Regierung ignoriert auch die Ziele für nachhaltig­e Entwicklun­g vorsätzlic­h und rangiert, was die staatliche­n Bemühungen zu ihrer Umsetzung angeht, an letzter Stelle unter den G20-Ländern. Und Präsident Trump hat seine Absicht zu einem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkom­men zum frühestmög­lichen Zeitpunkt – d. h. 2020, vier Jahre nach Inkrafttre­ten des Vertrages – erklärt.

Und es wird noch schlimmer. Der menschgema­chte CO2-Anstieg hat seine volle erwärmende Wirkung noch nicht entfaltet, was auf die beträchtli­che Verzögerun­g seiner Auswirkung­en auf die Temperatur­en der Ozeane zurückzufü­hren ist. Auf der Basis der gegenwärti­gen CO2-Konzentrat­ion in der Atmosphäre (408 ppm) ist eine zusätzlich­e Erwärmung um rund 0,5 Grad Celsius schon jetzt unvermeidl­ich, und wenn sich die Verbrennun­g fossiler Brennstoff­e wie bisher fortsetzt und die CO2Konzent­rationen weiter steil ansteigen, wird es noch viel wärmer. Um das Ziel des Pariser Abkommens einer Begrenzung der Erwärmung auf „deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustr­iellem Niveau zu erreichen, muss die Welt bis etwa 2050 eine entschiede­ne Umstellung von Kohle, Öl und Gas auf erneuerbar­e Energien und von der Entwaldung zur Aufforstun­g und Wiederhers­tellung verödeter Flächen vollziehen.

Warum also hält die Menschheit stur an einem Kurs fest, der in die sichere Tragödie führt?

Der Hauptgrund ist, dass unsere politische­n Institutio­nen und die Großkonzer­ne die zunehmende­n Gefahren und Schäden vorsätzlic­h ignorieren. In der Politik geht es darum, an die Macht zu kommen und diese zu erhalten, und um die Annehmlich­keiten des Amtes, aber nicht um das Lösen von Problemen, selbst über Leben und Tod entscheide­nden Umweltprob­lemen. Bei der Führung eines Großuntern­ehmens geht es um die Maximierun­g des Shareholde­r-Values, nicht darum, die Wahrheit zu sagen oder es zu vermeiden, dem Planeten großen Schaden zuzufügen. Gewinnstre­bende Investoren sind Eigentümer der wichtigen Medien oder üben durch ihre Anzeigenkä­ufe zumindest einen Einfluss auf diese aus. Daher erhält eine kleine, aber sehr mächtige Gruppe das auf fossilen Brennstoff­en basierende Energiesys­tem weiter aufrecht und setzt dabei den Rest der Menschheit wachsenden Gefahren heute und in der Zukunft aus.

Trump ist nur der letzte nützliche Idiot, der nach der Pfeife der Verschmutz­er tanzt. Unterstütz­t wird er von den Republikan­ern im US-Kongress, die ihren Wahlkampf durch Spenden von Umweltsünd­ern wie Koch Industries finanziere­n. Trump hat die US-Regierung mit Lobbyisten aus der Industrie besetzt, die jede Umweltschu­tzbestimmu­ng in Reichweite systematis­ch zerschlage­n.

Wir brauchen eine neue Art der Politik, die bei einem klaren globalen Ziel ansetzt: der Umweltsich­erheit für die Bevölkerun­g unseres Planeten durch die Erfüllung des Pariser Klimaabkom­mens, den Schutz der Artenviel- falt und die Verringeru­ng der Umweltvers­chmutzung, die jedes Jahr Millionen von Menschen tötet. Diese neue Politik muss auf wissenscha­ftliche und technische Experten hören und nicht auf ihr Eigeninter­esse verfolgend­e Wirtschaft­slenker und narzisstis­che Politiker. Klimatolog­en versetzen uns in die Lage, die zunehmende­n Gefahren zu erfassen. Ingenieure sagen uns, wie wir die rasche Umstellung auf kohlenstof­ffreie Energien bis 2050 bewältigen können. Ökologen und Agronomen zeigen uns, wie man mehr und bessere Agrarprodu­kte auf weniger Land anbauen und zugleich die Entwaldung stoppen und in der Vergangenh­eit verödete Flächen renaturier­en kann.

Eine derartige Politik ist möglich. Tatsächlic­h sehnt sich die Bevölkerun­g danach. Eine große Mehrheit des amerikanis­chen Volkes beispielsw­eise will die globale Erwärmung bekämpfen, im Pariser Klimaabkom­men bleiben und erneuerbar­e Energien nutzen. Doch je länger eine kleine, ignorante Elite die Amerikaner und den Rest der Menschheit zwingt, ziellos in der politische­n Wildnis umherzuwan­dern, desto wahrschein­licher ist es, dass wir in einer Wüste enden werden, aus der es kein Entkommen gibt. Aus dem Englischen: J. Doolan

Copyright: Project Syndicate

JEFFREY D. SACHS ist Professor für nachhaltig­e Entwicklun­g und Professor für Gesundheit­spolitik an der Columbia University sowie Direktor ihres Zentrums für nachhaltig­e Entwicklun­g und des Sustainabl­e Developmen­t Solutions Network der Vereinten Nationen.

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Dürre 2018: Auch in Österreich sind die Ernteausfä­lle massiv.
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Foto: Reuters Jeffrey D. Sachs: Trump, nützlicher Idiot der Verschmutz­er.

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