Die Strategien der Wimpertierchen
Wissenschafter beleuchten die Lebensweise der Ciliaten, die vor allem in Ozeanen und Seen leben
Es gibt sie in großer Zahl in Ozeanen und Seen. Und sie haben eine wichtige Funktion im mikrobiellen Nahrungsnetz dieser Gewässer. Die Wimperntierchen, oder wie Wissenschafter sagen: Ciliaten. Viele Arten dieser Einzeller leben auch im Mondsee, weshalb am Forschungsinstitut für Limnologie eine eigene Forschungsgruppe gegründet wurde. Das Team, geleitet von der aquatischen Ökologin Bettina Sonntag, hat sich auch schon selbst als „Ciliaten-begeistert“geoutet, wie es auf der Website der Gruppe ciliates.at heißt.
Sie sind ja auch beeindruckend, diese am höchsten entwickelten, mikroskopischen Lebewesen. Sie pflanzen sich ungeschlechtlich meist durch Querteilung fort. Sie ernähren sich durch ihren Zellmund, verdaut wird in Nahrungsvakuolen, ausgeschieden durch den Zellafter. Die namensgebenden Wimpern dienen der Fortbewegung und dem zum Mund Strömen der Nahrung. Ihre Lebensweisen sind recht unterschiedlich: Einige sind parasitär wie Ichthyophthirius multifiliis, der bei Süßwasserfischen die Weißpünktchenkrankheit verursachen kann. Andere gehen symbiotische Lebensformen mit ebenfalls einzelligen Grünalgen ein (Zoochlorellen).
Die Wissenschafter beobachten dabei die Entwicklung beider Lebewesen und bezeichnen diese Partnerschaft als mixotroph, da die Ciliaten einerseits fressen und andererseits Photosyntheseprodukte von der Alge bekommen. Die Algen erhalten Stickstoff und Kohlendioxid von ihrem Wirt. Eine Hand wäscht die andere.
Bei den Forschungsarbeiten kam auch die Frage auf, ob sie immer mit den gleichen Grünalgen zusammenleben. Im See kommen diese Ciliaten meistens nicht alleinlebend vor – das deutet auf einen evolutionsbiologischen Vorteil der Symbiose hin. Auch die Grünalgen sind noch auf einer anderen Ebene Nutznießer: Es gibt in den Gewässern des Salzkammerguts zahlreiche Viren. Institutsleiter Martin Hahn, der die Bakterienvielfalt im Süßwasser untersucht, spricht von einer Milliarde Bacteriophagen und Viren pro Milliliter Wasser, das sind Arten, gegen die der Mensch normalerweise resistent ist. Nicht so die Grünalge, sie überlebt den Erreger nur, wenn sie in Symbiose mit einem Wimperntierchen lebt. Warum das so ist, kann Thomas Pröschold, der in einem laufenden FWF-Projekt als Grünalgenspezialist mitarbeitet, noch nicht sagen. Auch andere Fragen treten auf: Warum sind die Grünalgen in Ufernähe zu finden, die für sie gefährlichen Erreger aber eher im zentralen Bereich des Sees?
In einem weiteren Projekt geht es darum, den Bestand an Wimperntierchen im Mondsee und im Zürichsee und ihre Rolle im Nahrungsnetz zu analysieren. Das gemeinsam mit der Uni Zürich und der Uni Kaiserslautern durchgeführte Projekt wird auf österreichischer Seite vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt. Mehr als 100 Arten dieser Einzeller leben in einem Binnengewässer, das zentrale Ziel dieses noch bis 2020 laufenden Projekts ist es, die Faktoren zu identifizieren, die hinter dieser Vielfalt stehen.
Ciliaten sind jedenfalls ideale Modellorganismen, weil ihre Generationszeit nur Stunden bis Tage dauert. Beste Voraussetzungen für die Forschung. (pi)