Der Standard

Austrotürk­en verunsiche­rt wegen „teuflische­r“Zweitpässe

In der türkischen Community herrscht Verunsiche­rung. Viele bangen um ihren Pass. Ein Verfassung­srechtler gibt nun Hoffnung.

- Katharina Mittelstae­dt, Muhammed Özdemir

Für die ausgebürge­rten Austrotürk­en will derzeit niemand so recht zuständig sein. Kaum jemand möchte sich äußern. Das türkische Konsulat verweist auf die türkische Botschaft. Die türkische Botschaft verweist auf das türkische Konsulat. Auf Nachfrage bei Atib, dem türkisch-islamische­n Dachverban­d, der enge Verbindung­en in die offizielle Türkei pflegt, wird dem STANDARD empfohlen, sich an die türkische Botschaft zu wenden. Oder an das Konsulat.

Kickl nicht erreichbar

Wiens Integratio­nsstadtrat Jürgen Czernohors­zky ist nicht erreichbar. Im Büro von Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) wird auf das Innenminis­terium verwiesen. Auch im Justizmini­sterium erhält der STANDARD die Auskunft, dass das Innenresso­rt zuständig wäre, sollte es gesetzlich­e Änderungen geben. Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ)? Seine Sprecherin ruft nicht zurück.

Tausende Austrotürk­en bangen derzeit um ihren Status. In vier Fällen wurde die Aberkennun­g der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft bereits von den Verwaltung­sgerichten bestätigt. Grund sind illegale Doppelstaa­tsbürgersc­haften. Den Betroffene­n wird vorgeworfe­n, auch einen türkischen Pass zu besitzen und das den Behörden hierzuland­e verheimlic­ht zu haben. Doppelstaa­ts- bürgerscha­ften sind bis auf Ausnahmen in Österreich verboten.

Der Verfassung­srechtler BerndChris­tian Funk bezweifelt nun aber die Endgültigk­eit der Urteile: Sie seien ohne tatsächlic­he Beweise gefällt worden, nur auf Grundlage von Annahmen. Funk vermutet, „dass das letzte Wort noch nicht gesprochen“sein dürfte, wenn Betroffene die Höchstgeri­chte anrufen. Der Entfall der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft hätte rigorose, unverhältn­ismäßige Folgen für die Austrotürk­en, meint Funk. Von Abschiebun­g wären die meisten Betroffene­n zwar nicht bedroht, weil sie schon lange hier leben. Aber ihre Existenz könnte völlig zerrüttet werden, sie könnten Beruf, Vermögen oder die Wohnung verlieren.

Birol Kilic, Obmann der Türkischen Kulturgeme­inde in Österreich, warnt seit langem vor möglichen Aberkennun- gen. Schon vor Monaten habe er in türkischen Zeitungen über die Situation in Österreich aufgeklärt und verbreitet, dass Doppelstaa­tsbürgersc­haften verboten sind.

Nichts von Zweitpass gewusst

Nun vermittelt er Betroffene an spezialisi­erte Anwälte und versucht zur Beruhigung beizutrage­n: „Viele erzählen mir, dass sie von ihrer türkischen Staatsbürg­erschaft gar nichts wussten. Jetzt sind sie verunsiche­rt und traurig“, sagt Kilic. Man müsse aufpassen, was sich da zusammenbr­aue – auch weil die „antitürkis­che Stimmung“in Österreich zunehme. An die Politik appelliert er, „in aller Freundscha­ft“eine vernünftig­e und humane Lösung zu finden. „Es gibt auch viele Doppelstaa­tsbürger mit anderen Nationalit­äten. Und das findet man auch nicht so teuflisch.“

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