Der Standard

Neuerlich brisante Lage im Gazastreif­en

Seit Wochen standen die Zeichen auf Eskalation: Nachdem die Hamas immer wieder Israel mit Raketen attackiert hatte, reagierte man dort mit Luftangrif­fen im Gazastreif­en – dabei starben auch Zivilisten.

- Lissy Kaufmann

Für die Menschen im und um den Gazastreif­en war es ein trauriges Déjà-vu: Wie bereits einige Male in den vergangene­n Wochen spitzte sich die Lage wieder gefährlich zu, wieder einmal war für die Zivilisten an Schlaf kaum zu denken.

Israels Armee reagierte in der Nacht zum Donnerstag mit heftigen Luftangrif­fen auf die mehr als 180 Raketen und Mörsergran­aten, die seit Mittwochab­end aus dem Gazastreif­en in Richtung Israel abgefeuert wurden und eine Frau schwer, mehrere Menschen leicht verletzten sowie einige Häuser und Fabriken beschädigt­en. 30 Raketen aus dem Gazastreif­en wurden nach Angaben der Armee vom Raketenabf­angschirm „Eiserne Kuppel“noch in der Luft zerstört, ein Großteil der Geschosse ging auf freiem Feld nieder.

150 Ziele bombardier­t

Im Gegenzug griff Israels Luftwaffe mindestens 150 Ziele der Hamas im Gazastreif­en an, darunter Waffenfabr­iken und -depots, Tunnel und Trainingsl­ager. Dabei wurden Berichten zufolge eine schwangere 23-jährige Palästinen­serin und ihre 18 Monate alte Tochter sowie mindestens ein Hamas-Mitglied getötet. Die israelisch­e Armee installier­te im Süden weitere Raketenabw­ehrbatteri­en, zog Reserviste­n ein und wies die Menschen in den Dörfern entlang des Gazastreif­ens an, sich in unmittelba­rer Nähe zu Bunkern und Schutzräum­en aufzuhalte­n – den Menschen dort bleiben im Alarmfall nur wenige Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen.

Auslöser für die neue Gefechtsru­nde war dieses Mal ein Vorfall am Dienstag, bei dem Israels Armee zwei palästinen­sische Scharfschü­tzen im Norden Gazas getötet hatte, die in Richtung israelisch­er Soldaten geschossen hatten. Wie sich Berichten zufolge später herausstel­lte, ein Missverstä­ndnis: Es soll sich um ein Vorführtra­ining von HamasKämpf­er gehandelt haben, israelisch­e Soldaten seien nicht das Ziel gewesen. Die Hamas jedenfalls drohte mit Vergeltung – und ließ am Mittwoch Taten folgen.

Alles scheint stets nach dem gleichen Muster abzulaufen. Neu ist, dass bei diesen Angriffen auf beiden Seiten Zivilisten verletzt, in Gaza sogar getötet wurden. Israelisch­e Medien zitierten außerdem einen Armeevertr­eter, der nicht nur vor einer Militärope­ration warnte, sondern auch ankündigte, man würde Gemeinden an der Grenze eventuell evakuieren.

Dabei hatten die Hamas und Israel in den vergangene­n Tagen mithilfe der UN und Ägypten indirekt über eine langfristi­ge Waf- fenruhe verhandelt. Es ging auch darum, die anhaltende­n Angriffe vonseiten militanter Palästinen­ser mit brennenden Flugdrache­n und Ballonen zu beenden, die in Israels Süden bereits tausende Hektar Felder und Wälder zerstört haben. Am Mittwoch waren erneut Brände ausgebroch­en.

Für die Palästinen­ser sind diese Angriffe, gepaart mit den anhaltende­n, teilweise gewaltsame­n Freitagsde­monstratio­nen, auch ein Mittel, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen: Das Leitungswa­sser ist verschmutz­t, nur selten fließt Strom, das Benzin reicht kaum für die Generatore­n, die Menschen leiden unter der Sommerhitz­e – ohne Ventilator­en, Klimaanlag­e und Kühlschrän­ke. Außerdem besteht Seuchengef­ahr. Die Hamas fordert, dass die Zufuhrbesc­hränkung zum Gazastreif­en aufgehoben wird.

Keiner will Schwäche zeigen

Beide Seiten würden von einer lang anhaltende­n Waffenruhe profitiere­n – und beide Seiten scheinen derzeit weiterhin kein ernsthafte­s Interesse an einem Krieg zu haben. Die Hamas weiß, dass sie einen Krieg nicht überleben würde. Wohl auch deshalb erklärte sie Donnerstag­mittag die Gefechtsru­nde für beendet – doch schon wenig später gab es wieder Raketenala­rm. Israel wiederum hat kaum Interesse, die Verantwort­ung für die knapp zwei Millionen Gazaner zu übernehmen – genauso wie die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde in Ramallah. Eine andere Terrororga­nisation an der Macht in Gaza wäre für Israel ebenfalls keine Verbesseru­ng.

Klar ist aber auch: Keiner will Schwäche zeigen, Hamas und Israel beschuldig­en sich gegenseiti­g, die Gewalt ausgelöst zu haben, und drohen, Angriffe zu vergelten.

 ??  ?? In der Nacht zum Donnerstag flog die israelisch­e Luftwaffe wieder Angriffe auf Ziele in Gaza-Stadt – dabei wurden nicht nur Gebäude zerstört, sondern auch mindestens drei Menschen getötet.
In der Nacht zum Donnerstag flog die israelisch­e Luftwaffe wieder Angriffe auf Ziele in Gaza-Stadt – dabei wurden nicht nur Gebäude zerstört, sondern auch mindestens drei Menschen getötet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria