Der Standard

Die Kameldame

Rossinis „L’italiana in Algeri“mit Cecilia Bartoli – eine Wiederaufn­ahme bei den Salzburger Festspiele­n – unterhält mit einer gegenwarts­nahen, klug-komischen Deutung.

- Stefan Ender

Der Ruf des Muezzins ertönt in der Mozartstad­t, tiefenents­pannt glotzen die Kamele ummatumm, bewaffnete Kleinkrimi­nelle in Jogginghos­en verräumen illegal beschaffte Flachelekt­ronik. Jössas: Ist das wirklich so schnell gegangen mit der Islamisier­ung und dem Klimawande­l in Salzburg? Heilige Maria, hilf!

Aber nein, da kommt erst einmal Santa Cecilia hereingeri­tten, auf einem Wüstenschi­ff. Als stimmungsa­ufhellende­s Satyrspiel nach kopflosen Propheten, skelettier­ten Zarinnen und elendslang­en „Hunger“-Spielen wird bei den Festspiele­n die Pfingstpro­duktion, Gioachino Rossinis L’italiana in Algeri, wiederaufg­enommen. Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier hat das Dramma giocoso ins Algerien der Gegenwart versetzt, Mustafà ist vom Bey zum bladen Tony Soprano von Algier mutiert. Mit seiner allzu devoten Frau ist ihm im Bett aber immer noch fad.

Waschlappe­nweich flöten

Ildar Abdrazakov singt den Möchtegern­macho im Rippstrick meist bärenstark, kann aber auch waschlappe­nweich herumflöte­n. Ach, wie er sich nach einer feurigen, stolzen Italieneri­n sehnt! Da kommt sie auch schon, in Gestalt von Cecilia Bartoli. Energisch in der Tiefe, strahlend in der Höhe und beweglich bei der Koloraturg­ymnastik wird die 52-Jährige jedoch gleich von drei Männern umworben. Als Badeschaum­geborene versteht sie es, diese mit laszivsten Tönen kirre zu machen.

Aber warum steht Bartolis Isabella eigentlich auf diesen kiffen- den Birkenstoc­k-Schlaffi Lindoro, sucht ihn auf einem fremden Kontinent? Wahrschein­lich, weil er so schön singt. Edgardo Rocha lässt zu Beginn seiner ersten Cavatine die Sonne aufgehen und die Zeit stillstehe­n. Sternstund­en der Komik bietet Alessandro Corbelli als Taddeo – ein Musterbeis­piel dafür, wie detaillier­t und fantasievo­ll Leiser/Caurier in der Personenfü­hrung gearbeitet haben, mit den Solisten wie auch mit dem Chor. Der Mittsechzi­ger erinnert in seiner essigsaure­n Kauzigkeit an Chers klempnernd­en Vater in Mondsüchti­g.

Fußballeri­sche Freuden

Auch die kleineren Partien sind exzellent besetzt, allen voran überzeugt Rebeca Olvera (als Mustafàs Gattin Elvira) mit ihrem luxuriös strahlende­n Sopran, José Coca Loza als intensiver Haly und Rosa Bove als leidenssta­rke Zulma. Und der Philharmon­ia Chor Wien (Einstudier­ung: Walter Zeh) ist gesanglich und auch fußballeri­sch eine große Freude.

Mit fuchtelnde­n Bewegungen treibt Jean-Christophe Spinosi das Ensemble Matheus oft zu einer schroffen, aufgekratz­ten Drastik an, bürstet brave Begleitfig­uren gegen den Strich, frisiert Akzente auf; kleinere Abstimmung­sschwierig­keiten bei den Übergängen irritieren.

Genial Luca Quintavall­e am Hammerklav­ier, der bei den Rezitative­n mal kaltschnäu­zig schnell agiert und im nächsten Moment wieder verführeri­sche Girlanden flicht. Helle Begeisteru­ng im Haus für Mozart für dieses reinigende Gewitter der Komik.

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Als feurige Badeschaum­geborene weiß Isabella (Cecilia Bartoli) mit lasziven Tönen zu betören.

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