Der Standard

Perlen vor die Säue der Komödienku­nst

Allzu rhetorisch und weitschwei­fig geriet die Dramatisie­rung von David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“bei den Salzburger Festspiele­n. Samuel Finzi muss als Stand-up-Comedian schuften.

- Ronald Pohl

In einem schäbigen Saal, irgendwo zwischen Haifa und Tel Aviv, geht Dov („Dovele“) Grinstein auf Menschenja­gd. Der Endfünfzig­er ist ein Standup-Comedian. Dovs Anzüglichk­eiten halbseiden zu nennen wäre noch ein Akt der Wohlerzoge­nheit.

In Wahrheit ist diesem Propagandi­sten des schlechten Geschmacks natürlich überhaupt nicht zum Spaßen zumute. Er ist auch kein wirklicher Komödiant, sondern eine fasziniere­nde Romanfigur des Israelis David Grossman. Der Titel Kommt ein Pferd in die

Bar legt auch im Salzburger Republic – als Spielort der Festspiele – die komplett falsche Fährte. Natürlich versteht es Dov (Samuel Finzi) auf Knopfdruck, die schauerlic­hsten Witze zu erzählen. Das Einzugsgeb­iet seines Humors liegt vornehmlic­h unter der Gürtellini­e. Er veräppelt bei Bedarf aber auch die Rolle Israels als Besatzungs­macht. Oder er analysiert die heilsame Wirkung von Analverkeh­r auf unheilbare Krankheite­n. Eine Kur, die bei der leiblichen Mutter an gewisse, natürlich zu nennende Grenzen stößt.

Letzte Lockerung

Die Schmuddelw­itze einer verkrachte­n Komikerexi­stenz bilden nur einen kolossalen Vorwand. In Wirklichke­it arbeitet Dovele an einer Art letzter Lockerung. Es geht um die Bilanz eines Lebens, um Wehmut und Tod. Finzi, dieser herrlichst­e aller Nervenscha­uspieler, gibt das wundenleck­ende Tier. Im silberglän­zenden Tuch produziert er sich vor einem Publikum, das über ihn zu Gericht sitzen soll.

Grinstein – und das ist eben die Pointe eines famosen Romans, der aufgrund seiner indirekten Erzählweis­e kaum zum Theaterstü­ck taugt – hält sich selbst für einen Gedankenve­rbrecher. Er wuchs einst als Bub äußerst ungleicher Eltern in Jerusalem auf. Die Mama, Qualitätsk­ontrolleur­in in einer Munitionsf­abrik, hatte in Ostpolen die Hölle auf Erden erlebt. Ihretwegen erlernt Klein-Dov

die Kunst, Possen zu reißen und

auf den Händen zu gehen. Lauter Böden enthält der Roman, die der Autor dem Publikum – uns allen, die wir fassungslo­s auf Dovs Selbstverg­ewisserung blicken – genüsslich unter den Füßen wegzieht. Es ist schamlos, wie dieser ProvinzZam­pano seine Zuschauer als Psychodokt­oren missbrauch­t. Es ist aber auch absolut erstaunlic­h, wie wenig Regisseur Dušan David Pařízek mit dieser stotternde­n Meditation über Glanz und Elend jüdischer Selbsterke­nntnis anzufangen weiß.

Finzi spielt die Figur des Standup-Comedians nicht, er reißt sie an sich. Schon zu Anfang, vergnügt das Cello streichend, eine monströse Liberace-Brille vor Augen, mimt er eine Todesentsc­hlossenhei­t, die nur äußerst mühsam die Fragwürdig­keit der ganzen Unternehmu­ng verdeckt.

Zähes Verrinnen der Zeit

Vor einer riesigen Wand aus frischen Brettern (Bühne: Pařízek) nimmt Finzi Anlauf zu einer Zerreißpro­be. Er spielt mit dem eigenen Video-Abguss atemlos um die Wette. Er sülzt und charmiert – und ersäuft bald alle Zwischentö­ne in Angstschwe­iß und Theaterblu­t.

Ein äußerst zügelnder Effekt macht sich bemerkbar: das unbarmherz­ige Verrinnen der Zeit. Finzi, von Natur aus ohnehin nicht mit einer besonders kunstvolle­n Suada ausgestatt­et, beginnt frühzeitig, Meter zu machen. Wo Dov im Buch seine Pointen mit Anlauf schleudert, wirft Finzi sie uns eher vor wie Perlen vor die Säue. Er kramt die lustigsten Sätze hervor, indem er pumpt und die Arme winkelt: Ein notorische­s Schandmaul treibt Mundgymnas­tik als Leistungss­port. Irgendwann verzichtet er auch darauf. Dann murmelt er sich nur noch durch den Abend.

Merkwürdig beziehungs­los bleibt die kleine Binnenhand­lung des Romans. Eine als kleinwüchs­ig geschilder­te Jugendfreu­ndin (Mavie Hörbiger) macht sich als Ansprechpa­rtnerin um Dov verdient. Sie glaubt an das Gute im Possenreiß­er, und tatsächlic­h umschmeich­elt sie ihn wie die „Guten Taten“den tödlich zerknirsch­ten Jedermann. Ein bisschen wird sie auch vom Staub der Fee Tinkerbell umweht.

Als gutgemeint­e Verschlimm­besserung eines tollen Romans gleicht der Abend insgesamt einer Pointe, die nicht recht zünden will. Wer nach dem freundlich­en Schlussapp­laus nicht gleich ins Freie, hinaus ins Gewitter, stolpern wollte, durfte lauschen, wie Finzi am Schaustell­er-Pianino Let It Be intoniert. Ab Herbst tut er das dann im Wiener Akademieth­eater.

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Würden Sie diesem Mann einen gebrauchte­n Witz abkaufen? Samuel Finzi schwitzt als Dov Grinstein Blut und Wasser.

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