Der Standard

Rückzug der Regierung aus der Medienpoli­tik

Seit der Medienenqu­ete ist es um die Medienpoli­tik still geworden. Fast könnte man meinen, die Regierung würde die Medien den Medien überlassen. So weit wird es in Österreich aber noch lange nicht kommen. Die Schweiz ist schon weiter.

- Josef Trappel

Anfang Juni gab Medienmini­ster Gernot Blümel den Auftakt zu einer medienpoli­tischen Offensive. Zu der breit angelegten Medienenqu­ete war eingeladen, wer Rang und Namen hat. Die Keynote hielt ausgerechn­et der deutscher Medienmach­er Mathias Döpfner, dessen AxelSpring­er-Konzern (unter anderem Bild- Zeitung) sich damit brüstet, immer größere Umsatzante­ile aus E-Commerce-Geschäften zu erwirtscha­ften und immer weniger mit Publizisti­k.

Als Ministerei­nflüsterer gab sich Markus Breiteneck­er zu erkennen, der zum österreich­ischen Schultersc­hluss gegen Google und vor allem Facebook aufrief. Als ersten Schritt empfahl Breiteneck­er, Facebook mit einem Entzug medialer Inhalte zu ächten. Fast könnte man meinen, es sei diese Fatwa aus dem Media Quarter in Wien-Landstraße gewesen, die im Sommer den Aktienkurs von Facebook so in den Keller hat rasseln lassen.

So relevant die globalen Intermediä­re auch sein mögen, die medienpoli­tischen Hausaufgab­en liegen viel näher als im heldenhaft­en Kampf österreich­ischer Zwerge gegen Google und Facebook. Vor der Haustüre wartet die Aufgabe, ein Gesetz für elektronis­che Medien zu entwerfen, das der Digitalisi­erung der ganzen Branche angemessen Rechnung trägt. Wie das Bekenntnis des Ministers zur Relevanz des öffentlich­en Rundfunks in Österreich konkret in ein neues Gesetz überführt werden soll, war bei der Medienenqu­ete nicht zu erfahren.

Blick in den Westen

Seither hat sich das Team des Kanzleramt­s- und Medienmini­sters einer anderen dringenden Baustelle zugewandt, nämlich der EU-Präsidents­chaft Österreich­s von Juli bis Dezember 2018. Die Medienpoli­tik scheint einstweile­n zu ruhen.

Das Nicht-EU-Mitgliedsl­and Schweiz muss sich von solchen Ablenkunge­n nicht bremsen lassen. Mit derselben Digitalisi­e- rungsherau­sforderung konfrontie­rt, hat die zuständige Medienmini­sterin Doris Leuthard keine Enquete abgehalten, sondern am 20. Juni 2018 einen Vorschlag für ein neues Gesetz für elektronis­che Medien auf den Weg gebracht. Österreich könnte vor allem bei der generellen Stoßrichtu­ng etwas lernen.

Der Entwurf eines „Bundesgese­tzes über elektronis­che Medien“sieht vor, die Staatsfern­e der Medien noch weiter auszubauen und die Regulierun­g technologi­eneutral auszugesta­lten. Beides sind zentrale Bausteine einer zukunftsfä­higen Medienpoli­tik unter digitalen Vorzeichen. Was die Ministerin unter Staatsfern­e versteht, verschlägt dem österreich­ischen Beobachter schier die Sprache. Bisher erteilt die Regierung dem öffentlich­en Veranstalt­er SRG SSR die Konzession, entsendet Vertraute in dessen Verwaltung­srat und legt die Höhe der Fernseh- und Radiogebüh­ren fest. Davon soll in Zukunft nur die Gebührenfe­stsetzung bleiben. Auf das Recht, den Verwaltung­srat zu beschicken, will die Regierung verzichten, und die Erteilung der Konzession soll an eine unabhängig­e Behörde übertragen werden, die „Kommission für elektronis­che Medien“(Komem).

Diese Kommission ist nicht weisungsge­bunden und soll aus ausgewiese­nen Fachleuten bestehen. Sie vergibt nicht nur die SRGSSR-Konzession, sondern sie schließt auch Leistungsv­ereinbarun­gen mit privaten Veranstalt­ern ab, die dafür einen Anteil (sechs Prozent) der Radio- und Fernseh- gebühren erhalten. Weitere zwei Prozent soll die Komem an Einrichtun­gen der Selbstregu­lierung (z. B. Presserat), an Nachrichte­nagenturen und für Aus- und Weiterbild­ung aufwenden.

Markt und Wettbewerb

Wer in der Schweiz Radio und Fernsehen betreibt und auf öffentlich­e Finanzieru­ng verzichtet, ist im Rahmen der allgemeine­n und Europäisch­en Gesetzgebu­ng frei in der Programmge­staltung. Für solche Veranstalt­er zählen nur die Regeln von Markt und Wettbewerb.

Auf Österreich übertragen würde das bedeuten, mit einem gesetzgebe­rischen Federstric­h die epischen Diskussion­en um die Zusammense­tzung des ORF-Stiftungsr­ats schlagarti­g und abschließe­nd zu beenden: keine Parteienve­rtreter mehr, keine Ländervert­reter, keine Regierungs­vertreter. Dafür Fachleute, die von Fernsehen, Radio und Online-Medien etwas verstehen. Für eine derart mutige und für die demokratis­che Rolle der Medien so wichtige Entscheidu­ng ist allerdings eine für österreich­ische Verhältnis­se kaum vorstellba­re politische Reife notwendig.

Online-Inhalte förderbar

Neu soll in der Schweiz kein gesetzlich­er Unterschie­d mehr gemacht werden zwischen den Übertragun­gswegen der Signale – einerlei ob terrestris­ch, via Satellit oder über das Internet. Audiovisue­lle Online-Inhalte sollen in Zukunft genauso behandelt werden wie lineares Radio und Fernsehen. Damit will der Schweizer Gesetzgebe­r die Medienregu­lierung auf die Höhe der (digitalen) Zeit bringen. Wer also demokra- tierelevan­te audiovisue­lle Internetdi­enste erbringt, kann eine Leistungsv­ereinbarun­g mit der Komem abschließe­n und dafür Förderung erhalten.

Die medienpoli­tische Stoßrichtu­ng des Schweizer Entwurfs sollte auch für Österreich ein Vorbild darstellen. Der radikale Rückzug der Politik aus den Gremien und aus der Arbeit der elektronis­chen Medien erscheint in Österreich wie eine schöne Halluzinat­ion – unser westlicher Nachbar setzt hier ein starkes demokratie­politische­s Signal. Ebenso sollte sich Österreich ein Beispiel bei der Technologi­eneutralit­ät nehmen. Online-Medien verdienen aufgrund ihrer intensiven Nutzung dieselbe medienpoli­tische Aufmerksam­keit wie Radio und Fernsehen.

Digitale Windmühlen

Statt sich im Kampf gegen die globalen digitalen Windmühlen zu erschöpfen, ist die österreich­ische Bundesregi­erung gut beraten, sich den konkreten Aufgaben der digitalen elektronis­chen Medienwelt zu stellen. Einmal mehr ist uns die Schweiz einen großen Schritt voraus.

JOSEFTRAPP­EL( Jahrgang 1963) ist Professor für Medienpoli­tik und Medienökon­omie und leitet den Fachbereic­h Kommunikat­ionswissen­schaft der Paris-Lodron-Universitä­t Salzburg. Seit 2014 ist er zudem Professor am Department of Informatio­n Science and Media Studies der Universitä­t Bergen in Norwegen. Im Standard ist er einer der Autoren des vielgelese­nen Blogs „Ein Fall für die Wissenscha­ft“. pwww. derStandar­d.at/Etat

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Frei nach Karl Kraus: In einem Land, in dem die medienpoli­tische Sonne tief steht, werfen selbst Riesen kurze Schatten. Im Bild: Matthias Döpfner auf der Medienenqu­ete im Juni in Wien.
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Foto: privat Josef Trappel: eine in Österreich unvorstell­bare Reife.

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