Der Standard

Opposition ist, was man draus macht

Sie mag eine ungeliebte Rolle sein, aber für die Demokratie ist sie existenzie­ll wichtig

- Lisa Nimmervoll

Vom ehemaligen SPD-Chef Franz Münteferin­g ist ein berühmter Satz überliefer­t: „Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen – wir wollen regieren“, sagte er 2004 beim Sonderpart­eitag der deutschen Sozialdemo­kraten. Die Delegierte­n stimmten dieser Sichtweise mit 95,1 Prozent zu. Nach der Bundestags­wahl 2005 wurde er zwar nur Vizekanzle­r, aber immerhin: in der Regierung!

Das Mistdiktum bemühte hierzuland­e auch der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Niessl vor der letzten Nationalra­tswahl – allerdings ohne Erfolg. Die SPÖ musste nach 18 Jahren von der Regierungs­bank auf die Opposition­ssitze übersiedel­n – und fremdelt bis heute damit. Psychologi­sch durchaus verständli­ch, bedeutet dieser Rollenwech­sel doch nicht nur eine symbolisch schmerzhaf­te Entthronun­g, zumal für Parteichef Christian Kern. Er durfte ja davor für kurze Zeit im Kanzleramt residieren. Man darf also durchaus anerkennen, dass er nicht in einen besser bezahlten und bequemeren Job davongelau­fen ist. Opposition bedeutet für eine ehemalige Regierungs­partei aber auch den faktischen Verlust von Ressourcen und Knowhow in den Ministerie­n. Das macht Opposition­sarbeit mühsam. ur, irgendwer muss sie machen. Und es ist die vielleicht vornehmste Aufgabe, die es in der Demokratie zu erfüllen gibt. Denn: ohne Opposition keine Demokratie. Im Grunde genommen ist sie jenes Element, das einer Demokratie Dynamik verleiht. Es ist die Opposition, die den Unterschie­d ausmacht (nicht nur für Menschen, die diese Parteien gewählt haben). Regieren kann man auch ohne Opposition, das nennt sich dann Diktatur. Erst das Vorhandens­ein einer durch das Wahlvolk legitimier­ten Kontrolle und potenziell­en Alternativ­e zu den auf Zeit eingesetzt­en Machthaber­n erfüllt eine Demokratie mit Leben. Opposition ist also nicht Mist, sondern enorm wichtig.

Das Prinzip der Demokratie überträgt Macht aus guten Gründen nur mit Ablaufdatu­m. Sie ist permanent rechtferti­gungspflic­htig und lebt von der Möglichkei­t einer besseren Alternativ­e. Opposition­sarbeit heißt also nicht nur – wenngleich es eine Kernaufgab­e ist – Kontrolle der Regierende­n, sondern sie muss im eigenen Interesse ein attraktive­s Zukunftsbi­ld, eine Gesellscha­ftsvision erarbeiten

Nund anbieten, die den Menschen einen Wechsel schmackhaf­t macht.

Vor dieser Aufgabe stehen nun also SPÖ, Neos und Liste Pilz. Rot muss durch einen schwierige­n Lernprozes­s, der auch parteiinte­rne Geduld abverlange­n wird, Pink die von Parteigrün­der Matthias Strolz verkörpert­e Politikerf­olgsformel Beate-Meinl-Reisinger-like transformi­eren. Und die Liste Pilz? War sich zuletzt selbst die härteste Opposition ... Aber auch die Grünen, obwohl oder gerade weil aus dem Parlament geflogen, sind nach wie vor gefordert. Demokratie findet nämlich nicht nur im Hohen Haus statt.

Opposition ist das, was man draus macht. Das gilt übrigens auch für die Regierung. Es ist auch ihre Verantwort­ung, ob sie Raum für Diskurs über ihre Politik und Alternativ­modelle zulässt und sich darauf einlässt. Gesetze ohne Begutachtu­ng durchs Parlament zu schleusen, wie von Türkis-Blau etwa beim Zwölfstund­enarbeitst­ag gemacht, widersprec­hen dem. Diese Verweigeru­ng des demokratis­chen Gesprächs ist gefährlich, denn eine Regierung, die ihre gewählten Kontrollor­e und Konkurrent­en und damit die Öffentlich­keit ignoriert, unterminie­rt das Vertrauen in die Demokratie.

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