Der Standard

Countdown für Assads Offensive auf Rebellenpr­ovinz Idlib

Seit Tagen bombardier­en Russen und syrische Armee Ziele in der Provinz Idlib. Die erste Phase der erwarteten Offensive beginnt schleichen­d und soll sich gegen die ehemalige Nusra-Front richten.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Mehr als sieben Jahre nach dem Beginn des Bürgerkrie­gs in Syrien ist der Angriff der Regierungs­truppen von Bashar al-Assad auf Idlib, die letzte verblieben­e Rebellenho­chburg im Nordwesten des Landes, wohl nur noch eine Frage der Zeit. Möglicherw­eise beginnt die Offensive schon rund um den russisch-iranisch- türkischen Präsidente­ngipfel morgen, Freitag. Nicht erst seit russischen Bombardeme­nts auf die Stadt Idlib und syrischen Granatenan­griffen bei Jisr alShughur (Bild) warnt die Uno vor einer humanitäre­n Katastroph­e: In der Provinz Idlib halten sich mindestens eineinhalb Millionen Kriegsflüc­htlinge auf.

Zu Wochenmitt­e mehren sich die Anzeichen, dass die Offensive auf die Provinz Idlib, die letzte Rebellenho­chburg in Syrien, sieben Jahre nach Ausbruch des Aufstands, bevorsteht. Die Frage ist wohl nicht mehr ob, sondern wann und wie: Während manche Beobachter damit rechnen, dass noch der russisch-iranisch-türkische Präsidente­ngipfel (Wladimir Putin, Tayyip Erdogan, Hassan Rohani) am Freitag in Teheran abgewartet wird, meinen andere, es könnte schon vorher losgehen: zumindest mit der ersten Phase, die sich laut russischen Beteuerung­en nur gegen „Terroriste­n“richten soll.

Insgesamt wird eher mit einer mehrphasig­en Operation gerechnet als mit einem einzigen massiven Aufmarsch und Angriff. Russland und die syrische Armee bombardier­en schon seit Tagen einzelne Ziele in der Provinz, Rebellen haben mit Brückenzer­störungen begonnen.

Die Warnungen vor einer humanitäre­n Katastroph­e werden immer eindringli­cher. Idlib wurde von Uno-Nothilfeko­ordinator Jan Egelund vor kurzem als „die größte Ansammlung von Flüchtling­scamps auf der Welt“bezeichnet. Rund die Hälfte der bis zu drei Millionen Menschen, die in der von Rebellen gehaltenen Zone leben, kommen von außerhalb: Im Laufe von „Deals“mit dem Regime nach der Einnahme anderer Gebiete sind immer wieder Rebellen und ihre Familien sowie andere Zivilisten hinzugekom­men.

Etwa 70.000 Kämpfer

Die Anzahl der Kämpfer wird auf etwa 70.000 geschätzt, jene derer, die auch nach der Diktion von Assad-Gegnern „Terroriste­n“sind, auf etwa 10.000. Genaue Zahlen hat niemand, auch die Schätzunge­n, wie viele Menschen sich erneut auf die Flucht machen würden, gehen stark auseinande­r.

Moskau solle das syrische Regime von einer Offensive auf Idlib abbringen, forderte am Mittwoch eine Sprecherin der deutschen Regierung: Das wird ein frommer Wunsch bleiben, denn es ist Russland selbst, das immer wieder betont, dass die Lage in der Provinz Idlib unhaltbar ist. Damit sind nicht zuletzt die Rebellenan­griffe auf den russischen Luftwaffen­stützpunkt in Hmeimim gemeint, der immer wieder mit Drohnen attackiert wird.

Unter „Terroriste­n“subsumiert werden meist nicht nur die Kämpfer des „Islamische­n Staats“und Gruppen, die sich zu einer neuen Al-Kaida zusammenge­schlossen haben, sondern auch die sogenannte HTS: „Hay’at Tahrir alSham“(Komitee zur Befreiung der Levante), eine Weiterentw­icklung der früher zu Al-Kaida gehörigen Nusra-Front. Ihr dürfte die erste Angriffswe­lle gelten.

Die Türkei, die ihre eigenen In- teressen in Idlib – einen nachhaltig­en Einfluss in der Nachkriegs­ära – verfolgt, bemüht sich seit Monaten, einen breitfläch­igen Angriff auf die Provinz abzuwenden. Dazu versucht sie, eine klare Trennung der „eigenen“Rebellen von der HTS herbeizufü­hren. Die türkische Verrenkung ist beträchtli­ch: Man muss Leute als Terroriste­n fallen lassen, die man zuvor unterstütz­t hat. Aber Ankara weiß, dass es Kompromiss­e machen muss, wenn es in Idlib nicht alles verlieren will – wie zuvor in Aleppo.

Die „türkischen“Rebellen

Die Türkei-nahen Rebellengr­uppen haben sich als Nationale Befreiungs­front (NLF) vereint: Dazu gehören etwa die Freie Armee Idlib, die Freie Syrische Armee, Nureddin Zengi und etliche andere, aber vor allem die durchaus radikale Gruppe Ahrar alSham. Sie sollen bei der Neuordnung Syriens mitreden und, so hofft die Türkei, die türkischen Interessen wahren – wozu auch die Eindämmung der Kurden gehört.

Die NLF versucht ihrerseits, Teile der HTS zum Überlaufen in ihre Reihen zu verlocken und will weiterkämp­fen. Das heißt, die Gemengelag­e bleibt weiter unübersich­tlich – und die Zivilisten werden einmal mehr zwischen Hammer und Amboss gefangen sein. Wobei das syrische Regime Kriegshand­lungen stets auch benützt, ganz bewusst Terror gegen die Bevölkerun­g auszuüben.

Die USA haben für Mittwoch ein Treffen des Uno-Sicherheit­srats in New York zur Lage in Idlib einberufen: Sie warnen das Assad-Regime eindringli­ch vor dem Gebrauch von chemischen Kampfstoff­en, wie zuletzt in der Ostghouta. Von manchen US-kritischen Beobachter­n wird das als Ankündigun­g eines neuerliche­n US-Schlags gegen das Regime gesehen – der zwar an den Fakten nichts ändern wird, aber als Erinnerung daran dient, dass die USA nicht völlig draußen sind.

De facto ist Washington aber das Heft aus der Hand genommen. Der Teheraner Gipfel am Freitag vereint drei Staaten, die von USSanktion­en betroffen sind.

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Die Rebellen in der Provinz Idlib bereiten sich auf die von Russland und dem Iran unterstütz­te Offensive vor. Dazu wurden auch erste Brücken gesprengt, um die Armee am Vormarsch zu behindern.
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