Die Türkei umwirbt wieder die Europäer
Die Wirtschaft wankt unter dem Druck der USA
Istanbul – Für die Türkei beginnt jetzt der „deutsche Monat“. Erst kommt am heutigen Mittwoch Heiko Maas, der deutsche Außenminister, nach Ankara. Dann reist der türkische Finanzminister nach Berlin, kurz bevor sein Schwiegervater Tayyip Erdogan am 28. und 29. September einen Besuch bei der deutschen Kanzlerin absolviert. Jetzt, da die Wirtschaft unter dem Druck des US-Präsidenten wankt, will Ankara sein Verhältnis zu den Europäern so schnell wie möglich normalisieren. In der derzeitigen Währungskrise braucht die Türkei bald schon Kredite. Solidarische Worte der Europäer angesichts des Konflikts mit den USA wirken beruhigend auf die Finanzmärkte.
Politische Häftlinge entlassen
Die Gefängnistore in der Türkei sind in den vergangenen Wochen deshalb aufgegangen. Die Justiz ließ plötzlich zwei griechische Grenzsoldaten frei, die sie vier Monate lang ohne Anklage eingesperrt hatte. Der Chef von Amnesty International, Taner Kiliç, kam im August nach mehr als einem Jahr aus der Untersuchungshaft. Auch die deutsche Journalistin Meşale Tolu erhielt die Erlaubnis zur Ausreise mit ihrem Sohn.
Die Menschenrechtslage in der Türkei seit dem vereitelten Putsch vom Sommer 2016 bleibt weiter der große Konfliktpunkt der Europäer. Der Fall des seit bald einem Jahr ebenfalls ohne Anklage inhaftierten türkischen Unternehmers und liberalen Philanthropen Osman Kavala gilt dabei als Symbol. Auch Kavala könnte freikommen.
Auf diplomatischer Ebene hat Außenminister Çavuşoglu schon vor einem Jahr versucht, die Wende einzuleiten. Nazi- und Faschismusvergleiche stellt er in Bezug auf die Europäer seither nicht mehr an. Mit dem griechischen Außenminister zeigte sich Çavuşoglu am Dienstag Arm in Arm in Izmir. Auch mit den Niederlanden erreichte die Türkei nach mehr als einem Jahr Eiszeit plötzlich eine Verständigung. Botschafter werden wieder ausgetauscht. Eine förmliche Entschuldigung für die Ausweisung der türkischen Familienministerin aus den Niederlanden im Vorfeld des Verfassungsreferendums war nicht mehr die Bedingung.
Vier türkische Minister traten vergangene Woche in Ankara gemeinsam auf, um Reformen für die Aufhebung des Visazwangs und den Fortgang der Verhandlungen über den Beitritt zur EU zu versprechen. Mit dem neuen Präsidialsystem würden diese schneller umgesetzt werden. Das Europaministerium hat Erdogan im Zuge der Umbauten für das Präsidialregime abgeschafft.