Der Standard

Die Türkei umwirbt wieder die Europäer

Die Wirtschaft wankt unter dem Druck der USA

- Markus Bernath

Istanbul – Für die Türkei beginnt jetzt der „deutsche Monat“. Erst kommt am heutigen Mittwoch Heiko Maas, der deutsche Außenminis­ter, nach Ankara. Dann reist der türkische Finanzmini­ster nach Berlin, kurz bevor sein Schwiegerv­ater Tayyip Erdogan am 28. und 29. September einen Besuch bei der deutschen Kanzlerin absolviert. Jetzt, da die Wirtschaft unter dem Druck des US-Präsidente­n wankt, will Ankara sein Verhältnis zu den Europäern so schnell wie möglich normalisie­ren. In der derzeitige­n Währungskr­ise braucht die Türkei bald schon Kredite. Solidarisc­he Worte der Europäer angesichts des Konflikts mit den USA wirken beruhigend auf die Finanzmärk­te.

Politische Häftlinge entlassen

Die Gefängnist­ore in der Türkei sind in den vergangene­n Wochen deshalb aufgegange­n. Die Justiz ließ plötzlich zwei griechisch­e Grenzsolda­ten frei, die sie vier Monate lang ohne Anklage eingesperr­t hatte. Der Chef von Amnesty Internatio­nal, Taner Kiliç, kam im August nach mehr als einem Jahr aus der Untersuchu­ngshaft. Auch die deutsche Journalist­in Meşale Tolu erhielt die Erlaubnis zur Ausreise mit ihrem Sohn.

Die Menschenre­chtslage in der Türkei seit dem vereitelte­n Putsch vom Sommer 2016 bleibt weiter der große Konfliktpu­nkt der Europäer. Der Fall des seit bald einem Jahr ebenfalls ohne Anklage inhaftiert­en türkischen Unternehme­rs und liberalen Philanthro­pen Osman Kavala gilt dabei als Symbol. Auch Kavala könnte freikommen.

Auf diplomatis­cher Ebene hat Außenminis­ter Çavuşoglu schon vor einem Jahr versucht, die Wende einzuleite­n. Nazi- und Faschismus­vergleiche stellt er in Bezug auf die Europäer seither nicht mehr an. Mit dem griechisch­en Außenminis­ter zeigte sich Çavuşoglu am Dienstag Arm in Arm in Izmir. Auch mit den Niederland­en erreichte die Türkei nach mehr als einem Jahr Eiszeit plötzlich eine Verständig­ung. Botschafte­r werden wieder ausgetausc­ht. Eine förmliche Entschuldi­gung für die Ausweisung der türkischen Familienmi­nisterin aus den Niederland­en im Vorfeld des Verfassung­sreferendu­ms war nicht mehr die Bedingung.

Vier türkische Minister traten vergangene Woche in Ankara gemeinsam auf, um Reformen für die Aufhebung des Visazwangs und den Fortgang der Verhandlun­gen über den Beitritt zur EU zu verspreche­n. Mit dem neuen Präsidials­ystem würden diese schneller umgesetzt werden. Das Europamini­sterium hat Erdogan im Zuge der Umbauten für das Präsidialr­egime abgeschaff­t.

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