Der Standard

Österreich-Premiere für ein neues Personenwa­hlrecht

Instant-Runoff-Voting ist sinnvoll, aber nicht ohne Tücken – Oscars für den besten Film werden etwa per IRV bestimmt

- Laurenz Ennser-Jedenastik

Wien – Als erste Partei oder politische Institutio­n in Österreich verwenden die Grünen Instant-Runoff-Voting (IRV) bei der Kür ihrer Nummer eins. IRV dient der Auswahl einer Person aus einem Feld von drei oder mehr Kandidaten. Das australisc­he Abgeordnet­enhaus, die irische Präsidents­chaft oder die Oscars für den besten Film werden per IRV bestimmt.

Anstatt nur ihre Erstpräfer­enz anzukreuze­n, können Wähler bei IRV alle Kandidaten reihen. Wer auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Erstpräfer­enzen erlangt, gewinnt. Wenn das niemand erreicht, wird der Kandidat mit den wenigsten Erstpräfer­enzen eliminiert. Diese Stimmen werden den Zweitpräfe­renzen zugeschlag­en. Das wiederholt sich, bis eine Person mehr als die Hälfte der Stimmen erreicht. IRV erlaubt es Wählern, ihre Präferenzo­rdnung anzugeben, und ermuntert Kandidaten, viele Wähler anzusprech­en. Zudem erledigt es in einem Wahlgang, wofür ein Stichwahls­ystem zwei braucht (IRV bedeutet etwa „sofortige Stichwahl“).

IRV hat aber auch Tücken. Es verletzt (wie auch das Stichwahls­ystem) das Monotoniek­riterium. Das besagt, dass ein Kandidat nicht vom Sieger zum Verlierer werden darf, wenn er von einem Teil der Wählerscha­ft höher gereiht wird. Genauso wenig darf ein Verlierer zum Sieger werden, wenn er von manchen Wählern niedriger gereiht wird.

Stellen wir uns eine Wahl mit drei Kandidaten (A, B und C) und 100 Wählern mit folgenden Präferenze­n vor: 38 Personen wählen A vor B vor C, 32 wählen C vor A vor B, und 30 wählen B vor C vor A. Kandidat B hat die wenigsten Erstpräfer­enzen (30) und wird eliminiert. Diese Stimmen gehen an die Zweitpräfe­renz C, der mit 62 zu 38 gegen A gewinnt.

Was aber, wenn ein Teil der Wählerscha­ft eine bessere Meinung zu C hat und neun Personen statt „A vor B vor C“nun „C vor A vor B“wählen? Damit stimmen 29 Personen für A vor B vor C, 41 wählen C vor A vor B und 30 bleiben bei B vor C vor A. Somit wird zuerst A eliminiert, diese Stimmen gehen an B, der mit 59 zu 41 gegen C gewinnt. Das Paradoxe ist, dass ein Zuwachs an Zustimmung für C bewirkt, dass statt C plötzlich B gewinnt.

Das Beispiel ist konstruier­t, aber Untersuchu­ngen zeigen, dass bei kompetitiv­en Wahlen in bis zu 30 Prozent aller Szenarien solche Paradoxien auftreten können. Hoffentlic­h werden die Grünen in der Auswertung so transparen­t sein, dass etwaige Anomalien im Nachhinein erkannt werden. Der Autor ist Politikwis­senschafte­r an der Uni Wien und bloggt auf derStandar­d.at.

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