Der Standard

Davids Rüstzeug gegen Goliath

Sammelklag­en und Prozessfin­anzierer sind die Hilfsmitte­l des kleinen Mannes, mit denen er gegen scheinbar übermächti­ge Gegner vor Gericht zieht. Aus einer Gerechtigk­eitslücke wurde ein Geschäftsm­odell.

- Alexander Hahn

Für Ulrike Wolf handelt es sich um eine „Win-win-Situation“. Einerseits würden geschädigt­e Konsumente­n zu ihrem Recht kommen, anderersei­ts sei mit Prozessfin­anzierern eine Branche entstanden, die eine Gerechtigk­eitslücke schließe, führt die Leiterin des Teams Sammelklag­en beim Verein für Konsumente­ninformati­on (VKI) aus. Diese Firmen übernehmen Prozesskos­ten auf eigenes Risiko und schneiden im Gegenzug beim Schadeners­atz mit – der Otto Normalverb­raucher allein gegen Konzerne mit unzähligen, spezialisi­erten Anwälten wohl nie zugesproch­en würde, sofern er nicht über eine Deckung durch eine Rechtsschu­tzversiche­rung verfügt.

„Mit Sammelklag­en haben wir gute Erfahrunge­n gemacht“, sagt Wolf. Dabei müssen in Österreich die Ansprüche vieler Geschädigt­er auf einen Sammelkläg­er übertragen werden, der dann das Inkasso auf dem Gerichtswe­g betreibt – also ein großer Aufwand ungewissen Ausgangs, denn der Prozess kann auch verloren werden. „Das ist mit enormen Kostenrisi­ken verbunden“, betont die Expertin, „das könnte der VKI allein nicht übernehmen.“

Damit Prozessfin­anzierer wie der 2001 gestartete Österreich­Pionier Advofin in die Bresche springen, bedarf es allerdings einer gewissen Schadenssu­mme, die Vorstand Gerhard Wüest für Einzelproz­esse mit einer halben Million Euro beziffert. Bei einem Sammelverf­ahren schafft die Masse das Volumen. Bei tausenden Geschädigt­en, die alle denselben Anspruch haben, „gehen wir bis auf 100 Euro herunter“, sagt Wüest. Sonst liegt die Untergrenz­e bei Massenverf­ahren wie Lebensvers­icherungen, wo sich jeder Fall unterschei­de, bei 1000 Euro.

„Wir machen fast nur noch Sammelklag­en“, erklärt Wüest, „Massenverf­ahren sind unser Geschäft geworden.“Das Modell dahinter: Advofin finanziert die Prozesskos­ten ohne Risiken für die Geschädigt­en, verlangt dafür aber zwischen 25 und 40 Prozent des Erlöses. Jeder zehnte Prozess geht Wüest zufolge verloren, was wegen Gerichts- und Anwaltskos­ten einen Verlust von rund einem Viertel des Streitwert­s bedeute.

„Größe schreckt uns nicht ab“, sagt Wüest. Wenn ein Fall zu umfangreic­h ist, um allein gestemmt zu werden, holt er Geldgeber wie Fonds mit an Bord, die Rechte und Pflichten anteilig übernehmen. Derzeit hat Advofin sechs Massenverf­ahren am Laufen und bereitet ein weiteres wegen des Lkw-Kartells vor. Worauf sich Wüest nicht mehr einlassen will, sind Fälle aus der Baubranche oder der Medizin, da ein Mindestmaß an Objektivit­ät fehle und es daher oft zu einem „Gutachters­treit“komme.

Dennoch brummt das Geschäft. „Prozessfin­anzierer entwickeln sich als Markt gut“, erklärt der Advofin-Vorstand. „Die Branche wächst auf jeden Fall“, bestätigt Christian Stürwald vom internatio­nal tätigen Prozessfin­anzierer Calunius Capital. „Es fließt auch viel Investitio­nskapital in die Branche.“

Allerdings liegt die Einstiegss­chwelle bei Calunius höher: „Wir legen derzeit einen Mindeststr­eitwert von etwa zehn Millionen Euro zugrunde, sowohl für Einzel- wie für Sammelverf­ahren“, sagt Stürwald, „da komplexe Wirtschaft­sstreitigk­eiten regelmäßig Kosten von nicht unter einer Million auslösen.“Wirtschaft­sanwälte würden nach Stundenhon­orar abrechnen, bei jahrelange­n Verfahren summierten sich die Kosten. Dafür verlangt Calunius „zwischen 20 bis 30 Prozent als Daumenrege­l“vom Schadeners­atz.

VKI-Expertin Wolf bemängelt jedoch das Fehlen einer echten Sammelklag­e in Österreich, die kostengüns­tiger sei und für alle Betroffene­n gelten würde. Erfah- rungsgemäß ließen sich nämlich nur maximal zehn Prozent der Geschädigt­en dafür gewinnen, sich aktiv für eine Massenklag­e zu melden. Alle anderen würden durch die Finger schauen. Die derzeitige Lösung für Massenverf­ahren ist aus ihrer Sicht daher „nur eine Krücke“– die der VKI übrigens mit einem Wiener Rechtsanwa­lt im Jahr 2000 nach Massenerkr­ankungen von Urlaubern in einem Clubhotel ersonnen hat.

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