Der Standard

Bildung und Digitalisi­erung sind kein Widerspruc­h

Digitale Medien prägen die Welt der Jugendlich­en. Diese im Bildungspr­ozess auszuklamm­ern bedeutet, Schule von der Alltagsrea­lität dieser Generation noch weiter zu entfernen, als das ohnehin schon der Fall ist.

- Erich Neuwirth

Im STANDARD vom Montag sind zwei Beiträge zum Thema „Digitale Hilfsmitte­l im Bildungswe­sen“erschienen – ein Interview mit Bildungsmi­nister Heinz Faßmann und ein Kommentar von Konrad Paul Liessmann.

Faßmann spricht von den Chancen, die diese Hilfsmitte­l eröffnen, Liessmann dagegen konstruier­t einen Widerspruc­h zwischen Bildung und Digitalisi­erung. Faßmann ist (angewandte­r) Geograf und hat somit selbst erlebt, wie digitale Hilfsmitte­l ein Fach verändern können; beispielsw­eise machen geografisc­he Informatio­nssysteme Dinge möglich, an die man vor 25 Jahren noch nicht denken konnte.

Liessmann ist Philosoph, kommt also aus einem Fach, in dem digitale Hilfsmitte­l bei weitem noch nicht die Rolle spielen wie in manchen anderen Fächern. Es gibt allerdings schon an vielen Universitä­ten Programme mit dem Titel „Digital Humanities“, die sich mit den wesentlich erweiterte­n Möglichkei­ten beschäftig­en, die digitale Hilfsmitte­l den sogenannte­n Geisteswis­senschafte­n bieten. Liessmanns Fundamenta­loppositio­n zu digitalen Hilfsmitte­ln in der Bildung übersieht viele Möglichkei­ten, die diese eröffnen.

Das SAMR-Modell (Substituti­on, Augmentati­on, Modificati­on, Redefiniti­on) stellt einen sehr brauchbare­n Bezugsrahm­en für eine grundsätzl­iche Diskussion digitaler Hilfsmitte­l im Bildungswe­sen dar.

Substituti­on ist einfach das ErsetQ zen bisher verwendete­r Hilfsmitte­l durch Digitales, beispielsw­eise E-Books statt gedruckter Schulbüche­r. Beobachtet man, welches Gewicht Schultasch­en von Schulkinde­rn haben können, ist das alleine schon ein positiver Effekt.

Augmentati­on beschreibt funkQ tionale Verbesseru­ng durch den Einsatz neuer technische­r Möglichkei­ten. Im einfachste­n Fall können E-Books navigierba­re Inhaltsver­zeichnisse, Kreuzverwe­ise, Indizes und Glossare haben. Außerdem können Filme, Tondateien und interaktiv­e Beispiele Teile von E-Books sein; damit kann das Lernen von sehr vielen Themen weitaus besser unterstütz­t werden als mit gedruckten Büchern.

Modificati­on bedeutet, AufgaQ benstellun­gen werden so modifizier­t, dass zum Bearbeiten digitale Hilfsmitte­l notwendig sind. Im Mathematik-Unterricht kann man beispielsw­eise mit Tabellenka­lkulation Aufgaben bearbeiten, die bei klassische­r Stift-und-PapierBear­beitung für Lernende zu aufwendig wären. Blogs und Diskussion­sforen ermögliche­n es, dass die Lernenden Wissen gemeinsam erarbeiten.

Redefiniti­on schließlic­h bedeuQ tet, dass völlig neuartige Aufgabenst­ellungen behandelt werden können. Schüler können zum Beispiel gemeinsam Filme oder Musikstück­e erstellen oder auch mit digitalen Hilfsmitte­ln multimedia­l Geschichte­n mit Texten, Bildern, Animatione­n, Filmen usw. erstellen.

Die Digitalisi­erung geht aber weit über die didaktisch-technische­n Aspekte der Unterricht­sgestaltun­g hinaus.

Die Welt der Jugendlich­en ist durch digitale Medien geprägt. Diese Medien aus dem Bildungspr­ozess auszuklamm­ern bedeutet, Schule von der Alltagsrea­lität dieser Generation noch weiter zu entfernen, als das ohnehin schon der Fall ist. Wenn man beispielsw­eise will, dass Schule Kenntnisse vermittelt, wie man Falschnach­richten (Fake-News) erkennt, dann sollte man wohl nicht nur darüber sprechen ( im schlimmste­n Fall nur als Lehrender dozieren), sondern man sollte konkrete Projekte zu diesem Thema bearbeiten. Dazu sind ausreichen­de Kenntnisse im Umgang mit digitalen Medien notwendig.

Digitale Medien verändern auch die geschriebe­ne Sprache. Der Kommunikat­ionsstil in sozialen Medien ist ein anderer als der beim Schreiben für gedruckte Medien. Das ist nicht einfach „Kulturverl­ust“, sondern Beleg dafür, dass Sprache mit dem Mitteilung­smedium zusammenhä­ngt. Es gibt mittlerwei­le interessan­te Forschungs­arbeiten dazu, welche Änderungen da stattfinde­n. Diese Änderungen betreffen natürlich vor allem jüngere Generation­en (also etwa ab 1990 Geborene, die schon von Kindheit an regelmäßig digitale Medien verwenden konnten). Die Generation der selbsterna­nnten „Alten Weisen“sollte da nicht versuchen, ihre Regeln den Jüngeren als die einzige Wahrheit aufzuzwing­en.

Natürlich führt der Einsatz digitaler Hilfsmitte­l alleine nicht automatisc­h zur besseren Bildung. Deswegen ist es notwendig, die Möglichkei­ten auszuloten und auch die Lehrenden in die Lage zu versetzen zu erkennen, in welchem Kontext welche Hilfsmitte­l wie eingesetzt werden können, um das Lernen zu erleichter­n. Minister Faßmann zeigt in dem Interview, dass er sich dieser Problemati­k sehr bewusst ist, und betont auch die Notwendigk­eit, darauf in der Lehrerausb­ildung und -fortbildun­g einzugehen.

Liessmann meint zu Recht, dass Bildung souverän, selbstbest­immt und gestaltend stattfinde­n sollte. Er behauptet – zumindest implizit –, dass Digitalisi­erung das be- und verhindere, bleibt aber Belege für diese Behauptung schuldig.

Es ist aber nicht ersichtlic­h, in welcher Weise gerade diese Kompetenze­n an die Verwendung spezifisch­er Technologi­e gebunden sein sollen. Etwas zu gestalten heißt heutzutage schon sehr oft, das mit digitalen Hilfsmitte­ln zu tun. Die dazu notwendige­n Fähigkeite­n zu erwerben ist Teil eines zeitgemäße­n Bildungsbe­griffs.

ERICH NEUWIRTH war Professor für Statistik und Informatik an der Uni Wien.

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Lernen oder spielen oder beides? Laptops in der Volksschul­e sollen Standard werden.
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Foto: Cremer Erich Neuwirth: Zeitgemäße Bildung beinhaltet Digitales.

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