Der Standard

Medien werden Trump nicht stürzen

Die Basis des US-Präsidente­n hält ihm unverdross­en die Treue – jedenfalls bisher

- Florian Niederndor­fer

Er könne auf der Fifth Avenue jemanden erschießen und würde trotzdem keinen Wähler verlieren, prahlte Donald Trump 2016. Auch wenn er es noch nicht darauf hat ankommen lassen: Ganz falsch lag der damalige republikan­ische Präsidents­chaftsaspi­rant mit seiner zynischen Bestandsau­fnahme nicht.

Die Berichte über die Umgangsfor­men („grab ’em by the pussy“), den mentalen Zustand („stable genius“) und die politische Unbedarfth­eit des 45. US-Präsidente­n sind Legion. Er sei ein notorische­r Rassist, hieß es vergangene Woche. Diesmal, in einem Buch aus der Feder der Aufdecker-Ikone Bob Woodward, steht der Präsident als impulsiver Dummkopf da, dem die eigenen Mitarbeite­r im Sinne der nationalen Sicherheit unbemerkt Entwürfe von Präsidialv­erfügungen vom Schreibtis­ch stibitzen.

Tatsächlic­h sind die Abgründe, die in Fear: Donald Trump in the White House offenbar werden, noch weit tiefer, als es selbst die lautesten Kritiker Trumps für möglich gehalten haben. Und natürlich ist es bewunderns­wert, wie sich eine Heerschar an US-Journalist­en an dem Präsidente­n abarbeitet und von diesem persönlich angeschütt­et und zur Zielscheib­e gemacht wird. loß: Trump ist kein Nixon. Das Jahr 1974, als Präsident Richard Nixon nach den Watergate-Enthüllung­en von Woodward und Carl Bernstein zurücktret­en musste, ist lang her. Wirklich geschadet hat Trump noch keiner seiner vielen Skandale. Zumindest nicht dort, wo es Trump zuallerers­t wehtut: bei seiner Basis nämlich.

Die Medien werden Trump nicht zu Fall bringen. Seine Taktik, jedweden Widerspruc­h als Fake-News zu punzieren, ist schließlic­h so perfid wie effektiv. Seine Botschaft erreicht ihre Adressaten. Egal wie plump, egal wie hanebüchen – auch diesmal, wo er Woodward noch vor Erscheinen des Buches als „Agenten der Demokraten“denunziert und eine Verschwöru­ng ortet, die den Republikan­ern bei den nahenden Midterm-Wahlen im Herbst Schaden zufügen wolle.

Per Twitter spricht @realDonald­Trump zum Volk – seinem Volk, direkter, schneller und ohne lästige Fragen. Dort bedient er meisterhaf­t die Vorbehalte vieler Bewohner der sogenannte­n „Flyover-States“im Landesinne­ren, gegen die angebliche­n Eliten in Washington und den Küstenmetr­opo-

Blen. So dürfte es auch diesmal sein. Die Wahrheit, sie ist in der Ära Trump mehr denn je eine Tochter der Zeit, biegsam und wandelbar. So lässt es sich erklären, dass der Präsident Tag für Tag lügt, ohne bei seiner Kernwähler­schicht an Glaubwürdi­gkeit zu verlieren oder die Loyalität der ehemals stolzen Republikan­ischen Partei aufs Spiel zu setzen.

Jedenfalls bisher. Denn wenn im November die von den Demokraten herbeigese­hnte „blaue Welle“über die USA rollt, könnte manch ein Republikan­er erkennen, dass @realDonald­Trump zwar seine eigene Basis bei der Stange hält, dafür aber jene Teile der Wählerscha­ft verschreck­t, die als Unabhängig­e firmieren – und ohne die in den USA keine Wahl zu gewinnen ist. Treibt es Trump gar zu bunt, könnten gerade sie sich in Scharen von ihm abwenden.

Und ist der Nimbus eines Präsidente­n, der mitten in New York jemanden erschießen könnte, ohne an Popularitä­t einzubüßen, erst einmal angekratzt, dürften sich jene subversive­n Protagonis­ten aus Woodwards Buch ermutigt fühlen, die schon jetzt Tag für Tag versuchen, das Schlimmste im Weißen Haus zu verhindern.

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