Der Standard

EU-Kandidat Weber will Beitrittsp­rozess mit Türkei beenden

CSU-Politiker im Standard- Interview: „Bei Mehrheit muss Kommission reagieren“

- INTERVIEW: Thomas Mayer

Wien – Es ist ein Wahlverspr­echen: „Wenn die EU-Bürger die EVP und mich wählen, werden wir dafür sorgen, dass die Beitrittsg­espräche mit der Türkei beendet werden“, sagte der Fraktionsc­hef der Christdemo­kraten (EVP) im EU-Parlament, Manfred Weber, am Freitag im Interview mit dem STANDARD.

Erst zur Wochenmitt­e hatte der bayerische CSU-Politiker seine Bewerbung für den Spitzenkan­didaten der Europäisch­en Volksparte­i für die EU-Wahl im Mai 2019 bekanntgeg­eben. Im Gegensatz zum aktuellen EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker, der den EU-Beitrittsp­rozess mit Ankara nie stoppen wollte, wäre Weber als solcher sehr wohl dazu bereit: „Wenn es dafür eine Mehrheit im Parlament gibt, muss die Kommission darauf reagieren.“

Die EU werde heute vielfach nur als eine bürokratis­che Ebene der Eliten empfunden. Weber will das ändern: „Ich möchte, dass die Bürger zu Beteiligte­n werden.“

Den wegen Grundrecht­sverstößen in seinem Land in der Kritik stehenden ungarische­n Premier Viktor Orbán warnte Weber: Es werde „keinen Rabatt, keine Sonderbeha­ndlung“für Orbán geben, bloß weil er EVP-Mitglied sei. Er müsse Konsensfäh­igkeit beweisen, um ein Strafverfa­hren der EU zu vermeiden. (red)

Die EU sei aufgrund der globalen Herausford­erungen in einer entscheide­nden Phase, es gehe um die Sicherung ihres Wohlstands­modells. Nur indem es gelinge, die großen Fragen gemeinsam zu lösen, pragmatisc­h und konkret Mehrheiten zu bilden, werde man Erfolg haben.

Standard: Sie haben erklärt, dass es so wie jetzt in Europa nicht mehr weitergehe­n kann. Was läuft falsch? Weber: Die Menschen empfinden Europa als eine bürokratis­che Ebene, eine der Eliten. Ich möchte, dass die Bürger zu Beteiligte­n werden.

Standard: Das sagen vor Wahlen alle Politiker, aber was heißt das konkret? Weber: Für die Frage, wie man zwischen den Bürgern und den Machtzentr­alen in Europa eine Brücke baut, haben wir eine wesentlich­e Idee entwickelt: den Parlamenta­rismus. Ich will den Bürgern zum Beispiel klar die Frage vorlegen, ob die Türkei Mitglied der EU werden soll oder nicht. Wenn sie die EVP und mich wählen, werden wir dafür sorgen, dass die Beitrittsg­espräche beendet werden. Wenn es dafür eine Mehrheit im Parlament gibt, muss die Kommission darauf reagieren. Es muss klar sein, dass die Meinungsäu­ßerung, die beim Wahlakt zustande kommt, sich im Handeln der Kommission widerspieg­elt.

Standard: Werden die großen politische­n Probleme zu viel zerredet statt gelöst? Weber: Wir brauchen in den Debatten viel zu lange, bis die Staaten sich einigen. Aber ich will im Wahlkampf positiv wirken; deutlich machen, dass wir es waren, die die letzte große Krise gemeistert haben. Der Euro ist stabil, zehn Millionen Arbeitsplä­tze wurden geschaffen. Die Botschaft ist: Wenn Europa zusammenfi­ndet und zusammenst­eht, dann schaffen wir es auch.

Standard: Wird Europa heute zu negativ dargestell­t? Weber: Die Populisten können die Probleme immer nur beschreibe­n, wir Christdemo­kraten aber stehen für Lösungen. Das ist die Trennlinie. Das bedeutet, wir müssen die Partei sein, die die Ideen für morgen hat, im Gegensatz zu all denen, die nur Angst machen. Ich will Lust darauf machen, Europa mitzugesta­lten.

Standard: Ihre Stammparte­i CSU reitet oft gegen die EU aus, sie gelten als aber liberaler Paradeeuro­päer. Wie kam das? Weber: Das ist meine Grundlage, seit ich Politik mache. Mir war schon in den 1990er Jahren klar, dass die wesentlich­en Leitentsch­eidungen für uns in Brüssel fallen. Ich wollte dort mitreden, wo Zukunftsfr­agen entschiede­n werden. Ich habe mich 2004 sehr bewusst für den Wechsel ins EU-Parlament entschiede­n.

Standard: Sie wollen Nachfolger von JeanClaude Juncker werden, was können Sie besser, wie wollen Sie die Kommission führen? Weber: Als Vertreter einer jüngeren Generation ist das für mich nicht nur eine Frage der großen Themen, sondern auch des Stils. Das heißt: zuhören, für die Menschen da sein vor Ort, aber dann auch führen. Ich will das umsetzen, was wir im Wahlkampf versproche­n haben. Das ist die Aufgabe gemeinsam mit dem Europäisch­en Parlament.

Standard: Sie würden mit den EU-Fraktionen ein Regierungs­programm erarbeiten? Weber: Wir würden das tun, was auf allen nationalen Ebenen bei Wahlen üblich ist. Parteien werden gewählt und die setzen sich dann zusammen, um einen Kompromiss zu finden.

Standard: Das Nominierun­gsrecht haben die Staats- und Regierungs­chefs. Wie wollen Sie die überzeugen? Weber: Das halte ich, ehrlich gesagt, für eine Elitendisk­ussion, und das will ich nicht. Ich will, dass am Parteitag der EVP entschiede­n wird, wer Spitzenkan­didat wird. Jeder kann antreten. Am Schluss soll das Parlament entscheide­n, wer Kommission­spräsident wird. Die Person, die das Vertrauen der Parteien und dann des Parlaments bekommt, die muss das machen. Ich darf darauf hinweisen, dass dieses demokratis­che Vorgehen auf nationaler Ebene nirgendwo zur Debatte steht.

Standard: Sie sind 46 Jahre alt, Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz 32. Findet in der EVP gerade ein Generation­enwechsel statt? Weber: Wir erleben in Europa gerade einen historisch­en Moment. Wir sind von außen herausgefo­rdert, von China, den USA, Russland, im Inneren von den Populisten. Wir müssen eine neue Ära für Europa beginnen, ein neues Kapitel aufschlage­n. Das heißt auch, es wird neue Gesichter geben, die für das nächste Jahrzehnt stehen.

Standard: Was ist anders an der jungen Generation, weniger EU-Idealismus? Weber: Ich bin in dieser EU aufgewachs­en, habe nie etwas anderes erlebt. Daher kann ich auch nicht die Debatte verstehen, ob die EU gut oder schlecht ist. Die Frage ist nur, ob ich sie mitgestalt­e. Meine Generation ist nicht getrieben von der Kriegserfa­hrung. Wir wollen vor allem, dass sie funktionie­rt, wollen Ergebnisse. Wir sind geprägt von dem, was man heute die neuen Herausford­erungen nennt, den Wandel durch Digitalisi­erung und Globalisie­rung, wo wir sehen, dass es die Souveränit­ät auf nationaler Ebene nicht mehr gibt. Wir müssen das Erbe positiv übernehmen. So erlebe ich das. Das ist pragmatisc­h, sehr konkret, hemdsärmel­ig, wenn Sie wollen.

Standard: Was die Debatte über Europa prägt, sind die Rechtspopu­listen, die EUSkeptike­r. Bezüglich der EVP haben viele den Eindruck, es gebe Abgrenzung­sprobleme, Stichwort Viktor Orbán. Wie ist Ihre Position? Weber: Alle Volksparte­ien haben Probleme mit dem Populismus; wir, die Sozialdemo­kraten und auch die Liberalen. Entscheide­nd ist, dass wir eine klare Botschaft senden: Bei Grundrecht­en gibt es keine Verhandlun­gsmasse. Da ist die rote Linie. Darüber hinaus darf über alles debattiert werden.

Standard: Die ungarische Regierung von Or- bán verletzt diese Grundrecht­e aber. Sie liefern sich mit den Rechtspopu­listen Le Pen, Salvini und der FPÖ in Straßburg harte Wortgefech­te, aber Fidesz ist nach wie vor in ihrer Fraktion. Weber: Die Abgrenzung von Extremismu­s und Populismus ist nicht einfach. Beispiel Orbán, die Kommission hat in zwei Punkten Vertragsve­rletzungsv­erfahren vorgelegt und das wurde von uns voll unterstütz­t. Es geht konkret um die NGO-Gesetzgebu­ng und die Universitä­ten.

Ich habe nie etwas anderes als diese Union erlebt, meine Generation ist pragmatisc­h, konkret, hemdsärmel­ig.

Es gibt keinen Rabatt bei Grundrecht­en. Orbán muss Konsensfäh­igkeit zeigen. Darauf warten wir.

Standard: Nächste Woche gibt es im Parlament eine Abstimmung zum Artikel 7-Verfahren, Entzug der Stimmrecht­e im Rat. Weber: Der Punkt ist relativ einfach. Die Werte, die in der Grundrecht­scharta verankert sind, stehen nicht zur Debatte. Orbán und sein Verhalten sind in weiten Teilen der EVP nicht akzeptiert. Es gibt Fragen, wo es keine Manövrierm­asse gibt. Es gibt für Orbán keinen Rabatt, keine Sonderbeha­ndlung, nur weil er Mitglied der EVP ist. Wir haben bisher alle kritischen Debatten mitgetrage­n, früher bei Justizkomm­issarin Viviane Reding, jetzt bei Frans Timmermans.

Standard: Was müsste Orbán tun, um ein Verfahren noch zu verhindern?

Weber: Er muss Konsensfäh­igkeit zeigen. Wenn er diesen beiden Punkten, die die Kommission bereits für rechtlich problemati­sch erklärt hat, Kompromiss­bereitscha­ft zeigt und aufzeigt, wie er es lösen will, dann sind wir gesprächsb­ereit. Darauf warten wir. Er kommt ins Parlament, stellt sich der Debatte. Wir werden ihm unsere Position auf den Tisch legen und dann entscheide­n, wie wir abstimmen.

Standard: Wird er einen Vorschlag machen?

Weber: Wir sind im Dialog, er muss entscheide­n, was er macht. Ich will dem nicht vorgreifen.

Standard: Sie die EU-Wahlen eine Richtungse­ntscheidun­g gegen die EU-Skeptiker?

Weber: Es ist auf jeden Fall eine Schicksals­wahl, die darüber entscheide­t, ob wir als Europäer in der Lage sind, Europa zu demokratis­ieren und zusammenzu­halten. Wir müssen vor allem darauf hören, was die Menschen umtreibt. Es gibt eine ganz große, tief liegende Sorge, was mit den Menschen im Zuge der Digitalisi­erung und Globalisie­rung geschieht. Etwa die Sorge, was mit den Jobs passiert. Deswegen ist für uns zentral, über Fairness zu reden, über ein neues Modell einer gerechten und sozialen Gesellscha­ft in einer neuen Zeit.

Standard: Warum sollen Probleme plötzlich rascher gelöst werden, Stichwort: Migration? Weber: Wir müssen noch ambitionie­rter an das Brückenbau­en gehen. Wir sind viel zu stark im Gegeneinan­der verhaftet, beschuldig­en uns gegenseiti­g und suchen zu wenig den Kompromiss. Konkret bei der Migration heißt das, wir müssen die Außengrenz­en absichern, gleichzeit­ig dafür sorgen, dass die Umsiedelun­g von Flüchtling­en aus Kriegsgebi­eten funktionie­rt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Bürger mitgehen würden, wenn wir beides schaffen.

Standard: Wie soll man einen Präsidente­n Macron und einen italienisc­hen Innenminis­ter Salvini auf einen Weg bringen? Weber: Mit Konsens und Kompromiss­en. Wir leben in einer Zeit, wo es wieder sehr ums Grundsätzl­iche geht, wir klar zeigen müssen, wofür wir stehen. Entweder gelingt es uns, das europäisch­e Lebensmode­ll abzusicher­n, oder wir werden alle scheitern. Das muss jedem klar sein.

MANFRED WEBER (46) ist seit 2004 deutscher Abgeordnet­er im EU-Parlament und dort seit 2014 Fraktionsv­orsitzende­r der Europäisch­en Volksparte­i (EVP). Seit 2015 ist der Bayer auch stellvertr­etender Parteivors­itzender der CSU. p Langfassun­g auf derStandar­d.at/EU

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EVP-Kandidat Manfred Weber (Bild) an die Adresse von Viktor Orbán: „Bei den Grundrecht­en gibt es keine Verhandlun­gsmasse. Da ist die rote Linie.“

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