EU-Kandidat Weber will Beitrittsprozess mit Türkei beenden
CSU-Politiker im Standard- Interview: „Bei Mehrheit muss Kommission reagieren“
Wien – Es ist ein Wahlversprechen: „Wenn die EU-Bürger die EVP und mich wählen, werden wir dafür sorgen, dass die Beitrittsgespräche mit der Türkei beendet werden“, sagte der Fraktionschef der Christdemokraten (EVP) im EU-Parlament, Manfred Weber, am Freitag im Interview mit dem STANDARD.
Erst zur Wochenmitte hatte der bayerische CSU-Politiker seine Bewerbung für den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei für die EU-Wahl im Mai 2019 bekanntgegeben. Im Gegensatz zum aktuellen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der den EU-Beitrittsprozess mit Ankara nie stoppen wollte, wäre Weber als solcher sehr wohl dazu bereit: „Wenn es dafür eine Mehrheit im Parlament gibt, muss die Kommission darauf reagieren.“
Die EU werde heute vielfach nur als eine bürokratische Ebene der Eliten empfunden. Weber will das ändern: „Ich möchte, dass die Bürger zu Beteiligten werden.“
Den wegen Grundrechtsverstößen in seinem Land in der Kritik stehenden ungarischen Premier Viktor Orbán warnte Weber: Es werde „keinen Rabatt, keine Sonderbehandlung“für Orbán geben, bloß weil er EVP-Mitglied sei. Er müsse Konsensfähigkeit beweisen, um ein Strafverfahren der EU zu vermeiden. (red)
Die EU sei aufgrund der globalen Herausforderungen in einer entscheidenden Phase, es gehe um die Sicherung ihres Wohlstandsmodells. Nur indem es gelinge, die großen Fragen gemeinsam zu lösen, pragmatisch und konkret Mehrheiten zu bilden, werde man Erfolg haben.
Standard: Sie haben erklärt, dass es so wie jetzt in Europa nicht mehr weitergehen kann. Was läuft falsch? Weber: Die Menschen empfinden Europa als eine bürokratische Ebene, eine der Eliten. Ich möchte, dass die Bürger zu Beteiligten werden.
Standard: Das sagen vor Wahlen alle Politiker, aber was heißt das konkret? Weber: Für die Frage, wie man zwischen den Bürgern und den Machtzentralen in Europa eine Brücke baut, haben wir eine wesentliche Idee entwickelt: den Parlamentarismus. Ich will den Bürgern zum Beispiel klar die Frage vorlegen, ob die Türkei Mitglied der EU werden soll oder nicht. Wenn sie die EVP und mich wählen, werden wir dafür sorgen, dass die Beitrittsgespräche beendet werden. Wenn es dafür eine Mehrheit im Parlament gibt, muss die Kommission darauf reagieren. Es muss klar sein, dass die Meinungsäußerung, die beim Wahlakt zustande kommt, sich im Handeln der Kommission widerspiegelt.
Standard: Werden die großen politischen Probleme zu viel zerredet statt gelöst? Weber: Wir brauchen in den Debatten viel zu lange, bis die Staaten sich einigen. Aber ich will im Wahlkampf positiv wirken; deutlich machen, dass wir es waren, die die letzte große Krise gemeistert haben. Der Euro ist stabil, zehn Millionen Arbeitsplätze wurden geschaffen. Die Botschaft ist: Wenn Europa zusammenfindet und zusammensteht, dann schaffen wir es auch.
Standard: Wird Europa heute zu negativ dargestellt? Weber: Die Populisten können die Probleme immer nur beschreiben, wir Christdemokraten aber stehen für Lösungen. Das ist die Trennlinie. Das bedeutet, wir müssen die Partei sein, die die Ideen für morgen hat, im Gegensatz zu all denen, die nur Angst machen. Ich will Lust darauf machen, Europa mitzugestalten.
Standard: Ihre Stammpartei CSU reitet oft gegen die EU aus, sie gelten als aber liberaler Paradeeuropäer. Wie kam das? Weber: Das ist meine Grundlage, seit ich Politik mache. Mir war schon in den 1990er Jahren klar, dass die wesentlichen Leitentscheidungen für uns in Brüssel fallen. Ich wollte dort mitreden, wo Zukunftsfragen entschieden werden. Ich habe mich 2004 sehr bewusst für den Wechsel ins EU-Parlament entschieden.
Standard: Sie wollen Nachfolger von JeanClaude Juncker werden, was können Sie besser, wie wollen Sie die Kommission führen? Weber: Als Vertreter einer jüngeren Generation ist das für mich nicht nur eine Frage der großen Themen, sondern auch des Stils. Das heißt: zuhören, für die Menschen da sein vor Ort, aber dann auch führen. Ich will das umsetzen, was wir im Wahlkampf versprochen haben. Das ist die Aufgabe gemeinsam mit dem Europäischen Parlament.
Standard: Sie würden mit den EU-Fraktionen ein Regierungsprogramm erarbeiten? Weber: Wir würden das tun, was auf allen nationalen Ebenen bei Wahlen üblich ist. Parteien werden gewählt und die setzen sich dann zusammen, um einen Kompromiss zu finden.
Standard: Das Nominierungsrecht haben die Staats- und Regierungschefs. Wie wollen Sie die überzeugen? Weber: Das halte ich, ehrlich gesagt, für eine Elitendiskussion, und das will ich nicht. Ich will, dass am Parteitag der EVP entschieden wird, wer Spitzenkandidat wird. Jeder kann antreten. Am Schluss soll das Parlament entscheiden, wer Kommissionspräsident wird. Die Person, die das Vertrauen der Parteien und dann des Parlaments bekommt, die muss das machen. Ich darf darauf hinweisen, dass dieses demokratische Vorgehen auf nationaler Ebene nirgendwo zur Debatte steht.
Standard: Sie sind 46 Jahre alt, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz 32. Findet in der EVP gerade ein Generationenwechsel statt? Weber: Wir erleben in Europa gerade einen historischen Moment. Wir sind von außen herausgefordert, von China, den USA, Russland, im Inneren von den Populisten. Wir müssen eine neue Ära für Europa beginnen, ein neues Kapitel aufschlagen. Das heißt auch, es wird neue Gesichter geben, die für das nächste Jahrzehnt stehen.
Standard: Was ist anders an der jungen Generation, weniger EU-Idealismus? Weber: Ich bin in dieser EU aufgewachsen, habe nie etwas anderes erlebt. Daher kann ich auch nicht die Debatte verstehen, ob die EU gut oder schlecht ist. Die Frage ist nur, ob ich sie mitgestalte. Meine Generation ist nicht getrieben von der Kriegserfahrung. Wir wollen vor allem, dass sie funktioniert, wollen Ergebnisse. Wir sind geprägt von dem, was man heute die neuen Herausforderungen nennt, den Wandel durch Digitalisierung und Globalisierung, wo wir sehen, dass es die Souveränität auf nationaler Ebene nicht mehr gibt. Wir müssen das Erbe positiv übernehmen. So erlebe ich das. Das ist pragmatisch, sehr konkret, hemdsärmelig, wenn Sie wollen.
Standard: Was die Debatte über Europa prägt, sind die Rechtspopulisten, die EUSkeptiker. Bezüglich der EVP haben viele den Eindruck, es gebe Abgrenzungsprobleme, Stichwort Viktor Orbán. Wie ist Ihre Position? Weber: Alle Volksparteien haben Probleme mit dem Populismus; wir, die Sozialdemokraten und auch die Liberalen. Entscheidend ist, dass wir eine klare Botschaft senden: Bei Grundrechten gibt es keine Verhandlungsmasse. Da ist die rote Linie. Darüber hinaus darf über alles debattiert werden.
Standard: Die ungarische Regierung von Or- bán verletzt diese Grundrechte aber. Sie liefern sich mit den Rechtspopulisten Le Pen, Salvini und der FPÖ in Straßburg harte Wortgefechte, aber Fidesz ist nach wie vor in ihrer Fraktion. Weber: Die Abgrenzung von Extremismus und Populismus ist nicht einfach. Beispiel Orbán, die Kommission hat in zwei Punkten Vertragsverletzungsverfahren vorgelegt und das wurde von uns voll unterstützt. Es geht konkret um die NGO-Gesetzgebung und die Universitäten.
Ich habe nie etwas anderes als diese Union erlebt, meine Generation ist pragmatisch, konkret, hemdsärmelig.
Es gibt keinen Rabatt bei Grundrechten. Orbán muss Konsensfähigkeit zeigen. Darauf warten wir.
Standard: Nächste Woche gibt es im Parlament eine Abstimmung zum Artikel 7-Verfahren, Entzug der Stimmrechte im Rat. Weber: Der Punkt ist relativ einfach. Die Werte, die in der Grundrechtscharta verankert sind, stehen nicht zur Debatte. Orbán und sein Verhalten sind in weiten Teilen der EVP nicht akzeptiert. Es gibt Fragen, wo es keine Manövriermasse gibt. Es gibt für Orbán keinen Rabatt, keine Sonderbehandlung, nur weil er Mitglied der EVP ist. Wir haben bisher alle kritischen Debatten mitgetragen, früher bei Justizkommissarin Viviane Reding, jetzt bei Frans Timmermans.
Standard: Was müsste Orbán tun, um ein Verfahren noch zu verhindern?
Weber: Er muss Konsensfähigkeit zeigen. Wenn er diesen beiden Punkten, die die Kommission bereits für rechtlich problematisch erklärt hat, Kompromissbereitschaft zeigt und aufzeigt, wie er es lösen will, dann sind wir gesprächsbereit. Darauf warten wir. Er kommt ins Parlament, stellt sich der Debatte. Wir werden ihm unsere Position auf den Tisch legen und dann entscheiden, wie wir abstimmen.
Standard: Wird er einen Vorschlag machen?
Weber: Wir sind im Dialog, er muss entscheiden, was er macht. Ich will dem nicht vorgreifen.
Standard: Sie die EU-Wahlen eine Richtungsentscheidung gegen die EU-Skeptiker?
Weber: Es ist auf jeden Fall eine Schicksalswahl, die darüber entscheidet, ob wir als Europäer in der Lage sind, Europa zu demokratisieren und zusammenzuhalten. Wir müssen vor allem darauf hören, was die Menschen umtreibt. Es gibt eine ganz große, tief liegende Sorge, was mit den Menschen im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung geschieht. Etwa die Sorge, was mit den Jobs passiert. Deswegen ist für uns zentral, über Fairness zu reden, über ein neues Modell einer gerechten und sozialen Gesellschaft in einer neuen Zeit.
Standard: Warum sollen Probleme plötzlich rascher gelöst werden, Stichwort: Migration? Weber: Wir müssen noch ambitionierter an das Brückenbauen gehen. Wir sind viel zu stark im Gegeneinander verhaftet, beschuldigen uns gegenseitig und suchen zu wenig den Kompromiss. Konkret bei der Migration heißt das, wir müssen die Außengrenzen absichern, gleichzeitig dafür sorgen, dass die Umsiedelung von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten funktioniert. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Bürger mitgehen würden, wenn wir beides schaffen.
Standard: Wie soll man einen Präsidenten Macron und einen italienischen Innenminister Salvini auf einen Weg bringen? Weber: Mit Konsens und Kompromissen. Wir leben in einer Zeit, wo es wieder sehr ums Grundsätzliche geht, wir klar zeigen müssen, wofür wir stehen. Entweder gelingt es uns, das europäische Lebensmodell abzusichern, oder wir werden alle scheitern. Das muss jedem klar sein.
MANFRED WEBER (46) ist seit 2004 deutscher Abgeordneter im EU-Parlament und dort seit 2014 Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP). Seit 2015 ist der Bayer auch stellvertretender Parteivorsitzender der CSU. p Langfassung auf derStandard.at/EU