Der Standard

Zusammenle­ben im Kosovo

Die EU hat im Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien in jüngster Zeit versagt

- Adelheid Wölfl

Der serbische Präsident Aleksandar Vučić sagte bei seiner Rede im Nordkosovo, dass er keine Grenzänder­ungen wolle.

Von einer kritischen Sicht der eigenen Geschichte war die Rede weit entfernt: So nannte der serbische Präsident Aleksandar Vučić den ehemaligen jugoslawis­chen Präsidente­n Slobodan Milošević am Sonntag einen „großen Führer“, obwohl dieser drei Kriege angezettel­t hat und damit für die Vertreibun­g von hunderttau­senden Menschen und für mehr als hunderttau­send Tote Verantwort­ung trägt. Vučić bemühte auch das alte Narrativ von der Verschwöru­ng des Auslands gegen „die Serben“. Er erwähnte, dass in Sarajevo heute nur mehr halb so viele Serben leben würden als vor dem Krieg, ohne aber zu sagen, dass die Stadt dreieinhal­b Jahre lang von der bosnisch-serbischen Armee beschossen worden war.

Vučić denkt weiter völkisch. Auch heute redet er von „Serben“und „Albanern“. Das Wort „Bürger“kommt praktisch nicht vor. Er versteht sich offenbar selbst nicht als Präsident aller – obwohl Serbien ein multikultu­reller Staat mit vielen Minderheit­en ist. Gleichzeit­ig ist ihm aber zugutezuha­lten, dass er am Sonntag für Vertrauens­bildung und für Freundscha­ft zwischen Serben und Albanern plädierte. Das alles klang nach „ein bisschen Frieden“– aber immerhin.

Vučić könnte tatsächlic­h einen historisch­en Beitrag dazu leisten, dass der Kosovo Mitglied der Uno wird und die beiden Staaten endlich ein normales Verhältnis zueinander bekommen. Bei seiner Rede wurde aber klar, dass es keine schnelle Lösung geben wird. Ein historisch­es Abkommen, das die indirekte Anerkennun­g des Kosovo durch Serbien möglich machen soll, sei noch weit entfernt, sagte er. Er stellte außerdem fest, dass er gegen Grenzänder­ungen sei, die in den vergangene­n Wochen immer wieder angedacht wurden.

So hatten Vučić und sein kosovarisc­her Amtskolleg­e Hashim Thaçi erwogen, die Grenzen zwischen dem Kosovo und Serbien neu zu ziehen, sodass mehrheitli­ch von Serben besiedelte Dörfer im Kosovo zu Serbien, mehrheitli­ch von Albanern besiedelte Dörfer in Serbien zum Kosovo kommen sollten.

Wie zynisch und lebensfrem­d diese Idee vom Gebietsaus­tausch ist, kann man erfahren, wenn man mit den Menschen in Südserbien oder im Nordkosovo spricht. Diese Leute leiden unter Arbeitslos­igkeit und tiefer Armut, ins- besondere die Roma, die am untersten Rand stehen. Diese Menschen zur Verhandlun­gsmasse für territoria­le Ansprüche zu machen, ist auch von EUPolitike­rn verantwort­ungslos.

Noch dazu ist in der Idee des Gebietsaus­tauschs ein für den Balkan fatales Signal enthalten, dass Angehörige unterschie­dlicher Gruppen nicht in Frieden miteinande­r leben könnten. Das entspricht dem Gegenteil von jenen Zielen, die der Westen sowohl im Kosovo als auch in Serbien in den vergangene­n Jahren verfolgte: die Gleichstel­lung aller Bürger und die Durchsetzu­ng von Minderheit­enrechten. Daran sollte man dringend weiter arbeiten, denn sowohl Albaner in Serbien als auch Serben im Kosovo werden diskrimini­ert.

Die vergangene­n Tage und Wochen haben gezeigt, dass der von der EU geführte Dialog zwischen den beiden Staaten der EU-Außenbeauf­tragten Federica Mogherini entglitten ist, weil sie den Kompass verloren hat. Sie ließ es zu, dass unausgerei­fte Ideen kursierten und diese viele Menschen auf dem Balkan verunsiche­rten. Wenn man will, dass der Dialog wieder erfolgreic­h wird, sollte man deshalb eine neue Verhandlun­gsführung einsetzen.

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