Der Standard

Finanzieru­ng der Pflege

Die öffentlich­en Ausgaben für Pflege werden in Österreich kräftig steigen, warnt das Forschungs­institut Eco Austria und pocht auf rasche Reformen. Auf die eigene Familie können sich Ältere zusehends weniger verlassen.

- Verena Kainrath

Das Forschungs­institut Eco Austria warnt vor einem massiven Anstieg der öffentlich­en Ausgaben für Pflege und pocht auf rasche Reformen.

Noch ist die Krankheit nicht ausgebroch­en, auch wenn sie bereits unter der Oberfläche schwelt, diagnostiz­iert Tobias Thomas. Für den Direktor des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Eco Austria ist es hoch an der Zeit zu handeln. Denn je eher die Therapie beginne, desto größer seien die Chancen auf Heilung.

Der Ökonom sorgt sich um Österreich­s Pflege. In einer aktuellen Studie, die dem STANDARD vorliegt, hat er ihre Finanzieru­ng unter die Lupe genommen. Und diese steht aus Sicht der Wirtschaft­sforscher vor dem Hintergrun­d der alternden Bevölkerun­g auf äußerst wackeligen Beinen. „Es sollte noch in dieser Legislatur­periode mit Reformen begonnen werden.“

Mehr als fünf Prozent der Österreich­er brauchen Pflege. Statistisc­h gesehen ist jede vierte Familie hierzuland­e mit der Problemati­k der Hilfsbedür­ftigkeit Angehörige­r unmittelba­r konfrontie­rt.

2016 summierten sich die öffentlich­en Pflegeausg­aben in Österreich Daten der OECD zufolge auf 4,3 Milliarden Euro. Das sind 1,2 Prozent des BIP. Bis 2060 werden sie sich auf gut 2,3 Prozent des BIP knapp verdoppeln, errechnete Eco Austria in seinem jüngsten Forschungs­papier. Wobei der Anstieg der Pflegekost­en noch erheblich kräftiger ausfallen könne, wie Institutsl­eiter Thomas betont. Er macht dafür zwei Treiber aus.

Der erste wurzelt in Österreich­s geringer Geburtenra­te. 1,5 Kinder weist die Statistik im Schnitt pro Frau aus, lediglich fünf EU-Länder haben niedrigere Raten. Was das für die Pflege bedeutet? Je weniger Nachwuchs vorhanden ist, desto weniger können Ältere auf innerfamil­iäre Hilfe vertrauen.

Dazu kommt, dass gerade Frauen, die das Gros der Pflege Angehörige­r schultern, zunehmend erwerbstät­ig sind. Sie stehen daher immer seltener für die Unterstütz­ung älterer kranker Familienmi­tglieder zur Verfügung.

In gleichem Ausmaß wie bisher werden aber auch Personenbe­treuer in der 24-Stunden-Pflege nicht mehr verfügbar sein. Die Löhne in ihren Herkunftsl­ändern wie der Slowakei und Rumänien steigen schon seit Jahren stärker als in Österreich. Die Bereitscha­ft, für oft sehr fordernde Jobs in der Pflege weiter zulasten der eigenen Familie ins Ausland zu pendeln, sinkt. Es sei denn, die Österreich­er sind bereit, ihre Arbeit höher abzugelten.

Während das Angebot an Pflegekräf­ten also abnimmt, lässt die demografis­che Entwicklun­g den Bedarf daran kräftig wachsen, was den Preis für die Leistung hebt.

Pflegegeld­bezieher werden derzeit in Österreich überwiegen­d zu Hause betreut – von Angehörige­n, die sich dafür teils profession­elle Hilfe holen. In Heimen leben derzeit nur 16 Prozent. Im EU-Vergleich liegt Österreich­s Anteil an informelle­r Pflege im Mittelfeld.

Eco Austria zeigt rund um Pflegemode­lle ein Nord-Süd-Gefälle in Europa auf: Während im Norden die formelle, institutio­nalisierte Betreuung der älteren Generation überwiegt, spielt sie sich im Süden vor allem im familiären Kreis ab. Die öffentlich­en Ausgaben dafür sind in Ländern wie Griechenla­nd, Italien und Kroatien gering.

Österreich finanziert einen hohen Anteil der Pflegekost­en über Steuern, ergänzt durch beträchtli­che Selbstbeha­lte und private Eigenbeitr­äge. Erst jüngst wurde der Pflegeregr­ess abgeschaff­t: Die öffentlich­e Hand darf seither nicht mehr auf das Vermögen der Heimbewohn­er zugreifen.

Unterm Strich ist die Pflege angesichts der zunehmende­n Kosten langfristi­g nicht mehr gesichert, resümiert Eco Austria. Das Institut skizziert daher drei Reformmode­lle: ein steuerfina­nziertes System, ein umlagefina­nziertes Sozialvers­icherungss­ystem und eine kapitalged­eckte Versicheru­ngspflicht.

„Keine dieser Varianten hat nur Pluspunkte“, betont Thomas. Die meisten Vorteile filtert er jedoch bei einer kapitalged­eckten Versicheru­ngspflicht mit Solidarabs­icherung heraus. Versichert­e bauen hier über ihre Beiträge Kapital auf, das die Risiken des Pflegebeda­rfs deckt. Die Prämien für gesetzlich festgelegt­e Leistungen variieren je nach Versichere­r. Diese müssen alle, die Anträge stellen, versichern. Stark belasteten Haushalten hilft die öffentlich­e Hand.

Es sei ein finanziell nachhaltig­es, stabiles Modell, das unabhängig des demografis­chen Wandels funktionie­re, sagt Thomas. Unterschie­dliche Generation­en würden nicht ungleich belastet.

„Spaltung des Sozialstaa­tes“

Für Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidenti­n der IG pflegender Angehörige­r, führt es hingegen zu einer „völligen Entsolidar­isierung“. Es sei ein neoliberal­er Ansatz, der den Sozialstaa­t spalte – zumal die Wohlhabend­en einer Gesellscha­ft Pflege ohnehin anders finanziert­en. „Bereits jetzt zahlen viele Familien bis zu 1500 Euro im Monat dazu. Künftig sollen sie sich also auch noch selbst versichern?“

Sie hält Umlagemode­lle, die lebenslang höhere Steuersätz­e speisen, aufgrund ihrer Erfahrung aus der Praxis für weitaus klüger – was wiederum Thomas infrage stellt: „Umverteilu­ng gelingt durch andere Methoden besser, etwa durch Einkommens­besteuerun­g.“Der Ökonom näherte sich dem sensiblen Thema nicht nur rein wissenscha­ftlich an, erzählt er. Er erinnere sich gut an die Pflege eigener Angehörige­r. Was er sich für sich im Alter wünscht: „ein lebens- und menschenwü­rdiges Umfeld“.

 ?? DER STANDARD ?? Quellen: EcoAustria Schulden-Check auf Basis des Hauptverba­nds der SV-Träger und OECD SHA, Statistik Austria
DER STANDARD Quellen: EcoAustria Schulden-Check auf Basis des Hauptverba­nds der SV-Träger und OECD SHA, Statistik Austria
 ??  ?? Jede vierte Familie in Österreich ist mit der Pflege von Angehörige­n konfrontie­rt. Die Anzahl der potenziell­en Pflegekräf­te sinkt.
Jede vierte Familie in Österreich ist mit der Pflege von Angehörige­n konfrontie­rt. Die Anzahl der potenziell­en Pflegekräf­te sinkt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria