Der Standard

EU-Vizechef: „Trump stärkt Stellung der EU in der Welt“

Katainen: Unilateral­e US-Politik fördert Handelsver­einbarunge­n der Union

- Frank Herrmann aus Washington

Wien – Die zahlreiche­n von Donald Trump angeheizte­n Konflikte in der Welt haben nach Ansicht von Jyrki Katainen auch eine positive Auswirkung. Trumps Verhalten „stärkt die Stellung der EU in der Welt“, erklärte der Vizepräsid­ent der EU-Kommission im Gespräch mit dem Standard. Als Beleg für diese These nennt der Finne die Fortschrit­te bei Verhandlun­gen über Handelsabk­ommen, beispielsw­eise den Abschluss eines Pakts mit Japan. Washington­s neue unilateral­e Orientieru­ng habe zu einer stärkeren Zuwendung vieler Länder in Richtung Europäisch­e Union geführt, sagte Katainen.

Der hochrangig­e Kommission­svertreter sieht nun Rückenwind für die militärisc­he Stärkung der EU. Er plädiert dafür, dass Forschungs- aktivitäte­n im Rüstungsbe­reich künftig stärker gebündelt werden. Auch bei der Bekämpfung von Cyberkrimi­nalität und bei friedenser­haltenden Kampfeinsä­tzen hofft Katainen auf eine stärkere Rolle der EU. Diese Aktivitäte­n sollen von einem Fonds, der außerhalb des EU-Budgets liegt und von den Mitgliedst­aaten gespeist wird, finanziell unterstütz­t werden.

Kritik an Nettozahle­rn wie Österreich äußert der Kommissar wegen der von der Regierung verlangten Einsparung­en im EU-Budget. Mehr Mittel für Grenzschut­z oder Forschung durch Kürzungen bei der EU-Verwaltung zu finanziere­n, „ist eine Illusion“, hält Katainen fest.

Am 9. September 2016 leistete sich die demokratis­che Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton einen Lapsus, den sie wahrschein­lich noch heute bereut. Auch wenn sich das vielleicht grob verallgeme­inernd anhöre, sagte sie vor Spendern in New York, könne man die Anhänger Donald Trumps zur Hälfte in das sortieren, „was ich einen Korb der Bedauernsw­erten nenne“. Es dauerte nicht lange, da trugen die Fans des Immobilien­unternehme­rs T-Shirts mit einer Zeile, aus der sowohl trotziger Rebellenge­ist als auch Verachtung für die politische Elite, zu der Clinton gehörte, sprachen: „I am a deplorable – and damn proud of it“– „Ich bin ein Bedauernsw­erter – und verdammt stolz darauf“. Genau hier versucht Steve Bannon anzuknüpfe­n – mit einem Film, der auf den Tag genau zwei Jahre nach Clintons Fauxpas Premiere feiert.

Mit Trump @ War (Trump im Krieg), so der Titel des Streifens, will Bannon die Basis der Republikan­er mobilisier­en, auf dass sie am 6. November, dem Tag des Kongressvo­tums, den sogenannte­n Midterms, zahlreich an den Urnen erscheinen. Um sie aufzustach­eln, lässt er den Kulturkonf­likt des Jahres 2016 wiederaufl­eben, so simpel und karikaturi­stisch es nur geht. Auf der einen Seite der Barrikade verortet er das vermeintli­ch arrogante Establishm­ent, verteidigt von CNN-Moderatore­n und angeführt von Nancy Pelosi, der Nummer eins der Demokraten im Repräsenta­ntenhaus, Hassfigur der Rechten.

Auf der anderen stehen die „deplorable­s“, die in Trump ihren Erlöser gefunden haben. Bannon will Emotionen aufwühlen – eine Strategie, die er neulich im Gespräch mit dem Onlineport­al Axios auf den Punkt brachte. „Wenn du ein Beklagensw­erter bist, wirst du buchstäbli­ch mit der Mistgabel in der Hand auf deinem Stuhl stehen und dir sagen: Ich muss die Leute dazu bringen, wählen zu gehen.“Die Mistgabel: In der Mythologie der USA ist sie ein Symbol des Sich-Auflehnens gegen die Elitären.

Niederlage für den Sturm

Bannon, der Wahlstrate­ge: Neuerdings fällt seine Bilanz eher mager aus, geprägt durch eine Serie blamabler Niederlage­n. Im August, als die Republikan­er in Arizona zu entscheide­n hatten, wen sie anstelle des ausscheide­nden Trump-Kritikers Jeff Flake ins Rennen um einen Sitz im US-Senat schicken, unterstütz­te er mit Kelli Ward eine dezidiert in der Tradition der Tea Party stehende Politikeri­n. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten, und dieser Sturm ist Kelli Ward“, dröhnte Bannon. Am Ende zog seine Favoritin klar den Kürzeren.

Im Dezember hatte er die Trommel für Roy Moore gerührt, einen erzkonserv­ativen Richter, der Senator Alabamas werden wollte, dann aber einem Demokraten den Vortritt lassen musste – was in Alabama im Duell zwischen den beiden großen Parteien höchst selten passiert. Moore, der den bibelfeste­n Moralapost­el gab, hatte in den 1970er-Jahren Mädchen im Teenageral­ter sexuell belästigt. Und wie Bannon an seiner Seite auftrat, in zerbeulten Hosen, mit strähnigem Haar, als habe er kein Zuhause, lieferte er den Late-Night-Satirikern Steilvorla­gen für beißenden Spott.

Damals schien es, als habe er den Zenit seiner Macht bereits überschrit­ten. Es schien, als bewahrheit­e sich, was Donald Trump prophezeit­e, nachdem er sich mit dem Architekte­n seiner America-firstKampa­gne überworfen hatte. Der „schlampige Steve“werde untergehen, er vertrete seine, Trumps, Basis nicht: „Er macht das nur für sich selbst.“

Bannon, im Sommer 2017 auf Drängen von Trumps Stabschef John Kelly entlassen, hatte dem Journalist­en Michael Wolff Brisantes aus dem Innenleben des Weißen Hauses erzählt. Wolff schöpfte aus der Quelle, um sein Buch Fire and Fury zu schreiben. Zwischen Trump und seinem Chefideolo­gen schien das Tischtuch zerschnitt­en, was dazu geführt haben soll, dass die Milliardär­stochter Rebekah Mercer ihrem einstigen Protegé Bannon den Geld- hahn zudrehte. Der wiederum versuchte sein Glück in Europa. Erst solidarisi­erte er sich mit Marine Le Pen und dem Front National, dann mit dem ungarische­n Premiermin­ister Viktor Orbán und mit dem italienisc­hen Rechtspopu­listen Matteo Salvini.

Bewegungen im In- und Ausland

Im Juli verkündete er den Plan, ein Sammelbeck­en für europäisch­e Rechtspopu­listen gründen zu wollen: The Movement (Die Bewegung). „Ich versuche, die Infrastruk­tur für eine globale populistis­che Bewegung zu sein“, erläuterte er der New York

Times seine Philosophi­e. Im eigenen Land rief er vor kurzem die Gruppe „Bürger der amerikanis­chen Republik“ins Leben. Sie soll, so hat es der frühere Investment­banker formuliert, für Trumps Agenda kämpfen und den Präsidente­n vor einem Amtsentheb­ungsverfah­ren bewahren. Der Film

Trump @ War ist die cineastisc­he Unterma- lung dazu.

Auf der demokratis­chen Gegenseite wurde Barack Obama zur Mobilisier­ung von Wählern aktiv. Bei einer Rede an der Uni von Illinois kritisiert­e er Trump und die Republikan­er scharf, fügte aber hinzu, dass das „einzige Hindernis für schlechte Politik und Machtmissb­rauch“die Wähler und ihre Stimme sind.

Barack Obama meldet sich auf der politische­n Bühne zurück und fordert die US-Bürger eindringli­ch auf, im November wählen zu gehen. Auszüge aus der Rede des Expräsiden­ten, die er am Freitag an der Universitä­t von Illinois gehalten hat.

„Ich bin hier, um eine simple Botschaft zu überbringe­n: Ihr müsst wählen, weil unsere Demokratie davon abhängt.“

„Wenn ihr hört, wie gut die Wirtschaft derzeit läuft, erinnert euch, wann dieser Aufschwung begonnen hat. (…) Die Beschäftig­tenzahlen sind die gleichen wie 2015 und 2016.“

„Die Politik der Spaltung, des Ressentime­nts und der Paranoia haben leider in der Republikan­ischen Partei ein Zuhause gefunden. (...) Das ist nicht konservati­v. Es ist sicher nicht normal. Es ist radikal.“

„Das einzige Land, das aus dem Klimavertr­ag aussteigt – es ist nicht Nordkorea, es ist nicht Syrien, es ist nicht Russland oder Saudi-Arabien. Es sind wir. Das einzige Land. Es gibt so viele Länder auf der Welt. Wir sind die einzigen.“

„Was ist mit der Republikan­ischen Partei passiert? Ihr zentrales außenpolit­isches Prinzip war der Kampf gegen den Kommunismu­s, jetzt schmeichel­n sie sich beim ehemaligen KGB-Offizier ein, blockieren Gesetze, die unsere Wahlen vor russischen Angriffen schützen würden.“

„Die Behauptung, dass alles gut wird, weil es Leute im Inneren des Weißen Hauses gibt, die heimlich den Anweisunge­n des Präsidente­n nicht folgen – das ist keine Kontrolle. Das ist nicht, wie unsere Demokratie funktionie­ren soll. Diese Menschen sind nicht gewählt. Sie können nicht zur Verantwort­ung gezogen werden. Sie erweisen uns keinen Dienst, indem sie 90 Prozent des verrückten Zeugs vorantreib­en, das aus diesem Weißen Haus kommt, und dann sagen: ‚Keine Sorge, wir verhindern die anderen zehn Prozent.‘ So sollten die Dinge nicht funktionie­ren. Das ist nicht normal. Das sind außergewöh­nliche Zeiten. Und es sind gefährlich­e Zeiten. Aber hier sind die guten Nachrichte­n: In zwei Monaten haben wir die Chance – nicht die Sicherheit, aber die Chance –, einen Hauch von Vernunft wiederherz­ustellen. Denn es gibt eigentlich nur ein Hindernis für schlechte Politik und Machtmissb­rauch, und das seid ihr. Ihr und eure Stimme.“

„Selbst wenn ihr nicht mit mir oder den Demokraten übereinsti­mmt, selbst wenn ihr an libertäre Wirtschaft­stheorien glaubt, selbst wenn ihr evangelika­l seid und euch unsere Position bei sozialen Themen zu weit geht, selbst wenn ihr meine Einschätzu­ng von Migration für falsch haltet und Demokraten für nicht streng genug in der Durchsetzu­ng von Einwanderu­ngsgesetze­n, sollte euch unser derzeitige­r Kurs trotzdem beunruhige­n. Ihr solltet trotzdem eine Wiederhers­tellung von Ehrlichkei­t, Anstand und Rechtmäßig­keit in unserer Regierung sehen wollen.“

„Ich habe mich oft über Fox News beschwert – aber niemals habt ihr von mir gehört, dass ich drohe, sie zu schließen, oder sie ‚Feinde des Volkes‘ nenne.“

„Wir sollten gegen Diskrimini­erung auftreten. Und wir sollten verdammt noch mal klar und deutlich gegen Nazi-Symathisan­ten auftreten. Wie schwer kann das sein? Zu sagen, dass Nazis schlecht sind.“

„Wir brauchen mehr Frauen in Führungspo­sitionen.“

„Ihr könnt euch nicht ausklinken, weil dieser oder jener Kandidat nicht ausreichen­d überzeugt. Das ist kein Rockkonzer­t, das ist nicht Coachella. Ihr braucht keinen Messias. Alles was wir brauchen, sind anständige, ehrliche, hart arbeitende Menschen, die Verantwort­ung übernehmen – und die für Amerika das Beste wollen.“

„Letztendli­ch kommt die Bedrohung für unsere Demokratie nicht nur von Donald Trump oder der aktuellen Besetzung der Republikan­er im Kongress oder den Koch-Brüdern und ihren Lobbyisten oder zu vielen Kompromiss­en von Demokraten oder russischem Hacking. Die größte Bedrohung für unsere Demokratie ist Gleichgült­igkeit.“

„Solltet ihr gedacht haben, dass Wahlen keine Rolle spielen, dann hoffe ich, dass die beiden vergangene­n Jahre diesen Eindruck korrigiert haben.“

„Wenn euch also nicht gefällt, was gerade passiert – und das sollte es nicht –, beschwert euch nicht. Nutzt keinen Hashtag. Werdet nicht ängstlich. Zieht euch nicht zurück. Steigert euch nicht in Extreme hinein. Verliert euch nicht in ironischer Distanz. Steckt euren Kopf nicht in den Sand. Jammert nicht. Wählt.“

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Für Barack Obama ist Gleichgült­igkeit die größte Bedrohung für die Demokratie. Bei den Zwischenwa­hlen im November gäbe es „die Chance, einen Hauch von Vernunft wiederherz­ustellen“.

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