Der Standard

Wahl in Schweden im Zeichen der Flüchtling­spolitik

Premier Löfven appelliert an „Anstand“der Wähler

- Gianluca Wallisch

Stockholm – Mehr als 100 Jahre dauerte die Dominanz der Sozialdemo­kraten in Schweden an – doch am Sonntag stand diese Vormachtst­ellung auf der Kippe: Fast 7,5 Millionen Stimmberec­htigte waren aufgerufen, einen neuen Reichstag zu wählen, und schwierige­r denn je war im Vorfeld eine Einschätzu­ng, wie die politische Landschaft Schwedens ab Montag aussehen würde.

Halbwegs gesichert erschien bis Redaktions­schluss am frühen Sonntagabe­nd lediglich die These, dass keine Parteienal­lianz – und schon gar keine Einzelpart­ei – eine absolute Stimmenmeh­rheit schaffen würde. Doch Minderheit­sregierung­en sind in Skandinavi­en üblich, so regierte auch zuletzt Rot-Grün in Schweden ohne parlamenta­rische Mehrheit.

Ebenfalls sicher konnten Wähler und Politiker davon ausgehen, dass die Schwedende­mokraten mit ihrer rechten Politik gegen Flüchtling­e punkten und wohl das beste Ergebnis ihrer über 30-jährigen Geschichte einfahren würden. 2014 hatten sie 12,9 Prozent erreicht – zuletzt wurden ihnen Chancen auf ein Plus von rund fünf Prozentpun­kten eingeräumt.

Ablehnung: Ja, aber ...

Zwar versichert­en beide großen Blöcke links und rechts der politische­n Mitte bis zuletzt sehr deutlich, nicht direkt mit der für ihre rechtsextr­emistische­n Wurzeln und ihre strenge Einwanderu­ngspolitik kritisiert­en Partei zusammenar­beiten zu wollen. Mit glatter, strikter Ablehnung hielten sich beide Allianzen dennoch zurück – denn die Schwedende­mokraten könnten für eine Minderheit­sregierung egal welcher Parteien bei Abstimmung­en im Parlament dringend benötigte Mehrheitsb­eschaffer werden.

Der sozialdemo­kratische Regierungs­chef Stefan Löfven war jedenfalls bei seiner Stimmabgab­e am Sonntag sehr deutlich: „Bei dieser Wahl geht es um Anstand.“(red)

Schweden, der Parade-Wohlfahrts­staat. Schweden, das Vorbild an Pragmatism­us und Besonnenhe­it in Politik und Gesellscha­ft. Doch mit der Flüchtling­skrise 2015 kippte die Stimmung in der Bevölkerun­g. Und zwar so deutlich, dass sogar die regierende­n Sozialdemo­kraten eine scharfe Rechtskurv­e hinlegten, um die ausländerf­eindlichen Schwedende­mokraten auf Distanz zu halten – galten sie doch als ultimative Gefahr für die Zukunft des Landes. Und so blickte das ganze liberale Europa voller Nervosität am Sonntag auf die Wahl in Schweden.

Dabei täte allen ein wenig mehr Gelassenhe­it gut. Denn so stark sich das Pendel in Europa momentan auch nach rechts bewegen mag: Es wird wieder zurückschw­ingen. Und möglicherw­eise wird es gar nicht so lange dauern, bis es so weit ist. Ein erstes Beispiel ist Frankreich­s Rechte unter Marine Le Pen, die tief in die Krise gestürzt ist, nachdem klargeword­en war, wie wenig Substanz ihre Politik zu bieten hat. Und in Italien reitet Matteo Salvini zwar noch auf einer Erfolgswel­le. Doch schon bald sollte den Italienern klar werden, dass man nur mit Hass gegen Flüchtling­e und Demagogie gegen die EU kein Land regieren kann.

Die Kräfte der Vernunft werden wieder stark genug werden, um sich dem Rechtspopu­lismus erfolgreic­h in den Weg zu stellen. Auch um den Preis, dass dafür noch viel Zeit verloren wird, die besser genützt wäre, würde man an Lösungen arbeiten statt an der Pflege von Feindbilde­n.

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