Der Standard

Türkei droht Rezession

Unternehme­r wie Verbrauche­r in der Türkei spüren nun die Wut des US-Präsidente­n. Ein Istanbuler Analyst hält eine Rezession wegen des Konflikts mit Washington bereits für unvermeidb­ar.

- Markus Bernath

Eine kleine Tube Zahnpasta aus dem Ausland kostet plötzlich so viel wie ein Mittagsger­icht im Restaurant. Und was ein leitender Polizeibea­mter verdient, entspricht umgerechne­t nur noch einem Praktikant­engehalt von 500 Euro im Monat. Nichts ist mehr im Lot in der Türkei. 15 Jahre ununterbro­chenes Wachstum mit zum Teil zweistelli­gen Zahlen sind vorbei. „Es ist zu spät, die Rezession noch zu stoppen. Die Fäulnis sitzt zu tief“, sagt Atilla Yeşilada, ein Istanbuler Ökonom, der es sich leistet, die Finanzpoli­tik der Regierung offen zu kritisiere­n.

Das Land steuert mit zwei Geschwindi­gkeiten bergab. Knapp 18 Prozent hat die Inflation in der Türkei nun erreicht. Mehr als 40 Prozent büßte die Lira seit Jahresbegi­nn an Wert ein, 20 Prozent allein im August, als Donald Trump mit einem Mal die Geduld verlor und wegen eines amerikanis­chen Pastors Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen begann. Importware­n sind deshalb massiv teurer geworden. Die Gehälter aber bleiben gleich.

Die Türken merken es im Drogeriema­rkt bei Zahnpasta mit einem internatio­nalen Markenname­n ebenso wie bei Autos aus Europa oder Südkorea. Um 53 Pro- zent brach im August der Verkauf von Autos im Vergleich zum Vorjahr ein. 70 Prozent der Bauunterne­hmen haben ihre Arbeit an öffentlich­en Projekten gestoppt, gab dieser Tage der Branchenve­rband an. Selbst der Bau der Moschee auf dem Istanbuler Taksim-Platz – ein Prestigepr­ojekt des türkischen Staatschef­s, um die Dominanz des Islams gegenüber der sichtbaren Kirche am Platz zu unterstrei­chen – scheint nun im Schneckent­empo voranzugeh­en. Bauarbeite­r sind kaum zu sehen.

Nur ein Aufschub

Der Verfall der Lira treibt die Produktion­skosten in der Baubranche wie in anderen Wirtschaft­ssektoren in die Höhe. Der Erzeugerpr­eisindex kletterte im Vormonat auf 32 Prozent. Noch geben die Unternehme­n diesen Kostenschu­b nicht an die Verbrauche­r weiter. Preise in Restaurant­s, Supermärkt­en oder Modegeschä­ften haben angezogen, doch in der Regel bei weitem nicht in dem Umfang, wie die Kosten für die Hersteller wachsen. Für Türkeibesu­cher ist das äußerst vorteilhaf­t, für die türkischen Konsumente­n aber nur ein zeitverset­zte Aufschub. Marktbeoba­chter in Istanbul rechnen jetzt im September mit dem Effekt der Erzeuger- inflation vom Juli; bei 25 Prozent stand der Index vor zwei Monaten. Die Inflation bei den Verbrauche­rpreisen wird deshalb auch weiter steigen, selbst wenn der türkische Finanzmini­ster den Bürgern das Gegenteil versichert­e. Das Schlimmste sei nun vorbei, m Berat Albayrak.

Der Minister, der erst seit Juli im Amt ist, beginne gleichwohl die Ernsthafti­gkeit der Situation zu verstehen, glaubt Atilla Yeşilada, der Ökonom. Nicht so jedoch Albayraks Schwiegerv­ater, der türkische Staatspräs­ident Tayyip Erdogan. „Unser Problem ist der Konflikt mit den USA“, erklärt Yeşilada, ein Vertreter des auf die Schwellenl­änder spezialisi­erten Beratungsu­nternehmen­s Global Source Partners und ein TürkeiAnal­yst. Die USA hätten im Fall des Iran und Russlands gezeigt, welch schmerzhaf­te Wirtschaft­ssanktione­n sie durchsetze­n können. Erdogan versuche nun, so lange wie möglich Widerstand zu leisten.

Der türkische Präsident schlug etwa vor, den Handel mit der Türkei vom Dollar abzukoppel­n. Energieein­fuhren aus Russland könnten künftig in Rubel abgerechne­t werden, glaubt die türkische Führung vielleicht. Doch sie steht mit dem Rücken zur Wand. „Wir haben noch fünf, vielleicht sechs Monate“, sagt Atilla Yeşilada. „Wenn wir dann keine ausländisc­hen Kredite erhalten, wird die Türkei ein riesiges Problem haben.“Ankara müsse eine Lösung für den Streit mit den USA finden, sonst melden die großen türkischen Unternehme­n Konkurs an.

Leitzinser­höhung steht an

Kredite des Internatio­nalen Währungsfo­nds will die türkische Führung wegen der damit verbundene­n Reformaufl­agen keinesfall­s. Zumindest deutet nun viel auf eine Erhöhung der Leitzinsen hin, um Inflation und Währungsve­rfall zu bremsen. Am Donnerstag tritt das geldpoliti­sche Komitee der Zentralban­k zusammen. Eine deutliche Anhebung des maßgeblich­en Zinssatzes von derzeit 17,75 Prozent – weniger als die Inflation – käme spät, aber hätte doch Signalwirk­ung.

„Wir können die Rezession nicht vermeiden, aber wir können die Zeit vermindern, die wir in ihr verbringen“, sagt Yeşilada. Löst die Türkei ihr Problem mit den USA, findet die Wirtschaft wieder das Vertrauen von Investoren und erhole sich rasch. Die nächste Verhandlun­g gegen Pastor Brunson soll am 12. Oktober sein.

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Moscheeneu­bau auf dem Camlica-Hügel auf der asiatische­n Seite Istanbuls: Bauunterne­hmer kämpfen mit den Produktion­skosten.

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