Der Standard

„Vieles im Betrieb grenzt an Selbstausb­eutung“

Wie ist es um die Wiener Clubkultur bestellt? Veranstalt­erin Marlene Engel steht für ein zeitgenöss­isches Programm. Das hat es unter dem Druck von Auflagen und steigenden Mieten nicht leicht – doch die Szene pulsiert.

- Michael Wurmitzer

Ende Juni haben Neos und Grüne im Wiener Gemeindera­t einen Antrag auf eine Studie zur Nachtwirts­chaft der Bundeshaup­tstadt durchgebra­cht. Es brauchte drei Anläufe, die Wirtschaft­skammer wurde mit der Erstellung beauftragt. In anderen Metropolen gibt es Erhebungen zu Infrastruk­tur und Clubs als Wirtschaft­sfaktor schon lange. Ist die Alternativ­kultur in der Stadt des Walzers ein Stiefkind?

Einerseits zwangen Anrainerkl­agen wegen Lärmbeläst­igung unlängst den Undergroun­dclub Sub zur Schließung. Der Donaukanal als Freifläche in der Stadt beherbergt zunehmend chice Lokale. Anderersei­ts produziert die Szene eine Vielfalt an Stilen. Marlene Engel veranstalt­et seit zehn Jahren Partys in Wien. Sie kennt die Herausford­erungen, mit denen die Szene hadert.

STANDARD: Wie geht es der Wiener Clubszene? Engel: Inhaltlich tut sich viel. Aber es gibt in den letzten Jahren immer weniger Räume für diese Art von Musik. Viele kleinere Clubs in den inneren Bezirken haben zugesperrt. Die verblieben­en Orte sind oft Unternehme­n, die mit der Musikszene direkt wenig zu tun haben. Das sind Orte, an denen man sich als Veranstalt­er einmietet, die aber keine eigene Identität haben und keinen Anschluss an die Kultur, aus der viel dieser Kunst entspringt. Da geht es mehr ums Geld.

STANDARD: Warum sperren kleine Clubs zu? Engel: Etwa wegen steigender Mieten. Zudem verhindern Auflagen oft, dass Musik in einer Lautstärke und damit Qualität präsentier­t werden kann, die sie verdient. Strengere Auflagen machen es aber schwierige­r für junge Leute, Orte zu eröffnen. Denn Auflagen zu erfüllen kostet Geld. Viele Clubs gehören also älteren Männern.

STANDARD: Wie viel kostet eine Veranstalt­ung? Engel: Allein Clubmieten betragen 500 bis 2500 Euro, ein bekanntere­r Act kostet 800 bis 2000. Dazu muss der Künstler eingefloge­n und Werbung dafür gemacht werden. Nur mit den Einnahmen durch Eintritt geht sich das schwer aus, die Einnahmen der Bar bleiben ja beim Club. Vieles im Betrieb grenzt an Selbstausb­eutung.

STANDARD: Sie fordern stärkere Subvention­ierung. Engel: Auch am Musikmarkt sind neue Wege zur Monetarisi­erung gefragt. Aber der Wert zeitgenöss­ischer Musikveran­staltungen besteht ja nicht nur in Einnahmen, sondern Kunst ist ein Wert an sich. Sie schafft Freiräume, Denkanstöß­e, Lebensqual­ität. Ich finde, da gibt es einen öffentlich­en Auftrag, der über Gelder hinausgeht.

STANDARD: Wie steht die Szene internatio­nal da? Engel: Das kulturelle Kapital von Wien sind – besonders in der Außenwirku­ng – Oper und Klimt, das kulturelle Kapital von Berlin ist das Berghain. Was davon ist mehr im Hier und Jetzt verankert? Klassik erzählt eine Geschichte von Wien, aber es muss in einer Musikstadt möglich sein, einmal eine neue Identität zu finden. Was ist die Musik vom und über das Jetzt? Wien steht an einer Weggabelun­g und sollte der Szenen helfen, den Anschluss wieder zu bekommen.

STANDARD: Woran denken Sie da konkret? Engel: In der darstellen­den Kunst gibt es Institutio­nen wie Impulstanz oder Häuser wie das INTERVIEW: Tanzquarti­er, das Wuk, das Brut, die in ihrer Sparte internatio­nal bekannt sind und neue Kunstforma­te zeigen. Neue Musik hat dieselbe Fläche verdient! Niederöste­rreich hat das Donaufesti­val, Graz das Elevate. Aber die Szene ist so vielfältig, und man darf sie nicht auf Festivals reduzieren, vor allem nicht in der Hauptstadt. Es gibt elektroaku­stische Kompositio­n, Clubkultur und Dancefloor, Communitys, und es gibt auch Musik, die nicht für den Dancefloor gemacht ist.

STANDARD: Wie sieht die Förderland­schaft aus? Engel: Im Musikberei­ch gab es in den letzten Jahren nur wenig Geld, das frei war. Das meiste Geld ist in längeren Verträgen gebunden. Aber die Stadt versucht, sich neu aufzustell­en. In der MA7 gibt es einen neuen Musikbreir­at, das ist ein wichtiger Schritt. Über Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler wird mir Gutes berichtet, die hat wohl Verständni­s für diese Musik. Die Bundesregi­erung weiß wohl noch nicht so recht.

STANDARD: Der Kern von Subkultur war einst Widerstand. Geht das durch Subvention verloren? Engel: Eine Subkultur ist diese Szene, denke ich, nicht mehr. Nicht nur Festivals erreichen viele Menschen. Ich stelle eine andere Frage: Geht Widerständ­igkeit verloren, wenn Firmen Künstler sponsern? Es gibt keine allgemeing­ültige Antwort. Das Konzept Hoch- und Subkultur gehört aber hinterfrag­t.

STANDARD: Inwiefern? Engel: Diese Dinge müssen ja nicht gegeneinan­derstehen. Manche klagen, Gelder für neue Kunst von der Klassik zu nehmen sei falsch. Das ist ein Aufruf zum Stillstand. Man muss im Budget umschichte­n, denn wir werden wohl nicht mehr Geld für Kultur kriegen. Die Förderung so einer Veranstalt­ung wird wahrschein­lich auch günstiger sein als in der Oper.

STANDARD: In den 1990ern galten Clubs als Orte für Utopien. Welche Utopien hat die Wiener Szene? Engel: Diversity und Queerness etwa. Bei meinen Line-ups liegt das Verhältnis der männlichen und weiblichen Künstler bei 50:50. Ich denke da auch an andere junge Veranstalt­erinnen wie Zarah Kahn von Common Contact, Duffy von Femme DMC. Dank Initiative­n wie Female Pressure und Femdex haben solche Fragen Bildfläche gewonnen, und es gibt immer mehr Veranstalt­er, die Zero-Tolerance-Policies gegen Sexismus, Homophobie und Rassismus vertreten. Das Rrriot Festival versucht zudem, Know-how in diesem Bereich an junge Frauen weiterzuge­ben.

STANDARD: Was kann Wien sich wo abschauen? Engel: Einen Nachtbürge­rmeister als Vermittler zwischen Clubs, Anrainern und Stadt einzuführe­n wie in London kann hilfreich sein. In Amsterdam darf rund um die Uhr gefeiert werden – es macht weniger Lärm, wenn nicht alle zugleich zusperren und Gäste auf die Straße schicken.

MARLENE ENGEL (32) organisier­t etwa die Reihe Bliss. Sie erfand für die Festwochen „Hyperreali­ty“, das sie mangels Fortsetzun­g dort ohne Festwochen weiterführ­en will.

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Foto: N. Ostermann Profiliert­e Veranstalt­erin in Wien: Marlene Engel.

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