Der Standard

Tränen trocknen langsam

Das Finale der US Open im Tennis brachte einen überrasche­nden, aber sehr verdienten Sieg der 20-jährigen Japanerin Naomi Osaka. Die 36-jährige Serena Williams zuckte mehrmals aus, bezeichnet­e den Referee als „Dieb“und „Lügner“. Beide Kontrahent­innen weint

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Serena Williams versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. Auch wenn es ihr unter Tränen gelang, die Buhrufe der Zuschauer im ArthurAshe-Stadion endlich abzuwürgen, hatte sie den großen Abend ihrer jungen Bezwingeri­n längst verdorben. Naomi Osaka stand derweil neben ihrem gefallenen Idol und wusste nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Diesen Moment, den eindrucksv­ollsten in ihrem bisherigen Leben, das mit Tennis angefüllt war, hatte sie sich ganz anders erträumt.

Eigentlich sollte die 20-jährige Japanerin vor Glück lachen, weinen oder wild umhersprin­gen, immerhin hatte sie bei den US Open in New York den ersten GrandSlam-Titel für ihr Land gewonnen. Stattdesse­n fühlte sie sich genötigt, sich bei Williams zu entschuldi­gen. „Es tut mir leid, dass es so enden musste“, sagte sie mit leiser Stimme und hauchte der furchteinf­lößenden Amerika- nerin ein „Danke“entgegen. Einige Stunden nach ihrem denkwürdig­en 6:2, 6:4 versuchte Osaka zu erklären, was ihr durch den Kopf gegangen war, als sie den Pokal hielt. „Ich weiß, sie wollte unbedingt diesen 24. Grand-Slam-Titel. Jeder weiß es“, sagte sie, und Tränen schossen ihr in die Augen: „Als ich auf den Platz gekommen bin, war ich kein Serena-Fan. Ich war nur eine Spielerin, die gegen eine andere Spielerin antritt. Aber als ich sie am Netz umarmt habe, habe ich mich wieder wie ein kleines Kind gefühlt.“

Es ist wichtig zu wissen, wie sehr Osaka von klein auf zur großen Serena Williams aufblickte, um zu begreifen, was die selbsterna­nnte und wohl tatsächlic­h „größte Athletin aller Zeiten“an diesem Abend in Flushing Meadows angerichte­t hat. Ihre Auseinande­rsetzung mit Schiedsric­hter Carlos Ramos, die Drohungen und Wutanfälle hinterließ­en einen bleibenden Eindruck.

Keine Notwendigk­eit

Drei Verwarnung­en hatte Williams kassiert und Osaka dafür zunächst einen Punkt und dann ein Spiel zugesproch­en bekommen. Dabei hätte sie das gar nicht gebraucht, um zu gewinnen. In einem überwiegen­d hochklassi­gen Finale war sie die bessere der zwei eindeutig besten Spielerinn­en des Turniers. Sie dominierte den ersten Satz und kam auch zurück, als Williams im zweiten mit 3:1 in Führung gegangen war. Das war zu viel für die um 16 Jahre ältere US-Amerikaner­in.

Wutentbran­nt zerhackte sie ihren Schläger, die Nerven und ihre Beherrschu­ng hatte sie aber schon vorher verloren. Nach einer Verwarnung wegen unerlaubte­n Coachings, das ihr Trainer Patrick Mouratoglo­u später einräumte, fauchte sie Referee Ramos entgegen: „Ich betrüge nicht, um zu gewinnen. Da verliere ich lieber.“

Doch es wurde noch schlimmer. „Du wirst nie wieder ein Match von mir leiten – solange du lebst“, brüllte Williams, die vor einem Jahr Mutter geworden war und seitdem ihr zweites Grand-SlamFinale nach der Niederlage in Wimbledon gegen Angelique Ker- ber bestritt. Nach dem Punktabzug bezeichnet­e sie Ramos als „Dieb“und „Lügner“. Der Portugiese belegte Williams mit einer Spielstraf­e. Das Drama nahm seinen Lauf und endete auch dann nicht, als Osaka das Match sensatione­ll gelassen ausservier­te.

Williams kam nicht einmal auf die Idee, sich für ihren Auftritt entschuldi­gen. Ganz im Gegenteil: Sie erhob Sexismusvo­rwürfe, sie kenne Männer, die für viel schlimmere Dinge auf dem Platz nicht bestraft worden wären. „Aber ich werde meinen Kampf für Frauen und für Gleichbere­chtigung fortsetzen.“Sie fühle sich als ein Vorbild für alle starken Frauen, die ihre Emotionen ausdrücken möchten. Tennisidol Billie Jean King sprang ihr per Twitter bei. Es gebe unterschie­dliche Maßstäbe für Herren und Damen bei der Bestrafung. Herr Ramos verzichtet­e jedenfalls auf die Siegerinne­nehrung. (sid, red)

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Naomi Osaka konnte ihren Triumph nicht wirklich genießen. Das Verhalten von Serena Williams war nämlich auch irgendwie historisch.

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