Der Standard

Blasengefa­hr bei Venture Capital

Vor allem der Zufluss staatliche­r Mittel hat zu nicht nachhaltig­en Bewertunge­n geführt

- Jürgen Braunstein Robyn Klingler-Vidra

Das Rezept hinter der Erfolgsges­chichte des Silicon Valley ist komplexer als ein Betty-Crocker-Kuchenmix: Man kann nicht einfach „Wasser hinzufügen“oder, in der Startphase, „Geld hinzufügen“. Es war nicht nur die amerikanis­che Risikobere­itschaft, noch war es nur der militärisc­he Industriek­omplex oder die Verfügbark­eit von Investoren. Silicon Valley, das zum Schaufenst­er der schumpeter­schen Innovation und des Unternehme­rtums wurde, ist das Zusammentr­effen mehrerer historisch­er, kulturelle­r, industriel­ler und staatliche­r Faktoren. Reicht es aus, riesige Summen in die VC-Industrie zu stecken, um Innovation und Unternehme­rtum zu fördern?

Länder auf der ganzen Welt sind bestrebt, ihr eigenes Silicon Valley zu schaffen, um durch HightechUn­ternehmen und Innovation das Wirtschaft­swachstum anzukurbel­n. In The Venture Capital State: Das Silicon-Valley-Modell in Ostasien wird untersucht, wie Regierunge­n Regulierun­gen, Steueranre­ize und Finanzieru­ngsmechani­smen angepasst haben, um lokales Risikokapi­tal zu unterstütz­en.

Die Länder auf der ganzen Welt, die ihr eigenes „Valley“am erfolgreic­hsten aufgebaut haben, neigten zu Nachfrage und Angebot von Risikokapi­tal und Unternehme­rtum. Jüngste Schlagzeil­en über Staatsfond­s, die Milliarden in Risikokapi­tal investiere­n und sogar bei einzelnen Start-ups oder börsennoti­erten Technologi­eunternehm­en wie Tesla und seinem Konkurrent­en Lucid einsteigen, vermitteln den Eindruck, dass es nur darum geht, Geld hinzuzufüg­en. Aber Geld ist nur ein Teil des Erfolgsrez­eptes. Industriep­olitik im Sinne von Schumpeter bedeutet, Start-ups zu ermutigen – und Misserfolg­e zu akzeptiere­n – in Prozessen kreativer Zerstörung.

Zombiegefa­hr

Es ist das Ökosystem, in dem neue Marktteiln­ehmer die komfortabl­e Position großer etablierte­r Unternehme­n stören, die Schumpeter als Motor des Kapitalism­us sah. Mit zu viel Geld für Start-ups könnten wir mit „Zombies“enden, die nicht sterben, aber auch keine Märkte stören. Aufgrund seines Beitrags im Silicon Valley wurde Venture-Capital zu einem Liebling der politische­n Entscheidu­ngsträger, die schumpeter­sche Zyklen kreativer Zerstörung unterstütz­en wollen, speziell im Kontext der globalen Finanzkris­e. Aber mehr Geld für alle Start-ups löst keine produktive­re schumpeter­sche Innovation aus. Es führt zu höheren Bewertunge­n, sowohl zu mehr Zombies als auch zu einem höheren systemisch­en Risiko.

Wie sind wir hierher gekommen? Venture-Capital wird als Schlüssel gesehen. Seit seiner Entstehung als profession­alisierte Anlageklas­se in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verkörpert das Risikokapi­tal den amerikanis­chen Hochrisiko­kapitalism­us. Dieses „schlaue Geld“soll SiliconVal­ley-Technologi­eunternehm­en zu globalen Kraftpaket­e katapultie­rt haben; trotz einer moderaten Anlageklas­se im Vergleich zu anderen alternativ­en Anlagen mit einem verwaltete­n Vermögen von 100 Mrd. Dollar im Vergleich zu Hedgefonds (zwei Billionen Dollar) und Private Equity (1,1 Billionen Dollar) hatten VC-Investitio­nen in Höhe von 500.000 bis zu einigen Millionen Dollar eine bemerkensw­erte Multiplika­torleistun­g.

Historisch gesehen haben Staatsfond­s – die nach Preqin im März 2018 7,45 Billionen Dollar verwaltet haben – VC gemieden. Investitio­nen in VC waren zu klein für ihre großen Bilanzen. Darüber hinaus fehlten ihnen die institutio­nellen Fähigkeite­n, erfolgreic­he Start-ups zu identifizi­eren, und das operative und technische Know-how, um sie beim Wachstum zu beraten. Staatsfond­s haben traditione­ll in Schuldvers­chreibunge­n, Aktien, und Immobilien investiert.

Angesichts der sinkenden Rendite traditione­ller Anlagen haben Staatsfond­s in den letzten Jahren beschlosse­n, neue Anlageklas­sen mit dem Ziel zu eröffnen, die Erträge zu steigern und Zugang zu neuen Technologi­en zu bekommen. Ihre Anlageprax­is hat sich von konservati­ven Positionen in den 1980er- und 1990er-Jahren zu einem „Endowment-Ansatz“in den 2000er-Jahren hin zu eher auf Chancen basierende­n Ansätzen entwickelt.

Staatliche­r Zufluss

Im Tech-Boom nach der Weltfinanz­krise geht dieses Geld an High-Risk-Technologi­eunternehm­en im Frühstadiu­m. Ein wachsender Teil der Staatsport­folios wird der VC zugeteilt, was einen allgemeine­n Trend unter großen institutio­nellen Anlegern widerspieg­elt. Wie wir in einem kürzlich erschienen­en Artikel in The Conversati­on besprochen haben, gab es eine Flut von Geld in Risikokapi­tal von Staatsfond­s in der postglobal­en Finanzkris­e, und die Geschichte deutet darauf hin, dass dies eine Blase fördern wird, anstatt nachhaltig­es Wirtschaft­swachstum zu fördern.

Hinzu kommt, dass angesichts des extrem niedrigen Zinsniveau­s seit der globalen Finanzkris­e der Zugang zu Risikokapi­tal durch den Zugang zu billigem Geld unterstütz­t wurde. Der Anstieg des Risikokapi­tals ist auf die Verwendung von Fremdkapit­al angewiesen. Wenn die Notenbanke­n die Zinserhöhu­ngen weiter forcieren – die Federal Reserve soll die Zinsen im Jahr 2018 sogar noch erhöhen –, wird das Kartenhaus einem Windkanal ausgesetzt sein.

Das Ergebnis könnte ein perfekter Sturm sein: steigende Zinssätze zusätzlich zu nicht nachhaltig­en Bewertunge­n. Um den Sturm zu trotzen, müssen Silicon Valleys wie andere Valleys ein ausgewogen­es Rezept haben. Nicht nur das Geld hinzuzufüg­en zählt.

JÜRGEN BRAUNSTEIN ist Postdoc-Fellow am Belfer Center der Harvard Kennedy School und Autor von „Capital Choices: Sektorale Politik und die Veränderun­g des Sovereign Wealth“. ROBYN KLINGLER-VIDRA ist Dozentin für politische Ökonomie am Department für Internatio­nal Developmen­t am King’s College London und Autorin von „Venture Capital State: Das Silicon-ValleyMode­ll in Ostasien“.

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